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Der Baß des Generals Moscardo

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Von Josef Hans Lazar, Madrid

Der berühmte Verteidiger des Alcazar von Toledo. Generalleutnant Moscardö. erkrankte in der letzten Zeit so schwer, daß man nicht mehr an eine Gesundung glaubte. Er erholte sich nichtsdestoweniger und konnte von seinem Gut nach Madrid übergeführt werden.

Als ich im Sommer 1938 nach Spaniel kam, war die heroisch-romantische Episode des Alcazar schon in die Geschichte über gegangen. Die nationalen Truppen, die au: Madrid zumarschierten, waren nach Tolede abgeschwenkt zum Entsatz des Generals, dei mit seiner heldischen Schar sich in der Ruinen der einstigen Residenz der Kalifen die später zur Militärakademie umgebaui worden war, verteidigte. Gleichgültig, wi das Urteil über das strategische Ergebnis dieser Operation lauten mag, der psychologisch Erfolg reichte und reicht weit über die Grenzen von Raum und Zeit und ist zum Epos nationalen Heldentums geworden.

Im Sommer 1938 kommandierte Genera: Moscardö einen Frontabschnitt mit dem Zentrum in Lerida. Der Fluß Segre fließt mitten durch die Stadt; an der nördlichen Uferseite ist das Geschäftsviertel, an der südlichen das Villenviertel. Am Nordufer waren die Nationalen, am Südufer die Roten. Ich war Gast General Moscardös. Das Essen in seinem Hauptquartier verlief vorschriftsmäßig unter Beisein mehrerer höherer Offiziere und jüngerer Adjutanten. Daß ich selbst einmal Offizier, Frontkämpfer und schwerverwundet war, bildete eine willkommene Gesprächsbrücke. Als das Essen zu Ende war, forderte mich der General auf, an einem Ball teilzunehmen. Ich nahm mit offen ausgedrücktem Dank und sorgsam unterdrückter Neugier an. Meine Neugier steigerte sich, als der Weg zum „Bailokal“ uns direkt auf die Schützengräben zuführte. Das „Bailokal“ befand sich tatsächlich in der Feuerlinie selbst, in einem Kaffeehaus am Nordufer des Segre, spärlich maskiert und noch spärlicher geschützt durch einen niederen Wall von Sandsäcken. Das Lokal war hell erleuchtet, die Musikkapelle spielte, Mädchen in Pflegerinnenuniform und in Zivil tanzten mit Offizieren. Man aß, trank und sang. Geschossen wurde nicht, weder von der einen noch von der anderen Seite. Es würde damals sehr viel ein Lied gesungen, dessen letzte Zeilen wie folgt lauten:,

„Yo te dare, nina hermosa, te dare una cosa, que yo sölo se: cafe!“

Der Sinn lautet ungefähr, daß der Sänger seinem Schatz etwas ganz Besonderes verehren wird: Kaffee. Die damalige Rarheit des in Spanien so beliebten Getränkes bildete wohl den Grund für die Volkstümlichkeit dieses an beiden Seiten der spanischen Bürgerkriegsfront mit Begeisterung gesungenen Liedes. Wenn man im „Bailokal“ der nationalen Front zum Refrain gelangte, hielt man immer kurz inne und dann schrien alle Anwesenden, soweit nur die Spannung ihrer Stimmbänder reichte, im drohenden Chor: „Cafe!“ und jedesmal hallte es von der anderen Seite des Segre unweigerlich mit dem gleichen Stimmaufwand wie ein Echo wider: „Caf6!“ Und wenn von der nationalen und von der roten Seite der Ruf nach dem Kaffee verhallt war, dann trat jedesmal eine längere Pause ein, während der kein Laut zu hören war, und dann hörte man einen tiefen Baß allein für sich rufen: „Cafe !“

Es war- der Baß des Generals Moscardö. Wie mir einige jüngere Offiziere erzählten, bildete es einen der größten Schlager für beide Seiten der spanischen Bürgerkriegsfront, den General Moscardö im tiefen Baß „Cafe“ rufen zu hören. Einer ging sogar soweit, mir in vorgeschrittener Stunde zu sagen, daß der ganze Ball überhaupt nur dazu veranstaltet würde, damit Nationale und Rote gleichermaßen auf ihre Kosten kämen und den schon legendär gewordenen General nach Kaffee rufen hörten.

Im übrigen hörten Tanz, Musik, Essen und Trinken mit dem Augenblick auf, da der General aufstand. Im gleichen Augenblick verlöschten die Lichter. Im gleichen Augenblick begann man zu schießen, von hüben und von drüben. Das Zwischenspiel war zu Ende, der Krieg ging weiter. Am nächsten Morgen stand ich oben im Hof der hochgelegenen gotischen Kirche von Lörida mit dem General in einem Unterstand. Man konnte das Südufer im hellen Sonnenschein auch mit freiem Augen klar überblicken. Ein Feldwebel hatte den Karabiner angelegt und war im Begriffe, seine Schießkunst dem General vorzuführen Es war zwar kein Gegner zu sehen, doch bildete ein rotes Propagandaplakat zur Not eine Zielscheibe. Gerade als der Feldwebel abdrücken wollte, fiel ihm der General in den Arm. Ich wußte zuerst nicht warum, dann aber verstand ich: ein etwa achtjähriger Bub hockte hinter dem Plakat, durch das er sich wohlgedeckt meinte.

„Fast hätten Sie einen unserer Soldaten gefährdet“, brummte im Baß der General. Ich verstand ebensogut wie der Feldwebel. Es waren ja keine Feinde auf der anderen Seite, sondern nur Gegner, und der achtjährige Bub ein künftiger Soldat Spaniens.

General Moscardö war während des zweiten Weltkrieges Generalkapitän von Katalonien. Ich besuchte in seiner Begleitung das berühmte Kloster von Montserrat. Der Abt und das Kapitel empfingen uns mit den dem Generalkapitän gebührenden Ehren. Auch das Essen im Gasthaus des Klosters entsprach dem Range des Generals. Ganz selbstverständlich auch das Trinken. Es wurden die besten Jahrgänge eingeschenkt und die Alkoholgrade jedes Weines vom Kellermeister des Klosters dem General zugeflüstert. Jedesmal antwortete darauf der General unweigerlich mit seinem tiefen Baß: „En la sombra!“ Das heißt: „Im Schatten!“ — womit er meinte, daß die Alkoholgrade wohl im Schatten so hoch wären, aber bedeutend höher in der Glut des Sonnentages. — Der General hatte es an diesem Tage wahrscheinlich darauf abgesehen, mich unter den Tisch zu trinken, da er mir jedesmal, nachdem er „en la sombra“ gebrummt hatte, zutrank und ich mich jedesmal verpflichtet fühlte, auszutrinken. Immerhin zog ich mich dank der Hilfe des Abtes, der, bevor ich noch das

Ende meiner Kräfte erreicht hätte, den Tisch aufhob, halbwegs aus der Affäre.,

Nicht lange darauf war der General Gast in meinem Hause. Außer ihm waren unter anderen der Präsident der Cortes, Esteban Bilbao, der Minister Arese und zwei ausländische Missionschefs anwesend. Ich ließ gute Weine ausschenken, unter anderem einen Johannisberger Schloßabzug 1929, der eine Gabe der gleichfalls anwesenden Fürstin- Witwe Lsabel Metternich war. Einem der Anwesenden fiel es ein, Wasser in-seinen Johannisberger zu schütten. Der General, der ihm schräg gegenüber saß, schaute durch seine funkelnden Brillen lautlos seinem Tun zu, dann hörte man aber seinen tiefen Baß durch die Stille: „A la sombra!“, was wörtlich „In den Schatten!“ und sinngemäß „Weg mit ihm!“ heißt.

Ich glaube, daß ich allein den zu meiner Rechten sitzenden General hörte. Jedenfalls war ich es allein, der ihn verstand.

Der Alcäzar von Toledo soll nunmehr wieder aufgebaut werden. Bisher war er jedoch im gleichen Zustande, in dem sich die Ruinen nach dem Entsatz durch die nationalen Truppen befanden, als nationales Denkmal erhalten. Ich besuchte seinerzeit in Begleitung General Moscardös die Stätte seines Ruhmes. Natürlich kam man auch in den Raum, in dem sein Hauptquartier eingerichtet gewesen war. Das berühmte Telephon, durch das er mit seinem Sohn sprach, als dieser von den Roten genötigt wurde, seinen Vater um den Preis seines Lebens zur Uebergabe des Alcäzar aufzufordern, stand auf einem Tisch, an der Wand darüber auf einem Pergament das historisch gewordene Gespräch zwischen Vater und Sohn.

Bei dieser Gelegenheit hörte ich den Baß des Generals Moscardö nicht. Er betrat überhaupt nicht den Raum. Er blieb draußen stehen und schaute schweigend von den hochgelegenen Ruinen auf Toledo hinunter. Ich sagte auch nichts; ich ging allein weg und wartete beim Ausgang, bis er wieder zu mir kam.

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