Flucht: Europas Wunschkonzert
Die EU versucht mangels einer gemeinsamen Strategie die Flüchtlingsfrage mit Geld zu bewältigen. Doch Aussichten auf Erfolg hat das keine, wie drei scheinbar voneinander unabhängige Ereignisse in den letzten Tagen beweisen.
Die EU versucht mangels einer gemeinsamen Strategie die Flüchtlingsfrage mit Geld zu bewältigen. Doch Aussichten auf Erfolg hat das keine, wie drei scheinbar voneinander unabhängige Ereignisse in den letzten Tagen beweisen.
Es geschehen zu Ostern vielerlei österliche Dinge – bei denen viel von Hoffnung die Rede ist. Etwa erstens: dass der Papst bei seiner Osteransprache dringend zu mehr Menschlichkeit im Umgang mit den Armen und Flüchtenden aufruft. Zweitens, dass sich eine europäische Kommissarin zu Ostern nach Griechenland und in die Auffanglager der griechischen Inseln begibt, um dort das Versprechen für eine „menschliche Lösung“ des Problems zu bewerben. Drittens: Am Dienstag treffen einander die Spitzen der EU und der Türkei in Ankara, um an der „Vertiefung der gemeinsamen Beziehungen“ zu arbeiten. Im Vorfeld der Gespräche wird der EU-Flüchtlingspakt zwischen der Gemeinschaft und der Türkei als ein erfolgreiches gemeinsames Projekt bezeichnet, das Gipfeltreffen soll diese Kooperation erweitern – auch finanziell.
Diese drei Ereignisse markieren auf offizieller Seite den Start in einen Frühling, in dem das Mittelmeer wieder leichter navigierbar ist für die Schlauchboote und Kähne, auf denen sich Menschen nach Europa zu retten versuchen. Es werden also bis Sommer mehr von ihnen die Reise versuchen. In dieser Erwartung baut auch die EU politisch für die „Saison 2021“ vor. Wenn der Wunsch die Mitte der Angelegenheit treffen würde, es wäre ein schönes Ostern für Brüssel, Athen, Ankara und die Flüchtenden. Es durchkreuzen aber die Taten und Tat-Sachen der Realität alle guten Absichten.
So kreuzten zwischen Karfreitag und Ostermontag über 200 Menschen in Seenot vor Malta. Valletta aber half nicht. Die Küstenwache stellte sich taub und wartete ab, bis der Wind und die Strömung die Boote Richtung Italien – und aus den eigenen Hoheitsgewässern – trieben.
Proteste der Bürger
Zur gleichen Zeit weilte die EU-Kommissarin Ylva Johansson in Griechenland – auch nachdem es massive Vorwürfe gegen griechische Behörden gegeben hatte, sie würden Flüchtlinge brutal an Land und auf Hoher See zurückweisen und damit Leben gefährden – und auch opfern. In Athen bekam Johansson aber nicht Reue zu spüren, sondern heftige Beschwerden wegen der ungerechten Verteilung der Flüchtlinge in Europa zu hören. Auf Lesbos wurde sie von Einwohnern mit Protesten verfolgt. Europa lasse die Insel alleine, statt für eine Entlastung zu sorgen, wolle es nun ein fixes Lager errichten, ohne die Menschen auf Lesbos zu fragen.
Johansson, deren Organisation immerhin mehr als zwei Milliarden Euro zur Unterstützung nach Griechenland geschickt hat, versprach weitere 270 Millionen und reiste wieder ab. Derzeit befinden sich 14.000 Flüchtlinge im Land. Nur eines von mindestens drei Aufnahmezentren befindet sich in Bau.
Bleibt noch der gerühmte Flüchtlingspakt der EU mit der Türkei, im Rahmen dessen die Türkei seit 2016 mehr als fünf Milliarden Euro erhalten hat, um damit etwa 3,7 Millionen Flüchtlinge in der Türkei zu unterstützen. 300 dieser Flüchtlinge wurden quasi als „Willkommensgruß“ für das Gipfeltreffen in Ankara am Ostermontag von der türkischen Marine in Richtung griechische Gewässer gelotst. Die griechische Küstenwache drängte die Boote ab. Griechenlands Migrationsminister Mitarakis sagte: „Die Genfer Flüchtlingskonvention betrifft Menschen, die vor Gefahren fliehen. Nicht Menschen, die von einem Nachbarstaat bei der Überfahrt unterstützt werden“.
Am Mittwoch vor Ostern präsentierte auch die EU-Marine-Grenzschutzmission „Irini“ ihren Jahresbericht. Nachdem im Rahmen der Vorläuferoperation „Sophia“ 45.000 Flüchtlinge aus dem Meer gerettet worden waren, konnte auch „Irini“ ihre Zahlen präsentieren. Sie rettete null Flüchtlinge. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte im September gesagt: „Seenotrettung muss Teil einer ‚humanen‘ EU-Migrationspolitik sein. Sie ist Pflicht und nicht optional.“
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