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Eine Rede von zweieinhalb Stunden

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Doch vorläufig scheint diese Notwendigkeit wieder in weite Ferne gerückt: Am 18. Jänner, dem tunesischen Nationalfeiertag zum Gedenken an den Beginn des Aufstandes gegen Frankreich im Jahre 1952, hat Burgiba einen triumphalen Einzug in Tunis gehalten, wo er von der Bevölkerung enthusiastisch begrüßt wurde. Vor mehr als 100.000 Zuhörern hielt er auf dem Platz der Kasbah eine zweieinhalbstündige Rede. Schon die Länge der sehr temperamentvoll vorgetragenen Ansprache bewies zweierlei. Erstens einmal, daß Burgiba seine Krankheit gut überstanden hat und wieder in Form ist. Zweitens, daß er auch die seelische Erschütterung und die tiefe Enttäuschung überwunden hat, die jeder charismatische Führer, der sich in mystischer Vereinigung mit seinem Volke fühlt, durchmacht, wenn ihm jemand nach dem Leben trachtet. Wer Burgiba hörte, hatte keinen Zweifel mehr, daß er wieder mit neuerwachtem Elan die Zügel in die Hände genommen hat, und sich von den Wogen der Popularität getragen fühlt. Wohl waren die Sicherheitsmaßnahmen größer als früher, doch ist dies ein normaler Reflex jeder Polizei, wenn sie einmal beinahe überrumpelt worden wäre. Die Rede Burgibas war zweierlei: Schlußstrich unter dem Komplott und Ankündigung einer außenpolitischen Akzentverschiebung.

Der Prozeß der Komplotteure ist mit einer in solchen Fällen ganz ungewöhnliche Eile durchgeführt worden. Offensichtlich wollte man so schnell wie möglich mit dieser unerfreulichen Affäre aufräumen, und vor allem der so leicht erregbaren und Gerüchten zugänglichen Bevölkerung das „wahre Gesicht“ der Verschwörer zeigen, um zu beweisen, daß es sich nicht um eine ernstzunehmende Gruppe handle. Dies ist dem Regime nicht allzuschwef getaner,'-nenn die Verschwörer waren eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von unzufriedenen Offizieren, Ex-Maquisards und Yussefisten, ohne Format oder Niveau. Das Auftreten dieser Angeklagten im Prozeß, der übrigens sehr ruhig und fair geführt wurde, war derart kümmerlich und ihre Motive dermaßen rein persönlicher Natur, daß die öffentliche Meinung drauf und dran war, die ganze Verschwörung als eine dilettantische Kinderei abzutun. Diese Reaktion wäre aber auch unerwünscht gewesen. Wohl wollte man mit dem Prozeß zeigen, daß es keine ernsthafte Opposition gegen das Regime gibt, sondern nur einige unzufriedene Individuen, anderseits wollte man aber auch, daß die Verschwörung, und damit die Gefahr, der das Regime entronnen war, ernst genommen würde. Da kam .die Ermordung des togolesischen Präsidenten Sylvanus Olympio, wenn man sich etwas frivol ausdrücken will, für die tunesische Führung gerade zur rechten Zeit. Auch ohne Nachhilfe durch die Parteipresse hätte es jedermann nun verstanden, daß das, was die obskuren Leutnants und Korporale im Togo mit Olympio gemacht hatten, auch diese Angeklagten mit Burgiba hätten durchführen können. Das Resultat war denn auch ein ganz eindeutiges Schließen der Reihen um Burgiba.

Die Katze ans dem Sack

Doch der außenpolitische Aspekt der Rede vom 18. Jänner brachte eine eigentliche Sensation. Wohl wußte jeder Nordafrika-Korrespondent, der einmal mit dem algerischen Präsidenten gesprochen hatte, mehr oder weniger pikante und geschmackvolle Ausfälle Ben Bellas gegen Burgiba zu erzählen. Es war bekannt, daß er für den tunesischen Präsidenten, der ja auf die Karte Ben Khedda gesetzt hatte, nicht viel Liebe übrig hatte. In den ersten Tagen nach Aufdeckung der Verschwörung sprachen hiesige offizielle Stellen von einem „Nachbarstaat“, der den Komplotteuren geholfen habe. Es war klar, daß damit Algerien gemeint war, zumal sofort die

Grenze mit diesem Land geschlossen wurde. Doch später taten dieselben Kreise wieder sehr verschämt, wenn man auf diesen Punkt zu sprechen kam. Und während des Prozesses wurde das Kapitel „Verzweigungen ins Ausland“ hinter verschlossenen Türen verhandelt. Daher kam es einigermaßen überraschend, als Burgiba in seiner Rede die Katze aus dem Sack ließ. Die Überreste der Yussefisten, die früher in Kairo saßen, hätten sich nun in Algier versammelt, wo sie die Unterstützung der dortigen Regierung genössen. Der algerische Konsul in Tunis habe einem der Verschwörer zur Flucht verholfen. Burgiba nahm kein Blatt vor den Mund: Tunesien habe keine Angst vor dem französischen

Kolonialismus gehabt und werde auch mit einem Ahmed Ben Bella fertig. Allerdings fügte Burgiba sofort hinzu, daß man das befreundete, brüderliche algerische Volk nicht mit Ben Bella gleichsetzen dürfe. Schließlich ist ja der Vereinigte Maghreb ein Postulat der tunesischen Außenpolitik. Doch das vorläufige Resultat sind nun die Abberufung des tunesischen Botschafters aus Algier — die Algerier hatten überhaupt noch keinen Botschafter in Tunis — und der Abbruch sämtlicher Verhandlungen über Wirtschaftsfragen.

Parallel zum Bruch mit Algerien geht nun aber eine Versöhnung mit Marokko, welches ja seit der Anerkennung Mauretaniens durch Tunesien gegen letzteres verschnupft war. Die Überraschungsreise Mongi Slims nach Rom, um sich mit seinem marokkanischen Kollegen Ahmed Balafrej zu treffen, welche kurz nach Aufdeckung des Komplottes stattfand, erscheint nun in einem neuen Licht. Offensichtlich hatte Burgiba, als ihm die Querverbindungen der Verschwörer nach Algerien klar geworden waren, keine Zeit verlieren wollen, um sich eine maghrebinische Rückendeckung zu verschaffen. Er will nun mit Hassan IL dessen Regime ihm ja ideologisch und temperamentsmäßig sympathischer ist, als die Revoluzzer von Algerien, endlich die Beziehungen normalisieren.

Von einer gewissen Bedeutung dürfte auch die Tatsache sein, daß als Folge des Komplottes die kommunistische Partei in Tunesien verboten wurde. Wohl hatte sie zahlenmäßig keine Bedeutung (zwei- bis dreitausend Mitglieder), aber ihre Zeitung wurde doch in intellektuellen Kreisen gelesen, welche sehr oft Burgibas

Regime kritisierten. Der „Combattant Supreme“ nahm denn auch in seiner Rede scharf gegen den Kommunismus Stellung und erklärte, daß Tunesien nicht ein Satellit von Rußland oder gar China werden möchte, Worte, welche bisher selten mit solcher Deutlichkeit ausgesprochen wurden.

Anderseits gestalten sich die Beziehungen zu Frankreich immer besser. Alle noch anhängigen Probleme werden in zäher diplomatischer Arbeit, aber in einer ausgesprochen guten Atmosphäre nach und nach aus dem Weg geschafft — kurz, zu Beginn dieses Jahres sieht die Zukunft für das Regime Burgibas sehr viel besser aus, als man es in jenen Dezembertagen vorausgesehen hatte.

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