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Ghaddafis Thron wackelt

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Am 1. September kann Libyens Machthaber Oberst Ghadda-fi das 15. Jubiläum seiner Machtergreifung feiern — wenn er diesen Tag überhaupt erlebt. Denn nach dem Anschlag vom 8. Mai auf die Bab El Azizia-Kaserne, Ghaddafis Tripolitaner Hauptquartier, der mit der Tötung der Angreifer endete, ist die Lage im Land brisanter und unsicherer denn je.

In Tripolis und Bengasi gab es seit Jahresbeginn geheimnisvolle Explosionen, Brände, Sabotageakte, Menschenj agden und öffentliche Hinrichtungen. Zentrum der Unrast waren vor allem die Universitäten und Hochschulen, deren Zöglinge offenbar regimemüde geworden sind.

Ghaddafi hat mittlerweile die Podiumsdiskussionen über die Theorien seines „Grünen Buches" eingestellt. Bei einer solchen ertönte unlängst lautes Murren und Widerspruch, worauf die Aufmüpfigen brutal ergriffen und abgeführt wurden.

Die Repression der Studenten macht indessen in der bis zur Starre eingeschüchterten Öffentlichkeit viel böses Blut. Das aber könnte den Schulterschluß der in-und ausländischen Opposition maßgeblich festigen.

Daß es diese Opposition gibt und daß sie inner- und außerhalb Libyens an Boden gewinnt, das ist die Sensation des nordafrikanischen Zeitgeschehens: eine Offenbarung, die das Tripolitaner Regime mit aller Gewalt zu vertuschen versucht. Denn sie beweist, daß die Unfehlbarkeit beziehungsweise Unverletzlichkeit des Regimes nur vorgespielt war.

Nicht zuletzt zeigt dies die Zahl von wenigstens 15 Angreifern auf das Ghaddafi-Hauptquartier, ihr Rückhalt bei der Bevölkerung und — vor allem — ihre wirkliche Identität. Es gilt als bezeichnend, daß Tripolis gerade über diese Einzelheiten hartnäckig schweigt.

Zuerst ließ das Ghaddafi-Regi-me verlauten, daß Tunesien die Hand im Spiele hatte. Sodann mußten die USA, Großbritannien, die Bundesrepublik und der Sudan herhalten. Schließlich präsentierte der libysche Justizminister Muftah Ke'eiba der spärlich anwesenden Weltpresse einen „amerikanischen Agenten" als Rädelsführer: Ussema Schalluf.

Kein Wort verlautete in den libyschen Medien darüber, daß der wirkliche Kommandochef,

Oberst Havvas, zwei Tage vor dem Handstreich vom 8. Mai während eines Feuergefechts mit der Ghaddafi-Miliz im Räume von Tripolis gefallen, und daß die gesamte Operation von der „Nationalen Befreiungsfront Libyens" — der er angehörte - geplant und durchgeführt worden war.

Ghaddafis mit tunesischem Zutun seit 1981 vorgespielter „gut-nachbarschaftlicher" Idylle setzt das Zeitgeschehen ein jähes Ende. Anfang Mai kaperten libysche

Grenzer eine tunesische Drei-Mann-Patrouille. Weder auf das tunesische Ersuchen um Freilassung, noch auf zwei tunesische Noten antworteten die Libyer anders als mit Beschimpfungen und falschen Anschuldigungen.

Daraufhin berief Tunesiens Präsident Bourguiba seinen Botschafter aus Tripolis ab und ließ durch eine Note erkennen, daß er keineswegs mehr gewillt sei, gute Miene zum bösen libyschen Spiel zu machen. Dazu mußte er sich Rückendeckung seiner arabischen Freunde und westlicher Verbündeten geholt haben. Denn Ghaddafi entgegenzutreten ist nicht ungefährlich und nur dann möglich, wenn sich alle seine Opfer gegen ihn eng verbünden.

Unterdessen prügelt die Ghaddafi-Miliz Hunderte tunesischer Gastarbeiter außer Landes. Sie landen im Grenzort Ben Gardane, müssen oft verarztet, neu gekleidet und mit Heimreisegeld versorgt werden.

„Euch geht es noch gut", flüsterten ihnen libysche Freunde ins Ohr, „ihr könnt wenigstens heraus aus dieser Mondlandschaft. Wir aber müssen hier auf die Stunde warten, bis dieser Alptraum ein Ende findet." Nicht nur Libyer, denen die bisher gestattete Reise nach Tunesien soeben verboten wurde, auch andere Araber müssen warten. Ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit sind sie allesamt mit Ausreiseverbot belegt worden.

Anderen Ausländern geht es kaum besser. Sie mußten jeweils bei ihrer Arbeitsstelle die Pässe deponieren. Zurückbekommen werden sie diese nur dann, wenn Ghaddafi es will. Und das ist - unter den gegebenen Umständen — gewiß kein Musterbeispiel für Freizügigkeit in unserer Welt.

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