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Die Verschwörung des 13. Mai

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War die Errichtung des gaullistischen Regimes ein Zufall, entsprach sie den politischen Kräfteverhältnissen in Frankreich oder konnten wirklich obskure Verschwörer die Geschicke einer großen europäischen Nation derartig beeinflussen, daij eine vollkommen neue Form der politischen Willensbildung gefunden werden muhtet Die staatlichen Archive, welche die Vorgänge um den 13. Mai 1958 beleuchten, sind dem Forscher vorläufig verschlossen. Aber unzählige Erinnerungsbücher sowie Prozehakte gestatten es doch, diese dramatischen Stunden der Machtergreifung de Gaulles in den Einzelheiten zu analysieren. Man gewinnt dadurch ein immerhin umfassendes Bild van den Erwartungen und Wünschen der beteiligten Personen, den Vorstellungen der Parteien und der Rolle der französischen Armee.

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War die Errichtung des gaullistischen Regimes ein Zufall, entsprach sie den politischen Kräfteverhältnissen in Frankreich oder konnten wirklich obskure Verschwörer die Geschicke einer großen europäischen Nation derartig beeinflussen, daij eine vollkommen neue Form der politischen Willensbildung gefunden werden muhtet Die staatlichen Archive, welche die Vorgänge um den 13. Mai 1958 beleuchten, sind dem Forscher vorläufig verschlossen. Aber unzählige Erinnerungsbücher sowie Prozehakte gestatten es doch, diese dramatischen Stunden der Machtergreifung de Gaulles in den Einzelheiten zu analysieren. Man gewinnt dadurch ein immerhin umfassendes Bild van den Erwartungen und Wünschen der beteiligten Personen, den Vorstellungen der Parteien und der Rolle der französischen Armee.

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Der 13. Mai 1958 hat zwei Schauplätze: das Forum in der Hauptstadt der nordafrikanischen Provinz Algerien und Paris. Der Historiker ist gezwungen, immer wieder diese beiden Orte anzuführen, um das wechselseitige Spiel der Kräfte zu erläutern.

Im Gegensatz zu Tunis und Marokko lebten in Algerien zwei rassisch getrennte Gemeinschaften. Ungefähr 1,300.000 Franzosen. Diese weißen Siedler stammten vielfach aus Spanien, Malta und sonstigen Mittelmeerstaaten, aber fühlten sich durchaus als Franzosen. Sie huldigten einer sehr extremen Form des

Nationalismus. Unter ihnen befanden sich auch die Söhne und Enkel jener Franzosen, die 1870/71 aus dem deutsch gewordenen Elsaß auswan- derten, um ihre Treue zu Frankreich kundzutun.

Mit ihnen und neben ihnen lebten 8,000.000 Araber, die bisher nie eine eigene Nation in der Geschichte gebildet hatten. Zwischen den Bewohnern der Städte und den kriegerischen Bergstämmen im Aures war wenig Gemeinschaft zu finden. Algerien selbst war rechtlich ein Bestandteil des französischen Mutterlandes. Den Arabern wurden sehr geringe politische Rechte eingeräumt.

Die beiden rassisch getrennten Gemeinschaften arbeiteten nebeneinander, aber nicht miteinander. Heiraten zwischen den Schwarzfüßen und den Algeriern sind in den seltensten Fällen zu verzeichnen gewesen.

Algerien spielte im zweiten Weltkrieg für die gaullistische Befreiungsarmee eine bedeutende Rolle. Die erste provisorische französische Regierung wurde in Algier 1943 gebildet.

Die Moslems suchten in nationalistischen Parteien ihre politische Gleichberechtigung zu erlangen, ohne nennenswerte Erfolge zu erzielen. Nach dem Kriege fanden Putsche in verschiedenen Orten statt, die mit unsagbarer Brutalität unterdrückt wurden. Die bescheidenen Konzessionen, welche die Araber erhielten, waren keineswegs mit der in Gang gesetzten Entkolonialisierung in Asien und Afrika zu vergleichen.

Arabischer Nationalismus

Am 1. November 1954 brach ein Aufstand in Algerien aus und eine neue politische Partei, die FLN, löste die bisherigen nationalistischen Bewegungen ab. Ihr Führer, Ben Bella, wurde vom neuen Herrn des Nils, Nasser, unterstützt, aber auch Tunis und Marokko, die später ihre Souveränität gewonnen hatten, sahen sich gezwungen, die arabischen Brüder zu unterstützen. Diese Auseinandersetzung artete zu einem subversiven Krieg aus, der sich durch besondere Grausamkeit auszeichnete. Die Algerier benützten alle Formen des Terrors, um die weißen Mitbürger in Unruhe und Schrecken zu versetzen. Das Bombenattentat wurde das beliebteste Mittel dieses Kampfes.

Algerie francaise...

Nachdem die französische Verwaltung in Algerien unter der Leitung des bulligen Gewerkschaftsbosses Lacoste nicht in der Lage war, die Ordnung wiederherzustellen, wur-

den die „Barachiutistes“ des legendären Generals Massu beauftragt, den Terror zu brechen. In der Schlacht um Algier gelang es den Paras wirklich, die algerischen Terroristen zu besiegen. Es kann allerdings nicht verschwiegen werden, daß von einzelnen Truppenteilen auch die Folter verwendet wurde, um der FLN das Rückgrat zu brechen.

In den ersten Monaten des Jahres 1958 befanden sich bereits 500.000 Mann französischer Truppen in Algerien und diese gewaltige Armee bildete sich langsam zu einem Staat im Staat heraus, der kaum mehr bereit war, allen Befehlen aus Paris Folge zu leisten. Ihr Oberbefehlshaber war der berühmte General Salan, genannt der Mandarin, ein politischer General, Freimaurer und den Sozialisten sehr nahe stehend. Es muß besonders betont werden, daß die Gaullisten in Algerien eine winzige Minderheit darstellten. Zahlreiche nationalistische Verbände förderten die Vorstellung von einem französischen Algerien. Die aktivste Gruppe waren die Studenten, unter der Führung eines exaltierten bärtigen jungen Mannes, Lagaillarde, der später eine bedeutende Rolle im algerischen Drama spielen sollte.

In Paris löste eine Regierung die andere ab, zu schwach, den Krieg zu führen, zu schwach, echte Friedensverhandlungen mit den FLN einzuleiten. Die drei staatstragenden Parteien, die katholischen Volksrepublikaner MRP, die Sozialisten und die rechtsstehenden Unabhängigen haben niemals eine echte algerische Politik entwickelt und nur den Gegebenheiten des Tages gehuldigt.

Die IV. Republik befand sich in den Händen der gesetzgebenden Versammlungen, die nicht bereit waren, der Exekutive irgendwelche Rechte zuzubilligen. Der gütige, aber schwache Staatschef Coty konnte diese Gegensätze kaum überbrücken. General de Gaulle hatte sich in die Einsamkeit zurückgezogen, arbeitete an seinen Erinnerungsbüchern und trat manchmal als nationale Kassandra auf. In Paris selbst wirkten verschiedene geheime Gesellschaften, die den Sturz der IV. Republik vorbereiteten und einen autoritären Ständestaat wünschten. Der Einfluß dieser Gruppen wurde von findigen Journalisten unendlich vergrößert, in Wirklichkeit handelten diese Überreste „der Kapuze“, eine Geheimgesellschaft von Reserveoffizieren zwischen den beiden Kriegen in einem luftleeren Raum. Dagegen hatten sich einige Politiker der algerischen Sache besonders angenommen, unter anderem der langjährige Außenminister und MRP-Chef Bi- dault und der bedingungslose Gaullist Soustelle.

Natürlich wurde viel intrigiert, geflüstert und Pläne vorbereitet, aber im Letzten lag die Entscheidung bei der französischen Armee in Algerien, dem wohl bedeutendsten Machtfaktor der Republik. Nach einer längeren Regierungskrise wurde der Präsident des MRP, Pflimlin — heute Bürgermeister von Straßburg —, als Ministerpräsident berufen. Pflimlin ging der Ruf voraus, ein Verhandle! zu sein, das heißt, er wolle mit den FLN Friedensgespräche einleiten.

Am Nachmittag des 13. Mai 1958 wurde eine Kundgebung der weißen Algerier in ihrer Stadt organisiert, um gegen die Erschießung von drei französischen Soldaten durch die FLN zu protestieren. Unter der Leitung des Studentenführers Lagail- larde artete diese Zusammenkunft in einen Aufstand aus. Der Palast des Generalresidenten wurde erstürmt — Lacoste befand sich zu dieser Zeit in Paris — und Algier kündigte der neuen Regierung die Treue auf.

Parlamentarier in die Seine

Nach einigem Zögern unterstützte zuerst der Para-General Massu die Aufständischen und bildete sogenannte Wohlfahrtsausschüsse, welche die bisherige Verwaltung ersetzten. General Salan versuchte mit der Regierung Pflimlin zu verhandeln, aber der Ministerpräsident mußte mit Schmerz feststellen, daß ihm praktisch die staatliche Ordnung unter den Fingern zerbrach. Die Armee wollte Paris einfach nicht mehr gehorchen. Der Plan „Auferstehung“ sah sogar die Landung der Fallschirmtruppen in Paris vor, man wollte den Parlamentariern ein kühles Bad in der Seine bereiten. Es ist so gut wie sicher, daß General de Gaulle über den Putsch in Algerien vorher nicht unterrichtet war und auch den Plan „Auferstehung“ lediglich am Rande kannte. Er verstand es jedoch sehr geschickt, sich als Retter des bedrohten Vaterlandes hochzuspielen, eben die einzige Persönlichkeit, die in der Lage wäre, einen Bürgerkrieg zu verhindern. Nachdem kurz darauf auch die Insel Korsika von der Armee in Algerien und den revoltierenden Wohlfahrtsausschüssen erobert wurde, mußte Staatschef Coty de Gaulle zur Regierungsbildung eimladen.

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