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Boumediennes Polit-Soldaten

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Der hagere asketische Mann tritt an die Rampenscheinwerfer des Kinosaales „Majestic“ von Algier, verschränkt in verlegener Debütantengeste die Hände und umschreibt mit drei dürren Sätzen, was die ausländische Beobachterschaft, je nach Blinkwinkel, „Rutsch nach rechts“, „Linksfaschismus“ oder einfach „Militärdiktatur“ hinter Benbellas volkstümlicher Figur bezeichnet. Volksarmeeoberst Bou- m e d i e n n e — er ist der dürre Mann im Rampenlicht — formuliert es harmloser: Seine Armee sei nichts anderes als „Uniform tragende Parteiaktivisten“, die gleichzeitig eine revo- tionäre, militärische und wirtschaftliche Mission zu erfüllen hätten.

Zum eigentlichen Anlaß der Versammlung gab er sodann die Entscheidung der Armee bekannt, die Kandidatur des (inzwischen, am 15. September, mit starker Mehrheit zum ersten Präsidenten Algeriens gewählten) „Bruders Benbella“ zu unterstützen, „weil er der richtige Mann sei, nicht aus Sentimentalität“. Sentimentalität führe ohnehin zu nichts. Einige Tage vorher hatte Benbella selbst über die neue sentimentalitätslose Ära verkündet: Nach der Verfassungs-,und„Rräsident- •S.clj,altgwihi-wii L.c hi?tqgrtąche fylaß- najameü" geben. . ,

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Das gereinigte Regime

Der Kinosaal war notdürftig im Kroll-Oper-Stil zum Parteikongreß umdekoriert worden. Hinter Redner Boumedienne saßen die neuen Mannen des bereits in den Vorwochen von „Sentimentalitäten“, das heißt den letzten bekannten Namen der alten Garde, gereinigten Regimes: neben Präsident Benbella der farblose neue kommissarische Leiter von Politbüro, Partei und Parlament — die Ämter des vor vier Monaten abgetretenen Parteichefs K h i d e r und des kürzlich demissionierten Parlamentsvorsitzenden Ferhat A b b a s in sich vereinend — Hadj Ben all ah; auf der anderen Seite Algeriens neuer jugendlicher Außenminister Bouteflika, wie Innenminister Medeghri, ehemaliger Armee-Adjutant; daneben der Chef der neuen Superbehörde, welche die früheren Wirtschafts-, Finanz-, Industrie-, Handels- und Sozialministerien zusammenfaßt, Boumaaza, einer der wenigen schon frühzeitig mit Benbella und Armee kollaborierenden Gewerkschafter. und Nachfolger des soeben verjagten bürgerlichen „Fuchses“ Francis. Nur der Landwirtschaftsminister, Ex-Kommunist O u z g a n e, zierte als letzter der aus Linken und Rechten zusammengesetzten „alten Garde" noch — indessen sinnig auf deren äußersten linken Flügel geschoben — die Ministerreihe, Gerüchten zufolge wird auch er als schwarzer Peter für die bisherigen verfahrenen landwirtschaftlichen Kollektivierungsexperimente einem jungen Mann das

Feld räumen müssen, nämlich dem Chef des neu errichteten staatlichen, mit militärischer Zucht und Ordnung vorgehenden Amts für Landreform.

Was sich durch Benbellas und Boumediennes Andeutungen, durch ministerielle Wachablösungen und frivole Auslandskommentare abzeichnet, vermerkt der algerische Alltag zunächst nur in Form einer hastigen, aber logischen Folge von Parteikongressen, Parlamentsdebatten und Volksabstimmungen.

Vor Wochen war dem „ersten richtigen“ Parteikongreß nach Ex-Parteichef K h i d e r s Abgang ins Exil eine Präsidialverfassung vorgelegt, von diesem gebilligt, dem Parlament übermittelt und dort durchgepaukt worden, wobei die letzten Nicht-Konformisten, Ferhat A b b a s und sein Anhang, auf der Strecke blieben. An einem Sonntag hatte das Volk zu Algeriens neuem Grundgesetz Stellung zu nehmen, was es mit 80 Prozent Ja-Stimmen pflichtgemäß tat. Innerhalb 48 Stunden nominierte sodann der zweite „richtige“ Parteikongreß in der besagten Kinositzung, Benbella, wie schon lange vorbestimmt, zum einzigen Kandidaten für das Amt des scheinbar allgewaltigen Staats- und Regierungsoberhaupts, das er faktisch schon war. Acht Tage nach der Verfassungsäbstimmung folgte die zweite Volksabstimmung, die Benbella, wie erwartet, mit 5,5 von 6,3 Millionen Stimmen vom provisorischen zum legalen Führer Algeriens erhob.

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