Italienisch-libysche Flüchtlingspolitik

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Aus dem früheren Feindbild Gaddafi ist der kongeniale Partner geworden: Libyen hält die Hand auf und macht dafür seine Grenzen zu.

„Ungeeignet, enttäuschend und politisch blind“. Mit diesen harten Worten quittierte Parlamentspräsident Gianfranco Fini die negative Reaktion Libyens auf sein Ansinnen, eine italienische Parlamentarierdelegation sollte libysche Flüchtlingslager aufsuchen, um zu sehen, ob die Menschenrechte und das Recht auf Asyl respektiert werden. Eine Delegation könne gerne kommen, so die Antwort Libyens, aber aus anderen Gründen, denn in diesen Zentren gäbe es keine politischen Flüchtlinge, es sei alles in Ordnung.

Dass dem nicht so ist, hatte erst Mitte Juli eine Delegation des UN-Flüchtlingshochkommissariats mit eigenen Augen feststellen können. Sie trafen eritreische Flüchtlinge, die am 1. Juli von der italienischen Marine rund 30 Meilen von Lampedusa entfernt aufgespürt und den Libyern übergeben wurden. 76 von ihnen, so UNHCR, kommen aus Eritrea, das heißt, sie hätten jeden Grund, um Asyl anzusuchen. Nachdem die Italiener sie aufgriffen, wurden sie nicht ausreichend mit Nahrung versorgt, man nahm ihnen persönliche Gegenstände und Dokumente ab, die sie bislang noch nicht wieder erhalten haben. Zudem hätten einige der Beamten Gewalt angewendet.

Und es sollte noch schlimmer kommen: Gegenüber dem Nachrichtenmagazins L’Espresso erzählt einer der Eritreer von den schlimmen Zuständen im Lager – kaum Nahrung, zwei Toiletten für 850 Insassen, Folter mit Elektroschocks. Dass sowohl IOM (International Organization for Migration), UNHCR und der italienische Flüchtlingsrat in Tripolis präsent sind, zeitigt noch keine Wirkung in der libyschen Realpolitik. Seit Anfang Mai erlitten laut UNHCR mindestens 900 Flüchtlinge dasselbe Schicksal: Auf hoher See aufgespürt, werden sie nach Libyen zurückgeschickt.

18 Flüchtlingslager in Libyen

Offiziell gibt es 18 Flüchtlingslager in Libyen. Wieviele Insassen aus welchen Ländern wie lange dort sind, ist unklar. Es gibt Meldungen, wonach mehr als 600 Eritreer schon seit drei Jahren in solchen Lagern ausharren, ebenso sind laut Berichten afrikanischer Medien rund 2000 Nigerianer aus dem Bundesstaat Edo in Libyen in Haft.

Mit einiger Verzögerung reagierte nun die EU auf die offiziell Mitte Mai begonnene italienisch-libysche „Flüchtlingsabwehr“: Der EU-Kommissar für Justiz, Jacques Barrot, hat klargestellt, dass Abschiebungen auf hoher See nach Libyen illegal sind, und den italienischen Innenminister Roberto Maroni von der Lega-Nord-Partei um Klärung gebeten: Wie wurden einzelne Boote, auf denen sich ja womöglich Asylwerber befunden haben, abgewiesen? Doch die EU-Besorgnis hält sich in Grenzen. Die Lösung der „Flüchtlingsfrage“ sieht sie in der Einrichtung von Asylbüros in Libyen, wenn möglich unter Einbeziehung des UN-Flüchtlingshochkommissariats.

Als sich um das Jahr 2002 die neue Flüchtlingsroute Libyen-Lampedusa/Sizilien konsolidierte, bot Rom an, sich um die Abschaffung des Embargos gegen Libyen zu bemühen; im Gegenzug sollte Libyen beim „Kampf gegen die illegale Einwanderung“ helfen. In dieser Zeit stellte Italien Ausrüstung und Gerät für die Kontrolle der Küste zur Verfügung: Jeeps, Schlauchboote, Ferngläser etc. – und Leichensäcke. Und Italien finanzierte ein Festhaltelager für Immigranten nahe Tripolis.

Ende 2007 unterzeichnete Giuliano Amato, Innenminister der Mitte-Links-Regierung Romano Prodis, ein Abkommen mit Libyen, um der „heimlichen Einwanderung entgegenzutreten“. Darin wurde vereinbart, sechs Schiffe den Libyern zu übergeben, gemeinsame Patrouillen unter libyscher Leitung durchzuführen und mithilfe der EU ein Grenzüberwachungssystem einzurichten. Unerheblich, dass NGOs darauf hinwiesen, dass allein 2006 rund 60.000 Personen in Libyen verhaftet und dann entweder in Flüchtlingsgefängnisse gepfercht und dort misshandelt bzw. abgeschoben oder einfach in der Wüste ausgesetzt wurden.

Für Kolonialvergangenheit zahlen

2008 gab es einen Anstieg von 75 Prozent der Flüchtlingsankünfte in Lampedusa und Süditalien; laut italienischem Innenministerium kamen 36.952, Personen; 75 Prozent suchten um Asyl an, 50 Prozent vaon erhielten humanitären Status oder Asyl. Im Jänner 2009 ratifizierte das italienische Parlament das historische Abkommen zwischen Italien und Libyen. Demnach zahlt Italien fünf Milliarden Euro an Libyen, um die Kolonialvergangenheit vergessen zu machen – ein großer Teil davon wird in Form von Aufträgen zur Verbesserung der Infrastruktur wieder zurück nach Italien fließen. Unter anderem soll ein elektronisches Kontrollsystem an der Wüstengrenze zwischen Libyen und Niger errichtet werden, die Hälfte davon soll die EU zahlen. Diese bot Anfang Februar 2009 Libyen ein Hilfspaket von 20 Millionen Euro für die „Bekämpfung illegaler Einwanderung“ an.

Was passiert tatsächlich auf See?

Am 14. Mai 2009 begann nun offiziell die gemeinsame Flüchtlingsabwehr Italiens und Libyens. In den Monaten zuvor gab es besonders viele Ankünften auf Lampedusa und Sizilien und besonders viele Tote. Zum Auftakt erhielt Libyen drei Schiffe, drei weitere sollen folgen. Auf italienischer Seite ist es die Marine und die Finanzpolizei, die mit Libyen zusammenarbeitet. Sie versichern, dass alles „mit vollem Respekt für die Gesetze (Italiens) sowie der EU und der internationalen Abkommen“ ablaufen wird. Genau das ist fraglich. Eigentlich müssten die Flüchtlingen identifiziert werden und die Möglichkeit haben, beim jeweiligen Kommandanten der Boote um Asyl anzusuchen.

Abseits der Jubelmeldungen des italienischen Innenministers Roberto Maroni, dass nunmehr keine Flüchtlinge mehr Lampedusa oder Sizilien erreichen, gibt es wenige Berichte darüber, was tatsächlich auf dem Meer passiert. Die Routen scheinen sich derzeit nach Griechenland zu verschieben.

Dass es in Libyen eine andere Wahrnehmung der Flüchtlingsproblematik gibt, zeigte sich beim Staatsbesuch Gaddafis im Juni in Rom. Bei einer Pressekonferenz sagte er: „Die Rede von Asylwerbern ist eine verbreitete Lüge. Die Afrikaner haben keine politischen Probleme, sie haben keine Identität, sie kommen aus den Wäldern und sagen sich, im Norden gibt es Reichtum, lasst uns dort hinkommen.“

Berlusconi ergänzte: „Seit dem Beginn der Zusammenarbeit gibt es keine neuen Ankünfte von Clandestini. Hoffen wir, dass es so weitergeht. In Libyen befindet sich eine Agentur der Vereinten Nationen, wer Fakten vorweisen kann, die zeigen, dass er Recht auf Asyl hat, wird identifiziert. Und Italien akzeptiert absolut, dass diese benachteiligten Bürger eine Zuflucht in unserem Land finden.“ Die wenigen Meldungen aus Libyen genügen und ein Blick auf die aktuelle italienische Politik, um diesen Aussagen grundlegend zu widersprechen.

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