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RAOUL SALAN / DAS ENDE EINES TRAUMAS

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A/s der „meistdekorierte Offizier der französischen Armee“, der Ex-general und Führer der Geheimarmee OAS, Raoul Salan, in einem modernen Wohnhaus im Universitätsviertel von Algier von fünf Polizeibeamten verhaftet wurde, safi er gerade hinter seinem Schreibtisch. Er trug einen falschen Schnurrbart, sein Personalausweis lautete auf den Namen Louis Carriere. Er saß hinter einem Schreibtisch. Es war am Karfreitag, und Salan, der Führer einer Untergrundorganisation, deren Schrek-kenstaten in der Geschichte der politischen Kriminalität ihresgleichen suchen, schickte sich gerade an, mit seiner Frau und seiner sechzehnjährigen Tochter die Oster-feiertage zu verbringen. Er und seine beiden Adjutanten wurden verhaftet und abgeführt, ohne daß ein Schuß gefallen wäre. Es war nach 12 Uhr mittag. Am Nachmittag wurden die Verhafteten mit einem Militärflugzeug nach Paris geflogen. Am späten Abend erreichte der lange Konvoi, bestehend aus Polizeifahrzeugen verschiedener Art, das Pariser Sante-Gefängnis.

Die Öffentlichkeit erfuhr von dem sensationellen Fang der Polizei durch das Radio. Vor und in dem Gefängnis selbst, wo über vierhundert politische Gefangene auf ihre Aburteilung warten, fanden an diesem Abend Demonstrationen statt: „Salan an die Laterne“, schrien die Demonstranten. Aber die „Vive-Salan“-Rufe überwogen allmählich. Autofahrer, Straßenpassanten, darunter auffallend viele junge Mädchen, schrien und sangen, bis die Polizei mit Tränengasbomben eingriff.

Der auf diese Weise zu zweifelhafter Popularität gelangte Ex-general war nie eigentlich volkstümlich. In Offizierskreisen nannte man ihn „der Mandarin“: dieser General, der den Großteil seiner Karriere in fernöstlichen Kolonien verbrachte, ließ niemanden hinter seine Maske aus Hochmut, Intelligenz und scheinbarer Gleichgültigkeit blicken. Wie seine Kritiker jedoch heute feststellen, war er im Grunde das, was er in der Stunde seiner Verhaftung durch die Verkleidung nur vortäuschen wollte: ein Kleinbürger, kein Held, trotz seiner vielen Auszeichnungen, die einst seine prachtvolle Uniform zierten.

Raoul Salan wurde am 10. Juni 1899 in Roquecourbe in Südwestfrankreich geboren. Als Abkömmling einer gutbürgerlichen Familie absolvierte er die Militärakademie Saint-Cyr und diente nachher fast ununterbrochen im Osten und Nahen Osten. Den zweiten Weltkrieg verbrachte er in Afrika. Im Stab des legendären Generals de Lattre nahm er 1944 als junger Brigadegeneral an den Kämpfen in der Provence teil.

Von 1945 an bekleidete Salan nacheinander die höchsten Funktionen, welche die Armee Frankreichs ihren Generälen nur geben kann: er war Oberbefehlshaber der französischen Truppen im Fernen Osten, Oberbefehlshaber in Nordvietnam und schließlich in Indo-china, wo er schließlich, 1954, Zeuge der verhängnisvollen Niederlage bei Dien-Bien-Phu wurde.

Über seine politische Einstellung gab es immer schon verschiedene Versionen. Er war eigentlich kein ..Gaullist“ und anfangs auch kein Freund der „Ultras“. Nachdem er

1956 Oberkommandierender der 10. Militärregion in Algerien wurde, entging er am 17. Jänner

1957 einem Mordanschlag — das war die seither vielgenannte Ba-zooka-Affäre — nur durch einen Zufall. Im Mai 1958 war er auch keinesfalls der Initiator der Ereignisse, obwohl er damals den „Obersten“ , jenen Offizieren, die heute den wichtigsten Stab der OAS bilden, bereits recht nahe stand. Er rief aber im geeigneten Moment sein „Vive de Gaulle“ — und erhielt daraufhin aus Paris alle Vollmachten. Erst im Dezember 1958 mußte er aus Algerien nach Paris zurückkehren. Im Juni 1960 erreichte er die Altersgrenze.

Von nun an bezog Salan unmißverständlich Stellung. Ende Oktober 1960 flüchtete er nach Spanien. Dort nahm er mit den Exponenten der OAS Fühlung auf. Im darauffolgenden April traf er in Algerien ein. Das letzte Kapitel begann. Salan hat alles, was seither geschah, mit seinem Namen gedeckt, obwohl er gar nicht die treibende Kraft, eher nur ein Mitläufer der OAS war.

Seine Verhaftung und die seither bekanntgewordenen Einzelheiten haben die Franzosen von einem jahrelangen Trauma befreit. Eine revolutionäre Diktatur der Armee schien bereits zur Zeit der letzten großen Krisen der Vierten Republik bevorzustehen. Salan war einer der Generäle, die man für die Rolle eines Diktators geeignet hielt. Er galt für viele neben de Gaulle als die andere, die gefürchtete Alternative. Dieses Trauma hat sich nun in Nichts aufgelöst.

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