Der ans riesige Deckengewölbe gemalte Neptun — französischer Dekorationsstil und Wahrzeichen der Vergangenheit — stochert, auf einem braunen Flecken in der Form Marokkos stehend, scheint’s, mißmutig mit dem Dreizack in der ab- bläitternden blauen Tünche, die den Atlantik darstellt, und glotzt stumpf auf die leeren Bistro-Tischchen unter ihm, auf einen mürrisch, wie er, hinter der Theke dösenden Barkeeper und unbenutzte Gedecke. Täglich wird im „Roi de la Biere“ auf dem „Boulevard Mohammed der Fünfte“, Casablancas Hauptgeschäftsstraße, auf- — und das sauber gebliebene
Die Anlage ist so stark bewacht wie vermutlich Rußlands Atomzentrum. Obwohl wir — Algiers akkreditierte Auslandsjournalisten — in einem Sammeltransport auf Militärwagen und nach Vereinbarung mit dem algerischen Außenamt wie der Volksarmee zur Besichtigung geladen waren, hatte man detaillierte Passagierlisten angefordert, die von schwerbewaffneten Feldgendarmen wie bei Grenzübergängen zwischen feindlichen Ländern analysiert und verglichen werden. Geheimpolizisten in Zivil mischen sich weniger unauffällig unter uns, als diese es gerne möchten. Nach halbstündigem Auf-enhalt geht es
Algeriens neuer Chef Boumedienne präsentierte sich erstmals lächelnd und mit Krawatte. Er war gekommen, ein neues ““.“.Exekutivsekretariat“ der FLN, welches des gestürzten Benbella Politbüro ersetzt, in dem zum Parteihaus umgewandelten ehemaligen französischen Armeehauptquartier vorzustellen. Auf den gleichen Bau schössen vor acht Jahren gaullistische Gegner des damaligen französischen Oberkommandierenden in Algerien, Salan, von benachbarten Dächern eine Panzerfaust ab, ohne ihn zu treffen. Der General war gerade nicht da.Boumedienne fürchtet bis jetzt noch kein Attentat. Das
Am gleichen Tag, da Zehntausende von Schülern johlend und demolierend durch die Großstädte des königlichen Marokko marschierten und dabei Arbeitslose sowie sonstige Elende aus den Vorstädten, schließlich auch Gewerkschafter nach sich zogen, bewegten sich ebenfalls tausend ausgelassene Menschen —• gleichfalls Gewerkschafter und Volk — in der Abenddämmerung durchs sozialistische Algier in Richtung Präsidentenblock, tanzend, singend, frenetisch klatschend. Die beiden mehr oder weniger spontanen Volkskundgebungen hatte zwar verschiedene Anlässe und Ziele, wurden jedoch vom gleichen
„Der ehemalige Oberst Chabani wurde gestern wegen Rebellion, Gefährdung der Staatssicherheit und bewaffneten Widerstandes zum Tod verurteilt.“ Das kurze Kommuniąuė verhalf Algiers einziger Abendzeitung — dem von Lumumbas Expropagandachef und Exilrussen Serge Michel bisher mit vergeblicher Liebesmühe zum sozialistischen Boulevardblatt aufgezäumten „Alger Ce-Soir" — erstmals zum Totalausverkauf. Uber den Ausgang der Standgerichtsverhandlung gegen Chabani bestand zwar schon am Vortag kaum Zweifel, ebensowenig war ein Bericht über die näheren Umstände oder gar ein Für und Wider
Algeriens sorgenbeladener Staatschef Ahmed Benbella stand im Weinfeld, schmatzte eigenhändig gepflückte Beeren und schüttelte Feldarbeiterhände. Der Traubenacker gehörte zum horizontweiten Grundbesitz des einstigen ungekrönten Landeskönigs, des Franzosen Bor- geaud. Mit dessen Enteignung vor einem Jahr glaubte Benbellas Algerien dunkelste Kolonialausbeutung überwunden und mit dem Einsatz eines Arbeiterrats im ehemaligen privaten Großgrundreich den wichtigsten Schritt „zur Sonne und Freiheit” getan zu haben. Benbella suchte Erholung von vormittägiger Schwerarbeit und moralische
Das Dekor war mittelmeerisch, eine Art Nobeltaverne. Durch den weitgeöffneten Zugang zur schmalen Hafengasse drang mählich kühlende, nach Tang riechende Abendluft sowie hohles Geknatter durchziehender Lastwagen ins Innere, was das Gespräch zuweilen erstickte. Die Deutschen waren von der „Atmosphäre” beeindruckt. Die Bemerkung galt dem Eifer der Gastgeber und der natürlichen Nervosität der Stadt. Die Algerier brauchten nicht zu fürchten, daß jemand auf die zum Schutze der Republik gegen kabylische „Konterrevolutionäre” patrouillierenden Volksarmisten hätte anspielen wollen.
Eine geisterhafte Kolonne schwarzer Limousinen, von jagenden Polizisten auf BMW-Krafträdern umschwirrt, brauste mit Sirenengeheul durchs Dunkel in Richtung Flughafen Dar-El-Belda bei Algier. Algeriens Staatschef, Ministerpräsident, Parteiführer, Vorsitzender von Zentralkomitee und Politbüro, Benbella, begab sich inmitten einer Hundertschaft von Begleitern in tiefer Nacht zu seiner privaten „Illjuschin 18“, einem Geschenk der Russen.Nach Osten ging auch der Flug. Moskau, wo Chruschtschow, unterstützt von 21 Kanonenschlägen, die Algerier acht Stunden spater — in Rußland war es schon
Seit Herbst letzten Jahres starrte ganz Algerien mit zunehmender Intensivität auf ein Ereignis. Seit Monaten schon hatte sich in den Ministerien, Verwaltungsämtern und Kollektivierungsbehörden erneut Vorsicht, Lähmung und Passivität breitgemacht. Die dem Wohl des durchaus noch nicht reorganisierten Landes also entzogene Betriebsamkeit erstreckte sich vielmehr auf ein altes Beamtenspielchen: sich nämlich die Chancen für Auf- oder Abstieg zu errechnen, so man auf die Karte dieses oder jenes Politikers, auf Partei- oder Armeelinie, rechte oder linke Opposition setzt. Denn das Ereignis,
Kurz vor dem Ende des reich bewegten maghrebinischen Jahres 1963 fuhr - vom Volke gebührend bejubelt — ein kurioses Dreigestirn mit dem tunesischen Präsidenten-Buick im ehemaligen französischen Marinestützpunkt von Bizerta nördlich Tunis ein. In der Mitte fuchtelte die schwerköpflge Zwerggestalt des tunesischen Staatschefs Burgiba, der Held des Festtages, mit den Armen. Nach seinem wahnwitzigen bewaffneten „Volksmarsch“ auf die französische Restenklave vom Jahre 1961 und nachfolgenden schier endlosen Verhandlungen mit Paris war es ihm endlich gelungen, die fremden Kriegsmariner
Vor ungefähr einem Jahr ging die sogenannte erste Wilajistenkrise mit der Machtergreifung Benbellas in Algier zu Ende. Unter „Wilajismus“— so genannt nach den „Wilajas“ geheißenen Operationsbezirken der algerischen Freiheitsbewegung während des Krieges gegen die Franzosen — versteht man etwa regionalen Eigensinn bis zur Abtrünnigkeit. Dieses separatistische Etikett wurde zumindest dem Bezirk der Kabylei, einem nichtarabischen Bergland östlich von Algier, aufgeklebt, der dem zur Macht strebenden Benbella und seinen Verbündeten, der Armee des Obersten Boumedienne, bis September
Der hagere asketische Mann tritt an die Rampenscheinwerfer des Kinosaales „Majestic“ von Algier, verschränkt in verlegener Debütantengeste die Hände und umschreibt mit drei dürren Sätzen, was die ausländische Beobachterschaft, je nach Blinkwinkel, „Rutsch nach rechts“, „Linksfaschismus“ oder einfach „Militärdiktatur“ hinter Benbellas volkstümlicher Figur bezeichnet. Volksarmeeoberst Bou- m e d i e n n e — er ist der dürre Mann im Rampenlicht — formuliert es harmloser: Seine Armee sei nichts anderes als „Uniform tragende Parteiaktivisten“, die gleichzeitig eine
Algier stöhnt unter den aus dem Mittelmeer aufsteigenden Schwaden weißen Wasserdampfes, der sich mit den von der Wüste her wehenden backofenheißen Chergui-Böen zur perfekten Natursauna vermischt. Benbellas „schaffende Massen“ — Hafenarbeiter, Busschaffner, die letzten Zimmerleute der wenigen noch nicht eingestellten „kapitalistischen“ Baustellen aus der französischen Zeit — bewegen sich schwerfällig wie Froschmänner im Unterwasserfilm. Die wieder zahlreicher gewordenen Europäer, meist Abenteurer aller Schattierungen und Länder, welche die verschwundenen französischen
„Ein Gespenst geht um in Algerien — das Gespenst Trotzkis.“ Mit dieser Abwandlung des berühmten Eingangssatzes zum kommunistischen Manifest von 1848 ist man versucht, das politische Gesellschaftsspiel zu überschreiben, welches sich in Algier letzthin zwischen den verschiedenen innenpolitischen Gruppen einerseits und jenen verlorenen Internationalisten abspielte, die seit Trotzkis Auszug aus der Sowjetunion nach- oder nebeneinander als Vierte Internationale, heimatlose, beziehungsweise neue Linke, KP-Opposition oder schlicht und einfach „Linksintellektuelle“ firmieren. Das meist
Eine Genealogie der inner-algerischen Auseinandersetzungen seit der vergangenen Sommerkrise, ja im Grunde seit Ben Bellas „Kidnapping“ durch die Franzosen im Herbst 1956 beginnt auch für jene, besonders die algerische Misere ausschließlich auf Machtkämpfe unterL,e „eifersüchtigen Bossen“ zurückzuführen. Aus dem Konglomerat der algerischen Freiheits-' bewegung FLN sonderten sich nacheinander Konservative, Anarchisten und Föderalisten ab, wurden — nachdem jede Gruppe ihren eigenen Versuch gemacht hatte, Herr des Landes zu werden — beiseite geschoben, gingen ins Privatleben
Der alte König Mohammed V. von Marokko hatte den politischen Parteien seines Reiches die Demokratie versprochen. Mohammed war kein moderner Mensch, aber er witterte, was es jeweils zu tun und was es zu lassen galt, um seinem Lande wie sich den Thron zu erhalten. Nicht, daß er ernsthaft sein Königsregiment dem Spiele sich zerfleischender Parteien hätte opfern und sich am Ende von der virulentesten unter diesen, der republikanisch gesinnten sozialistischen Volksunion, doch noch hätte entthronen lassen wollen. König Mohammed war auf seine Art weitblickend und bat sich zwei Jahre Zeit aus,