"Ein Tropfen auf den heißen Stein"

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Welche Wege zur ausreise es für Menschen in krisenregionen geben sollte, womit syrische Flüchtlinge in Österreich zu kämpfen haben, und was die EU tun müsste, erklärt anny knapp von der asylkoordination.

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Welche Wege zur ausreise es für Menschen in krisenregionen geben sollte, womit syrische Flüchtlinge in Österreich zu kämpfen haben, und was die EU tun müsste, erklärt anny knapp von der asylkoordination.

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Welche Startbedingungen erhalten die verschiedenen Gruppen von syrischen Flüchtlingen hierzulande? Welche Rolle nimmt Österreich dabei ein, und wie sieht die internationale Lage aus?

DiE FurchE: Wie schätzen Sie die Vorgehensweise des Innenministeriums ein, 1000 weitere syrische Flüchtlinge aufzunehmen?

Anny Knapp: Es ist wichtig, dass diese 1000 Leute Asylstatus erhalten werden. Das UN-Resettlement-Programm hilft Menschen, die die Strapazen einer Flucht nicht auf sich nehmen können. Angesichts von neun Millionen Flüchtlingen ist es ein Tropfen auf den heißen Stein. Es muss beides möglich sein: Die Einreise über offizielle Programme und die selbstständige Flucht.

DIE FURCHE: Manche Syrer kommen über das UNHCR-Programm, andere über die Familienzusammenführung der Kirchen. Haben sie die gleichen Startbedingungen?

Knapp: Zurzeit sehen wir noch gar keine Unterstützung für einen Neuanfang in Österreich. Bei den Familienangehörigen geht man quasi davon aus, dass die Angehörigen für Wohnraum sorgen werden, aber bringen Sie mal eine sechsköpfige Familie unter! Man kann Integration vergessen, wenn die Leute nicht gut wohnversorgt sind. So kann man sie schwer in Kursmaßnahmen bringen, Jobs organisieren, etc.

DIE FURCHE: Die Auswahl jener 400 Syrer, die über die Familienzusammenführung nach Österreich kommen, wurde vom "Falter" als nicht transparent kritisiert. Zu Recht?

Knapp: Wenn Leute Familienangehörige im Land haben, ist das schon ein sinnvolles Kriterium, denn die Familie ist ein wichtiger Faktor der psychischen Stabilisierung. Man hätte aber noch offenere Kriterien wählen können: Kurioser Weise werden Leute, die nach 2011 nochmals nach Syrien zurückgekehrt sind, nicht aufgenommen. Es gibt aber Fälle, wo der Vater nach der Flucht nochmals nach Syrien zurückkehrte, um die Kinder zu holen.

DIE FURCHE: Kritiker meinen, dass die in Pfarren untergebrachten Flüchtlinge von einer professionellen Betreuung durch NGOs abgeschnitten sind.

Knapp: Über diese Flüchtlinge ist uns kaum etwas bekannt. Sie sind nicht in Integrationsprojekte eingebunden. In den Pfarren gibt es keine speziellen Ressourcen und keine besondere Expertise. Weil die syrischen Flüchtlinge so schnell anerkannt werden, müssen sie aus den Flüchtlingsheimen ausziehen und verlieren die damit verbundene Sozialbetreuung. Da bräuchte es weiterführende Integrationsmaßnahmen.

DIE FURCHE: Innenministerin Mikl-Leitner hat schon im August 2013 zugesagt, syrische Flüchtlinge aufzunehmen, die ersten kamen im Oktober an. Da wäre doch Zeit zur Vorbereitung gewesen.

Knapp: Man hat sich nicht ausreichend überlegt, wie man die Leute bestmöglich unterstützen könnte. Dabei gäbe es für diese Flüchtlinge ja ein ausgearbeitetes Integrationskonzept von NGOs wie dem Roten Kreuz, der Diakonie, der Caritas etc.

DIE FURCHE: Im Vorjahr hat Österreich 1153 syrische Flüchtlinge nach ihrem Grenzübertritt wieder nach Italien zurückgeschoben, viele davon an der Brennergrenze. Italienische Medien sprechen schon von einem neuen "Eisernen Vorhang".

Knapp: Das ist ein heikles Kapitel. Es wäre nötig, dass die Flüchtlinge an der Grenze eine Beratung erhalten. Nur wenige der am Brenner Aufgegriffenen haben Asyl in Österreich beantragt. Vermutlich war für viele gar nicht Österreich das Ziel der Reise, sondern sie waren auf der Durchreise zu Verwandten in Schweden oder in Deutschland. Solange die Flüchtlinge nicht inhaftiert werden, sondern nach Bozen in ein Heim gebracht werden, ist das noch rechtlich okay. Aber Italien ist auch überfordert: Wieso sollen alle in Italien ankommenden Flüchtlinge dort Asyl beantragen und der Rest von Europa kann sich abputzen?

DIE FURCHE: In letzter Zeit landen permanent Flüchtlingsboote an den Mittelmeerküsten. Was ist diesen Sommer zu erwarten?

Knapp: Zum Glück vertritt die italienische Regierung jetzt die Devise, dass man nicht wegschauen darf und Leute in Seenot gerettet werden müssen. Das ist ein großer Fortschritt gegenüber dem Vorjahr. Grundsätzlich müsste es mehr Möglichkeiten der legalen Einreise geben. Dann würde sich eine bessere Verteilung innerhalb der EU ergeben und die Staaten mit EU-Außengrenzen wären nicht so stark belastet.

DIE FURCHE: Im März haben über 100 Organisationen die Kampagne "Europe Act Now" gelauncht. Die Ziele klingen ehrgeizig: Die Möglichkeit, an EU-Botschaften in der Krisenregion Asylanträge zu stellen, eine weniger restriktive Visa-Politik, Erleichterungen bei der Familienzusammenführung, ein Ende der Rückschiebungen an den EU-Außengrenzen. Wie realistisch sind diese Ziele?

Knapp: Es müssen auch Maßnahmen überlegt werden, die schwer zu realisieren sind. Die erleichterte Familienzusammenführung für syrische Flüchtlinge in Österreich oder Deutschland ist schon ein Fortschritt.

DIE FURCHE: Welche Schritte müssten als Erstes gesetzt werden, um die Flüchtlingsproblematik an der Wurzel zu packen?

Knapp: Die europäische Kommission und der Rat sollten eine Konferenz dazu abhalten: Wie kann Europa gemeinsam mit dem Flüchtlingsproblem umgehen? Große Hilfsprojekte vor Ort sind ein Punkt, denn viele wollen in der Region bleiben und sich nur in Sicherheit bringen, solange nötig. Aber es müsste mehr Wege geben, Schutz in Europa zu finden. Im Libanon, einem Land mit vier Millionen Einwohner, befinden sich eine Million syrische Flüchtlinge. Syriens Nachbarländer könnten kollabieren.

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