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Boumedienne fest im Sattel

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Algeriens neuer Chef Boumedienne präsentierte sich erstmals lächelnd und mit Krawatte. Er war gekommen, ein neues ““.“.Exekutivsekretariat“ der FLN, welches des gestürzten Benbella Politbüro ersetzt, in dem zum Parteihaus umgewandelten ehemaligen französischen Armeehauptquartier vorzustellen. Auf den gleichen Bau schössen vor acht Jahren gaullistische Gegner des damaligen französischen Oberkommandierenden in Algerien, Salan, von benachbarten Dächern eine Panzerfaust ab, ohne ihn zu treffen. Der General war gerade nicht da.

Boumedienne fürchtet bis jetzt noch kein Attentat. Das Land ist ruhig und recht zuversichtlich. Stellten die mehr oder weniger durch Benbellas Sturz verursachte Verschiebung der afro-asiatischen Gipfelkonferenz von Algier, die Polemik Ägyptens, Kubas und der westlichen Kommunisten sowie die eisige Reserve Moskaus diplomatische Schlappen für die neuen Machthaber dar, so brachten die letzten Tage ihrer Einmonatsherrschaft den aus der außenpolitischen Quarantäne erlösenden Erfolg. Es war dem in der dritten Welt hochangesehenen Frankreich vorbehalten, das Eis zu brechen, ohne sich viel dafür zu vergeben. Die seit Jahren sich hinschleppenden Verhandlungen über eine Teilkorrektur des Evian-Ver-trags — der Algerien die Freiheit gab —, vor allem über Frankreichs wirtschaftliche Stellung in der Sahara, waren endlich abschlußreif geworden.

Eine Milliarde für Saharaerdöl

An dem unterm alten Regime bereits bekundeten beiderseitigen Willen zur Großzügigkeit hielt man auch nach dem Sturze Benbellas fest. Für eine auf Saharaerdöl und -gas aufbauende Lokalindustrie will Paris binnen fünf Jahren eine Milliarde — davon ein Viertel ä fonds perdus — locker machen, ferner seinen staatlichen Garantieplafonds für Handelskredite auf eine gleichgroße Fünfjahressumme erweitern. Frankreich ließ sich ferner seine alten Rechte an der größten staatlichen Ausbeutungsgesellschaft „Repal“ sowie an künftigen Ausbeutevorhaben mit einer strikten 50prozentigen algerischen Staatsbeteiligung beschneiden und verzichtete auf die bisherige Praxis steuerhinterziehender Preismanipulationen und degressiver Abschreibungen. 75 Prozent, künftiger Roheinnahmen müssen zwecks Verhinderung stillen Kapitalabflusses im Lande bleiben. Dafür sicherten sich die ehemaligen Kolonialherren langfristige wirtschaftliche Präsenz und „Unentbehrlichkeit“. Sonstige ausländische Interessenten an der Sahara werden, selbst wenn sie Gleiches bieten, im Hintergrund bleiben. Schon Benbella hatte — letztlich mangels eigenen technischen Personals und kommerzieller Erfahrung auf dem zur Zeit schwierigen Erdölweltmarkt — von anfänglichen Nationalisierungsabsichten abgesehen. Das neue Regime hatte den Franzosen schon wenige Stunden nach der Machtübernahme vor vier Wochen eiligst klargemacht, daß sich darin nichts ändern würde.

Der des arabischen Kulturfanatismus verdächtige Boumedienne tat endlich alles, dem Kulturchauvinisten de Gaulle die Erhaltung französischen Geistes in der entkolonialisierten „Uberseeprovinz“ — unter

Vorgänger Benbella durch Pariser Salonkommunisten gesichert — auch fürderhin glaubhaft zu machen. Die Ernennung des halb islamisch, halb pariserisch gebildeten, von Benbella wegen „konterrevolutionärer Umtriebe“ eingekerkerten und in Frankreich hochangesehenen Arztes Taleb zum Erziehungsminister war bereits eine deutliche Geste an Frankreichs Adresse.

Benbellas Freunde lassen grüßen

Auch in der sonstigen Außenpolitik tastet Algerien vorsichtig nach den alten „benbellistischen“ Konturen, freilich unter den Vorbehalten, die der in Boumediennes Kreisen gepflegte Nationalstolz auferlegt. Weder Kommunisten, Nasser oder Castro noch auch die syrischen Baas, in denen ein Teil der Weltpresse neuerdings die geistigen Väter des Boumedienne-Putsches zu sehen glaubt, sollen — wie zu Benbellas Zeiten Ägypter und Kubaner — in Algerien schalten und walten können wie zu Hause. Außer Castro haben sich denn auch sämtliche Busenfreunde Benbellas inzwischen mit der neuen Lage in Algier abgefunden 'und Grußadressen an Boumedienne geschickt, die Sowjets sogar eine „auf Parteiebene“. Das deutsch-arabische Problem wird nicht gerade wohlwollender, doch nüchterner betrachtet.

Der äußeren Ernüchterung entspricht die innere. Der neue Kurs wird zwar der karnevalistischen Improvisationen Benbellas entbehren, doch die Grundrichtung nicht ändern. Die bisher frei und von Fachkenntnis ungetrübt wurstelnden Arbeiterselbstverwaltungsbetriebe werder staatlicher Planung und Aufsicht unterworfen. Die noch weitgehend private Industrie werde „irgendwann einmal verschwinden“, erklärte Exwirtschafts- und neuer Informationsminister Boumaza. Vor launischen Stümpereien, wie Benbellas — schon seinerzeit von Boumaza einfach mißachteter — Befehl, die Übernahme der gesamten Industrie durch die Arbeiter binnen einer Woche, nämlich zum Eröffnungstage des Gewerkschaftskongresses in März „vorzubereiten“, seien die Unternehmer unterm neuen Regime sicher.

Die „Vollblutbürokratie“

Zur Korrektur des benbellistischer Kurses trat endlich der entsprechende Umbau der politischen Instrumente. Zum vor drei Wocher erstmals aufgetretenen Revolutionsrat, welcher das oberste Staats- unc Parteiamt weiterhin kollegial verwaltet und ein Staatsoberhaupt ersetzt, kam vor zwei Wochen eini neue Regierung. Jetzt war Benbellas ehemaliges Hauptinstrument, di< Partei, an der Reihe. Ohne solche, s< meinte Armee- und Regimeoberste: Boumedienne in Salans Exresidenz käme man zwar nicht aus, doch solli sie nicht wie früher zu einem tyrannischen Überstaat werden. Benbella Parteiapparat „mit eigener Vollblutbürokratie, Tausenden von Partei-beamten, Dienstwagen und Millio nenschulden“ werde zu einem in Bescheidenheit und Vorbildlichkei lebenden Gerüst „politischer Ener giezellen“ verwandelt. Verwand lungsorgan ist das besagte Exeku-tivsekretariat, geführt von Boume diennes engen Vertrauten, dem ehemaligem Armeepolitkommissar un< Orientationsminister Cherif Belkas sem und seinem ehemaligen Armee adjutanten Taiebi, angereicher schließlich — wie der Revolutionsra — durch die regionalen Aufstands-chefs aus der Kampfzeit und Ratsmitglieder Si Hassan-Khateb, Saou el Arab-Boubnider und Mohand oi Hadj.

Dies sei, so erklärte Boumedienne das Schlagwort der kommunistischer Berater Benbellas umwendend, be der Vorstellung der neuen Parteispitze, „wahrer Avantgardismus“ Für sein Gesamtkonzept dageger fand der Oberst einen neuen Ausdruck: Er bezeichnet es als „demokratischen Zentralismus“. Von Wirtschaftsliberalismus und Mehrparteiensystem, Möglichkeiten, mi denen noch bis zur Regierungsbildung vor zwei Wochen gerechne wurde, Ist schon keine Rede mehr.

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