Europa zwischen "Grenzen dicht“ und Migrationsregeln

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Das Flüchtlingsproblem in Südeuropa soll neu geregelt werden - im Sinne der Menschlichkeit.

Allein im Vorjahr haben mehr als 42.000 Menschen versucht, über das Mittelmeer an die süditalienische Küste zu gelangen, um auf europäischem Boden Schutz zu finden. Immer wieder kommt es dabei zu tragischen Bootsunglücken - wie auch im Oktober vor der Küste von Lampedusa. Das EU-Parlament reagierte nun mit einer neuen Vorschrift für den Flüchtlingsschutz.

In den letzten Wochen ist es etwas stiller um die Insel Lampedusa geworden. Denn das Lager ist vorübergehend wegen Renovierungsarbeiten geschlossen und jene Personen, die dort untergebracht waren, wurden in die Hafenstadt Augusta auf Sizilien gebracht. Auch alle Flüchtlinge, die derzeit in Süditalien in Seenot gerettet werden, werden in Augusta untergebracht. Allein im Jänner waren dies bereits über 2000 Menschen. Wann die Einrichtung auf Lampedusa wieder Flüchtlinge aufnehmen kann, ist derzeit unklar. Sicher ist nur, dass vor der Küste der Insel seit Mitte Februar wieder vermehrt Boote aus Nordafrika auftauchen.

Christoph Pinter, Chef des UNHCR-Büros in Österreich, meint, es sei eine Frage der Organisation, die Menschen adäquat unterzubringen. "Schon allein aufgrund der Größe des Landes Italien müsste es möglich sein, eine gewisse Anzahl an Bootsflüchtlingen unterzubringen. Man müsste vorausschauender planen und die Menschen auf verschiedene Orte verteilen, nicht alle in ein Lager stecken.“ Schließlich funktioniere die Unterbringung an den Ländergrenzen auch, wo immerhin die Mehrzahl der Asylsuchenden ankommen. Dennoch sollte Italien mit dem Problem nicht alleine gelassen werden, so Pinter. "Es sollte zu einem gemeinsamen europäischen Vorgehen kommen, um korrekte Asylverfahren und die richtige Betreuung der Schutzsuchenden zu gewährleisten.“

Diskussionen um eine gemeinsame EU-Flüchtlingspolitik

Lampedusa ist den meisten Leuten vor allem aber auch durch das Bootsunglück im Oktober, bei dem 300 Menschen ums Leben kamen, ein Begriff. Diese Tragödie zog eine lange Diskussion über die europäische Flüchtlingspolitik nach sich. Ende Februar wurde vom Innenausschuss des EU-Parlaments eine neue Vorschrift zum Flüchtlingsschutz vorgeschlagen, was eine erste Antwort auf die Katastrophe sein soll. Laut EU-Abgeordneten regelt das Gesetz, dass es in Zukunft kein Abdrängen der Boote auf hoher See mehr geben darf und den Flüchtlingen auch der Zugang zu Übersetzung, medizinischem Personal und Rechtsberatung gewährleistet werden soll. Laut Pinter beinhaltet die Richtlinie, die im April noch vom Plenum des Parlament beschlossen werden muss, wichtige Schutzmaßnahmen für die Flüchtlinge. In der Praxis gäbe es dennoch noch einiges zu tun.

"Zum einen muss der Standard einiger europäischer Länder gehoben werden, was den Umgang mit den Asylsuchenden betrifft. Und vor allem sollte es ein gemeinsames europäisches Asylsystem geben. Es sollte keine Rolle spielen, in welchem EU-Land ein Flüchtling seinen Asylantrag stellt.“ Denn durch die Dubliner Verordnung ist es in der Regel so, dass jener Mitgliedsstaat, in den der Asylwerber nachweislich zuerst eingereist ist, das Asylverfahren durchführen muss.

Herbert Langthaler von der Asylkoordination Österreich meint, der Beschluss zeige eigentlich den Skandal der EU-Flüchtlingspolitik. Denn "diese Dinge hätten eigentlich von vornherein gelten müssen.“ Überhaupt bräuchte es für eine ordentliche Asylpolitik in erster Linie eine wesentlich liberalere Migrationspolitik. Denn laut Langthaler könnte das Asylsystem dadurch entlastet werden, indem es Migranten erleichtert würde, legal nach Europa einzureisen. "Europa hat in den letzten 20 Jahren ein Grenzregime hochgezogen, das fast an den eisernen Vorhang erinnert - nur technisierter. Dadurch gibt es sehr viele illegale Arbeitskräfte, die weder registriert noch in einem richtigen Arbeitsverhältnis beschäftigt sind und besonders der Agrarsektor in Südeuropa ist genau von diesen Arbeitskräften abhängig.“ Deshalb wäre es eigentlich von Vorteil, wenn diese Leute von vornherein legal nach Europa kommen könnten, um genau dieselbe Arbeit auch legal zu verrichten, so Langthaler. Vor allem der vielzitierte Ansturm auf Europa, den viele Politiker und Bürger befürchten, hemmt jedoch die Entwicklung hin zu einer liberaleren Migrations- und Flüchtlingspolitik, so Langenthaler. "Europa muss sich wieder einkriegen. Man hat sich total verrannt in dem Abwehrsystem. Es sollte eine ideologische, politische und militärische Abrüstung geben. Denn Migration kann in Sachen Entwicklungspolitik eine wahnsinnig große Rolle spielen, beispielsweise, um demografische Probleme in den Griff zu bekommen.“

Globalisierung dürfe außerdem nicht nur darin bestehen, globale Märkte zu schaffen - auch Menschen sollten sich frei bewegen können, meint der Asylexperte Langthaler: "Die Menschen finden immer Mittel und Wege, um nach Europa zu kommen - auch ohne Regeln und Bestimmungen. Das festgeschriebene Recht wird nachziehen müssen, denn die Menschen emigrieren letztlich sowieso dorthin, wo sie wollen und pfeifen auf Regeln.“

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