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Drei in einem Buick

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Kurz vor dem Ende des reich bewegten maghrebinischen Jahres 1963 fuhr - vom Volke gebührend bejubelt — ein kurioses Dreigestirn mit dem tunesischen Präsidenten-Buick im ehemaligen französischen Marinestützpunkt von Bizerta nördlich Tunis ein. In der Mitte fuchtelte die schwerköpflge Zwerggestalt des tunesischen Staatschefs Burgiba, der Held des Festtages, mit den Armen. Nach seinem wahnwitzigen bewaffneten „Volksmarsch“ auf die französische Restenklave vom Jahre 1961 und nachfolgenden schier endlosen Verhandlungen mit Paris war es ihm endlich gelungen, die fremden Kriegsmariner zum friedlichen Abzug zu bewegen. Neben ihm reckten sich als Festbeigabe der panarabische Herkuleskörper des ägyptischen Staatsoberhauptes Nasser, auf der anderen Seite Algeriens sozialistisches Idol Benbella.

Noch bis Anfang dieses Jahres war Burgiba Hauptzielscheibe des von Nasser und Benbella teils im Einzelgang, teils gemeinsam betriebenen Kesseltreibens gegen „verräterische Regime“ an der arabischen beziehungsweise sozialistischen Sache. Jahrelang hatte Burgiba sich als auserlesenes Opfer gedungener Mörder und Konspirateure, die abwechselnd von Kairo und Algier gegen ihn ausgeschickt sein sollten, bejammert. Sein ehemaliger innenpolitischer Widersacher Salah Ben Yussuf lebte in der Tat von Nassers Gnaden vorwiegend im Kairoer Exil, bis ihm das Schicksal widerfuhr, welches er mit Nassers Hilfe angeblich Burgiba zugedacht hatte, nämlich umgelegt zu werden. Die Schergen, welche das Liquidationswerk an Nassers Schützling vor zwei Jahren in einem Frankfurter Hotel verrichteten, waren von Burgiba geschickt. Ben Yussufs politische Erben tauchten 1962 im Gefolge Benbellas wieder auf, als dieser seine Machtübernahme im gerade unabhängig werdenden Algier vorbereitete. Benbella war gerade anläßlich des algerischfranzösischen Waffenstillstands aus de Gaulles Internierung entlassen worden und stattete Marokko wie Tunesien je einen kurzen Höflichkeitsbesuch ab, um sich des weiteren solgeich nach Kairo zu begeben. Der Empfang bei Burgiba war entsprechend kalt verlaufen. Böse Zungen behaupten schließlich noch heute, daß Burgiba die Nachricht vom „Kidnapping“ Benbellas durch französische Luftpiraten während eines Fluges von Rabat nach Tunis fünf Jahre vorher frohlockend, wenn nicht „mitwissend“ zur Kenntnis genommen habe. Algeriens heutiger Staatschef galt zumindest damals als Exponent des von Kairo infizierten radikalen Flügels der algerischen Aufständischen, die Burgiba allzu gern unter seine exklusiven Fittiche gestellt sehen wollte.

Der jüngsten ungewöhnlichen Zusammenkunft der ausgemachten Feinde in Bizerta war nicht einmal ein revolutionierender Wandel der Beziehungen zwischen den Maghre-binern untereinander und zu Kairo vorausgegangen, wohl aber Nuancenverschiebungen. Die Annäherung zwischen Algier und Tunis hatte sich keineswegs aus plötzlich entdeckter Sympathie ergeben, sondern als indirekte Folge der zunehmenden Verschlechterung der zunächst kühlen, doch friedlichen Nachbarschaft Algeriens zum Königreich Marokko, mit dem auch Tunesien noch nie sonderlich gut stand. Selbst der Umschlag des unterkühlten marokkanisch-algerischen Verhältnisses zum heißen Schießkrieg im Oktober entsprang nicht einmal algerischer Initiative oder gar algerisch-tunesischer Verständigung, sondern des marokkanischen Königs Hassans einsamem Entschluß, seine alten Ansprüche auf die Westsahara unter gleichzeitigen militärischen Demonstrationen auf bisher algerischem Wüstengebiet endlich geltend zu machen. Algier war gezwungen, seine bislang mehr gegen Burgiba ausgerichtete revolutionäre Überlegenheitspropaganda auf Antiroyalismus zu konzentrieren. Die Chance, welche sich hieraus für das kleine, im Grunde weder in Rabat, Algier noch Kairo beliebte, unter Minderwertigkeitskomplexen leidende burgibistische Tunesien ergab, wurde von diesem auch richtig erkannt. Burgiba warf sich zum vermittelnden Ankläger des „sinnlosen Bruderkriegs“ auf und machte im übrigen — obwohl selbst stille Anschlußwünsche auf algerische Saharagebiete hegend, auf freundliche Neutralität — zugunsten Benbellas.

Nasser hingegen, seit dem tunesischen Unabhängigkeitsjahr 1955 wegen seiner panarabischen Einflußnahme auf die in Tunesien stationierten algerischen Freiheitskämpfer und auf Burgiba-Widersacher Yussuf von Tunis als außenpolitischer Staatsfeind Nummer Eins betrachtet, hatte seit langem an gefährlichem übernationalem Ansehen eingebüßt. Nassers Fehlschläge im Nahen Osten, der offene Bruch zwischen Marokko und Kairo — einst im sogenannten Pakt von Casa-blanca, wenn auch ohne wahre Liebe zusammengeschlossen — dazu noch schließlich die recht lau gewordene Haltung selbst Benbellas gegenüber seinem Kairoer Altverbündeten hatten den Ägypter für Burgiba mittlerweile als Staatsgast tragbar, ja nützlich gemacht. Wenn Nassers ehemaliger Hochglanz für Burgiba gefährlich war, so der Besuch des verblassenden Idols ein nachträgliches Eins-zu-Null für den Tunesier. Während Burgiba früher Konferenzen und Treffen mied, zu denen Nasser erschien, damit anderen lauen „Bruderländern“, wie Marokko, Ausspielmöglichkeiten in die Hand gab, war es jetzt der marokkanische König Hassan, der dem arabischen Winterfest von Bizerta fernblieb, um nun seinerseits nicht mit Nasser (und Benbella) zusammentreffen zu müssen. Den Triumph Burgibas voll zu machen, ließ des Königs entsandter Minister Butaleb indessen wissen, daß auch Hassan am aufgewerteten Tunesien nicht ganz vorbeigehen könne und seinen Festbesuch „nachholen“ werde — nach Abreise der beiden Feinde aus Algier und Kairo.

Eine nachhaltige Dauer der „Achse Algier-Tunis-Kairo“, zu der findige Kommentatoren das mehr oder weniger zufällige Dreiertreffen schon ausbauten, braucht der zur Zeit in Burgibas einstige Schmollrolle gedrängte Hassan freilich kaum zu fürchten. Die drei „Achsenpartner“ redeten schon während ihres gemeinsamen Auftretens in Bizerta nachhaltig aneinander vorbei. Burgiba wähnte sich auf dem höchsten Stande seines Ansehens in der arabischen Welt und belehrte Nasser wie Benbella über Tunesiens „eigenen Arabismus“ wie seine eigenen sozialen Fortschrittsmethoden. Benbella betonte, hiervon unberührt, seine Führungsrolle zum afrikanischen Sozialismus algerischer, weder von Burgiba noch Nasser geschätzten Patentversion. Nasser legte ebenso unbelehrt seine reichlich verkratzte Platte auf, nämlich die Einheit — natürlich unter Kairoer Direktion — gegen Panarabiens Erzfeind Israel, für die sich wiederum weder Benbella, noch weniger Burgiba erwärmen lassen.

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