Eine faire Chance FÜR ALLE

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Asylwerber dürfen nicht arbeiten, aber ein Volontariat machen - in der Theorie zumindest. Hier setzt die Job-Plattform "refugeeworks.at" an.

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Asylwerber dürfen nicht arbeiten, aber ein Volontariat machen - in der Theorie zumindest. Hier setzt die Job-Plattform "refugeeworks.at" an.

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Auf den ersten Blick scheint M. ein gewöhnlicher Jugendlicher zu sein: Er kann die Vita von Fußballspielern im Schlaf aufsagen, züchtet in seinem WG-Zimmer Tomaten und will Installateur werden. So gewöhnlich ist er dann doch nicht: Der 18-jährige Afghane ist vor acht Monaten als unbegleiteter, minderjähriger Flüchtling nach Wien gekommen. In beeindruckender Geschwindigkeit hat er Deutsch gelernt, Freunde gefunden und die Basis-Schulbildung geschafft. Im Sommer hätte ihm seine Deutschlehrerin eine Volontariatsstelle bei einem Installateur vermittelt. Rechtlich ist das erlaubt. Denn auch wenn Asylwerbern wie Mustafa der Arbeitsmarkt versperrt bleibt, dürfen sie gemäß Ausländerbeschäftigungsgesetz drei Monate pro Kalenderjahr ein Volontariat machen. Die Voraussetzungen dafür sind streng: Das Volontariat muss unter anderem Ausbildungscharakter haben, kein Entgelt oder Gegenleistungen mit sich bringen und keine Arbeitskraft ersetzen. Zwei Wochen vor Beginn muss es dem Arbeitsmarktservice (AMS) gemeldet werden. Wird es nicht untersagt, kann es anfangen. Theoretisch. "In der Praxis werden die meisten Anträge abgelehnt", berichtet Fatima Almukhtar. Das liege daran, dass meist Ausbildungszeugnisse oder Zertikate und somit der geforderte Nachweis für den Zusammenhang zwischen den Fähigkeiten des Volontärs sowie dem Volontariat fehlen.

Österreichischer Arbeitsmarkt ist anders

Fatima Almukhtar hat täglich mit Fällen wie dem von Mustafa zu tun. Die Irakerin arbeitet bei der Plattform "refugeeworks.at", die Flüchtlinge mit Unternehmen verbindet. "Anfangs wollten wir uns nur um Asylwerber kümmern", erzählt Gründer Dominik Beron, "haben das Angebot aber ausgeweitet, weil der Bedarf bei Asyl- und Schutzberechtigten groß ist. Einige sind jahrelang in Österreich, können aber keine Jobs finden. Andere wiederum bekommen keine Anstellung, die ihren Fähigkeiten entspricht." 25.168 Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte waren im Juli 2016 in Österreich arbeitslos. Auch wenn ihnen der Arbeitsmarkt offen steht, gestaltet sich die Jobsuche für sie noch schwieriger als für Inländer. Während bei Letzteren die Arbeitslosigkeit um 1,6 Prozent sank, stieg die Anzahl der arbeitslosen Ausländer um 6,3 Prozent. Langfristig rechnet das AMS bei ihnen mit einer Erwerbsquote von 54 Prozent. Bei Österreichern liegt sie bei 71 Prozent. Mangelhaftes Deutsch ist dabei oft der Knackpunkt. Allerdings nicht der einzige.

"Ein Problem ist eine unpassende Erwartungshaltung. Heimische Unternehmen erwarten, dass die Einstellung eines Asylwerbers genauso wie die eines Österreichers abläuft", weiß Beron, der mit dem AMS und NGOs kooperiert, "doch sie erreichen diese Zielgruppe nicht über herkömmliche Plattformen. Die Zusammenarbeit mit Multiplikatoren oder durch Mund-zu-Mundpropaganda ist effektiver als Google-Werbung oder Uni-Anzeigen." Flüchtlinge hingegen erwarten sich, dass der österreichische Arbeitsmarkt genauso unkompliziert funktioniert wie der ihres Herkunftslands. Letzteres kann Issa Alsaadi bestätigen. Vor ein paar Wochen ist der 32-jährige Syrer über refugeeswork.at von einem Wiener Übersetzungsbüro zum ersten Vorstellungsgespräch seines Lebens eingeladen worden. "In Syrien sind die Methoden, einen Job zu finden, anders", erzählt der Asylberechtigte, der in seiner Heimat neben seinem Physik-Studium als Kellner sowie Journalist gearbeitet hat, "alles läuft über Kommunikation und Vitamin O (Anmerkung: das syrische Vitamin B)." Noch nicht einmal einen Lebenslauf hatte er gebraucht. Dass es in Österreich anders ist, hat der kommunikative Syrer schnell verstanden: Er hat seit seiner Ankunft vor zwei Jahren nicht nur jede Gelegenheit ergriffen, sein Deutsch zu verbessern, sondern auch mit Freunden an seinem Lebenslauf gefeilt und ihn ausgeschickt. Antwort erhielt er nicht. Die kam erst vom Übersetzungbüro: Mittlerweile arbeitet Issa Alsaadi dort 20 Wochenstunden in einem Projekt. Dieses ist zwar auf zwei Monate befristet, doch fürs Frühjahr wurde ihm ein weiteres Engagement in Aussicht gestellt. "Vielleicht besteht auch bald die Möglichkeit, Vollzeit zu arbeiten", erklärt er in fließendem Deutsch, "aber das hängt von meiner Arbeit ab."

Keine Angst vor fremden Kulturen

Wie Issa haben rund 2.700 Flüchtlinge seit April auf refugeeswork.at gratis ihre Unterlagen hochgeladen. Ihnen gegenüber stehen rund 250 Unternehmen, die ihre offenen Positionen - vom unentgeltlichen Volontariat übers Praktikum bis zur Teiloder Vollzeitstelle -platzieren. Seit Ende Juni gibt es die ersten erfolgreichen Vermittlungen. Doch bei refugeeswork.at geht es nicht nur um die Jobvermittlung. Das 5-köpfige Team möchte Integrationskonzepte ausarbeiten, um beide Parteien bestmöglich im Prozess zu begleiten. So ist geplant, Formulare zum Download anzubieten und Events sowie Webinare mit Experten abzuhalten, um die Bewerber mit dem österreichischen Arbeitsmarkt vertraut zu machen und auf Job-Interviews vorzubereiten. Für Unternehmen hingegen geht es oft darum, durch Beratung Unsicherheiten im Umgang mit der fremden Kultur sowie Religion, aber auch hinsichtlich rechtlicher Möglichkeiten aus dem Weg zu räumen.

"Leider bekommt man bei drei Anrufen beim AMS vier verschiedene Antworten", kann Arbeitsrechtsexperte Erwin Fuchs von "Northcote.Recht" die Verunsicherung von Unternehmen verstehen. Um etwaige Missverständnisse zu klären, hat er mit seiner Kollegin Julia Kolda bei der Messe "Chancen:Reich", der ersten Berufsmesse für Asylberechtigte, Workshops für Unternehmen abgehalten. "Die wenigsten wissen, dass Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte arbeiten dürfen. Ohne Wenn und Aber", betont die Expertin, "auf Unternehmensseite aber herrscht die Angst, sich strafbar zu machen, wenn zum Beispiel einem Mitarbeiter der Asylstatus aberkannt wird oder ein subsidiär Schutzberechtigter seine Aufenthaltsgenehmigung verliert." Da könne sie beruhigen, falle doch mit dem Ende der Aufenthaltsgenehmigung auch die Arbeitsberechtigung weg. Ein Thema, das übrigens auch Menschen aus dem EU-Ausland betrifft, und das mit einem Fristenkalender leicht gelöst ist. Wie so vieles, ist die Anwältin überzeugt: "Rechtlich ist alles sehr einfach. Die große Herausforderung besteht darin, klassische Bedenken gegenüber Menschen mit anderen Kulturen und fremder Sprache auszuräumen", so Kolda, "aber wenn Flüchtlinge beschäftigt werden, fördert das nachweislich die Integration. Da sollten sich Unternehmen als Integrationspartner sehen, nicht nur als Arbeitgeber."

Ein positiveres Bild von Migranten

Andra Slaats vom Start-Up "Younited Cultures" ist sich dieser Rolle bewusst. Nicht nur, weil die Rumänin 2004 den Kulturschock selbst erlebt hat. Ziel ihres Unternehmens ist außerdem, das Bild von Migranten - zu denen Flüchtlinge über kurz oder lang zählen - positiv zu besetzen. Drei Volontariatsstellen hat sie über refugeeswork.at ausgeschrieben, seit einer Woche schnuppert Ahmad Allkoud bei Younited Cultures in den Bereich "Controlling and Finance" hinein. Drei Monate können sie und der asylberechtigte Syrer, der in seiner Heimat eine NGO gegründet hat sowie für die UNO in der Türkei tätig war, voneinander lernen. "Das Finanzsystem Österreichs, Steuern, Budgeterstellung, Forecasting - alles ist neu für mich", meint Allkoud, der seit September 2015 in Österreich ist. "Aber er hat jede Menge Erfahrung in der Gewinnung von Sponsoren", fügt Slaats hinzu, "ich werde ihn zu meinen Verhandlungsgesprächen mitnehmen." Einerseits, damit Allkoud sein Know-how einbringt, andererseits, damit er heimische Unternehmen kennenlernt. "Wir möchten ja nicht nur einen Volontär, wir möchten helfen", meint Slaats, die ihn und seine Frau schon zum Grillen eingeladen hat, "wir unterstützen ihn dabei, dass er während seines Volontariats einen Job bekommt. Oder helfen ihm mit Kontakten, wenn er ein eigenes Unternehmen gründen möchte." Sollte Letzteres passieren, steht eines für den Syrer fest: "Dann werde ich sicher mit Younited Cultures eine Partnerschaft eingehen."

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