"Ein regulärer Zugang zum Arbeitsmarkt auch für Flüchtlinge"

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Warum Flüchtlinge derzeit kaum Arbeitschancen haben und was sich ändern müsste, erklärt Migrations-Experte Josef Wallner von der AK.

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Warum Flüchtlinge derzeit kaum Arbeitschancen haben und was sich ändern müsste, erklärt Migrations-Experte Josef Wallner von der AK.

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Wie lassen sich die Bedürfnisse der Flüchtlinge und des Arbeitsmarktes sinnvoll in Einklang bringen? Josef Wallner, Leiter der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration der Arbeiterkammer (AK) im FURCHE-Interview.

DIE FURCHE: Was bedeutet der aktuelle Flüchtlingsstrom für Österreich?

Josef Wallner: Flüchtlingswellen sind schon immer gekommen, teilweise größere als heute. Mit einem Unterschied: Österreich war immer eine Durchgangsstation, nur ein geringer Teil ist geblieben. Derzeit sind wir aber von Krisenherden umgeben, die aus realistischer Sicht auch demnächst nicht bereinigt werden. Wir werden in Europa in den nächsten drei Jahrzehnten mit hohen Flüchtlingszahlen konfrontiert sein und mit Menschen, die bleiben, weil sie nicht in ihre Heimat zurück können.

DIE FURCHE: Heuer wird mit 80.000 Flüchtlingen gerechnet. Menschen, die alle auf den österreichischen Arbeitsmarkt strömen?

Wallner: Die Annahme, dass Flüchtlinge zu Tausenden auf den Arbeitsmarkt strömen, ist falsch. Egal, ob Wirtschaftsflüchtling oder politisch Verfolgte: Wir wissen aus empirischer Evidenz, dass eine Flucht stark traumatisiert. Viele sind jahrelang nicht fähig, in den Arbeitsmarkt einzutauchen. Selbst diejenigen, die die Flucht einigermaßen gut bewältigt haben, brauchen mindestens drei bis sechs Monate, bis sie auf den Arbeitsmarkt kommen. Abgesehen davon gibt es viele unbegleitete Minderjährige, die zuerst vernünftigerweise eine Ausbildung machen sollten sowie Alte und Kranke, die nicht mehr für den Arbeitsmarkt infrage kommen.

DIE FURCHE: Sie plädieren für einen regulären Zugang zum Arbeitsmarkt?

Wallner: Ja, denn die Alternative ist, dass die sozialen Konflikte steigen. Das bedeutet, dass ein großer Teil der Flüchtlinge in Prostitution und Schwarzarbeit gedrängt wird. Schwarzarbeit ist wiederum der größte Hebel, um Lohndumping zu betreiben. Das kann niemand wollen. Ein Ausweg daraus kann nur sein, mit den Leuten seriös umzugehen. Dafür brauchen wir systematisch eine Investition in die Grundversorgung. Derzeit bekommen Flüchtlinge neben Unterkunft und Essen ein Taschengeld von 40 Euro pro Monat. Wer glaubt, dass sie sich damit auf Rosen betten, ist entweder nicht informiert oder böswillig. Zu dieser Grundversorgung gehört auch lückenlose psychologische und medizinische Betreuung. Als letzter Punkt kommt die Möglichkeit zu arbeiten. Wir müssen den Menschen Ausbildungen und - dort, wo das entsprechende Alter und die Ausbildung vorhanden sind - einen regulären Zugang zum Arbeitsmarkt geben.

DIE FURCHE: Studien zufolge werden Menschen mit migrantischem Hintergrund überdurchschnittlich häufig unter ihrer Qualifikation eingesetzt. Warum ist das so, und wie geht man mit dem Potenzial von hochqualifizierten Flüchtlingen um?

Wallner: Problematisch war bisher schon, dass die Qualifikation der Flüchtlinge nicht systematisch erhoben wurde. Sehr zu begrüßen ist daher ein aktuelles Pilotprojekt des AMS Wien zur Ermittlung von Kompetenzen und Berufen der Asylwerber. Ähnliche Angebote braucht es in allen Bundesländern. Ein weiteres Problem resultiert daraus, dass ausländische Ausbildungen in der Regel nicht anerkannt werden. Der bisher einzige Weg ist oft die Nostrifikation, die aber wegen des riesigen Aufwandes kaum eine realistische Option darstellt; es muss ja praktisch die gesamte Ausbildung nachgeholt werden. Hier sollte das von der Regierung geplante "Anerkennungsgesetz" eine deutliche Verbesserung bringen. Schließlich braucht es zumeist sehr gute Deutschkenntnisse, um ausbildungsadäquat arbeiten zu können. Deutschkurse gleich zu Beginn sind daher umso wichtiger. Trotz eines zuletzt erhöhten Kursangebots gibt es hier noch weiteren Nachholbedarf.

DIE FURCHE: Wie können Flüchtlinge bestmöglich vermittelt werden?

Wallner: Einen eigenen Flüchtlingsarbeitsmarkt sollte es nicht geben. Stattdessen sollten wir die normale Arbeitsvermittlung mit entsprechenden Mitteln ausstatten, um berufliche Anpassungsschulungen für Flüchtlinge durchführen zu können. Das bedeutet auch, dass das AMS von Deutschkursen entlastet werden sollte. Hier sehe ich das Integrations- und das Innenministerium am Zug.

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