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Nach klassischem Vorbild

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Als Gottwald kurz vor seinem Tode den Satz von der „ständigen Annäherung- an das sowjetische Vorbild1“ als oberste Richtschnur für die Tschechoslowakei formulierte, konnte er nicht ahnen, auf welchen Zickzackweg er damit seinen Nachfolger festlegte.

Ebenso wie die letzte Prager Regierungsumbildung Ende Jänner dieses Jahres ist auch die der Vorwoche in enger Ankhnung an das russische Vorbild erfolgt. Während aber die erste zu einer nie dagewesenen Aufblähung des Staatsapparates und zu einem enormen Anwachsen der Zahl der Minister führte, bringt die jüngste Reform eine Drosselung und neben zahlreichen Umbesetzungen das Ausscheiden von nicht weniger als elf Ministern — zwei Extreme, die weder durch sachliche Gründe motiviert noch auch ausschließlich in persönlichen Machtkämpfen begründet sind, sondern lediglich in dem Streben nach möglichst getreuer Kopierung des Moskauer Vorbildes ihre Erklärung finden.

Die Initiative für diese einschneidenden Reformen des Staatsapparates ging auch diesmal von der Partei aus, deren Zentralkomitee sich in seiner Sitzung in der zweiten Septemberwoche mit den Fragen der „harmonischen Entwicklung der Volkswirtschaft und der Hebung des materiellen und kulturellen Niveaus der Arbeiterklasse“ befaßte und für die KP sowohl der Tschechoslowakei als auch der Slowakei neue „Erste Sekretäre“ aus den Reihen der bisherigen stellvertretenden Ministerpräsidenten bestellte.

Der Regierung verblieb die Aufgabe, das anfangs des Jahres geschaffene „engere Kabinett“, das zuletzt außer dem Ministerpräsidenten aus seinen zehn Stellvertretern bestand, auf vier Mitglieder zu reduzieren, von denen zwei, D o 1 a n s k y und C e p i c k a, den Titel eines „Ersten Stellvertreters des Ministerpräsidenten“ erhielten, während den beiden anderen zusätzlich die Leitung eines Fachministeriums übertragen wurde — dem früheren Propagandaminister Kopecky die Leitung des neuen Kulturministeriums und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten U h e r die Leitung des Landwirtschaftsministeriums. Elf Minister und stellvertretende Ministerpräsidenten scheiden aus dem Amt, neun Minister wechselten ihr Ressort, zwei ehemalige stellvertretende Ministerpräsidenten müssen sich in Hinkunft mit der Leitung eines Fachministeriums begnügen, der Präsident der Akademie der Wissenschaften, N e j e d 1 y, wurde seiner Funktion als stellvertretender Ministerpräsident entbunden und zum Minister ohne Geschäftsbereich ernannt, der Arbeitsminister H a v e 1 k a verlor seinen Ministerrang, wurde aber gleichzeitig vom Staatspräsidenten zum Leiter des Staatsamtes für Kirchenfragen ernannt. Minister Havelka, der frühere Führer der sozialdemokratischen Jugend, ist hier ja kein Neuling; bevor er zum Arbeitsminister ernannt worden war, bekleidete er bereits den Posten eines stellvertretenden Leiters des Staatsamtes für Kirchenfragen.

Nicht minder einschneidend als auf persönlichem Gebiet sind die Aenderungen in organisatorischer Hinsicht: Vier oberste Staatsbehörden wurden aufgelöst, aus 14 Ministerien entstanden durch Zusammenlegung sieben neue, neuerrichtet wurden zwei Ministerien. Hier zeigt sich am sinnfälligsten die Nervosität, das Streben, der immer schlechter funktionierenden Wirtschaft, den immer geringeren Produktionsziffern durch eine Umorga-nisation der Zentralbehörden, durch Umbe-setzung der leitenden Stellen beizukommen:

Das Ministerium für Brennstoffe und Energiewirtschaft, das man im Jänner d. J. in zwei Ministerien geteilt hatte, wurde nun wieder zusammengelegt: ebenso wurde das

Eisenbahnministerium mit dem Verkehrsministerium vereinigt, aus dem man es im Juli 1952 herausgelöst hatte, desgleichen die Ministerien für allgemeinen Maschinenbau und für Schwerrriaschinenbaü, die seit 1951 nebeneinander bestanden. Das anfangs dieses Jahres errichtete Ministerium für Baustoffe wurde mit dem Ministerium für Bauindustrie zu einem Ministerium für Bauwirtschaft zusammengefaßt, das gleichfalls erst heuer errichtete Ministerium für Staatsdomänen dem Landwirtschaftsministerium einverleibt.

Dem neugeschaffenen Ministerium für örtliche Wirtschaftsbetriebe sind jene Handwerks- und Handelsbetriebe unterstellt, die zwar „Volkseigentum“ sind, aber nicht wie die Nationalbetriebe vom Staat, den Zentralbehörden, verwaltet werden, sondern von den Orts- oder Bezirksnationalausschüssen, also in erster Linie Kommunalbetriebe, wie Schlachthöfe, Gärtnereien, Steinbrüche usw. Eine weitere und zwar noch viel einschneidendere Verengung seines bisherigen Aufgabenbereiches erfährt das Innenministerium durch das neue Verfassungsgesetz, wonach die Nationalausschüsse aller Kategorien der Kompetenz des Innenministeriums entzogen werden und ihre Lenkung der Gesamtregierung übertragen wird. Als Ersatz wurden dem Innenministerium die Aufgaben des aufgelösten Sicher-heitsministeriums übertragen, so daß es jetzt den Charakter eines reinen Polizeiministeriums hat; dieser Eindruck wird noch durch die Person des neuen Innenministers, des früheren Vorsitzenden des Kreisnationalausschusses von Brünn und späteren stellvertretenden Ministerpräsidenten Barak, unterstrichen.

Der frühere Innenminister N o s e k übernimmt das Arbeitsministerium, der frühere Forstminister Öuris das Finanzministerium; der einzige neue Name, der im Zuge dieser Umbesetzungen auftaucht, ist der des Vorsitzenden des Kreisnationalausschusses in Böh-misch-Budweis, Skoda, der das Justizministerium übernimmt.

Bei den scheidenden Ministern handelt es sich durchweg um führende Kommunisten — etwa den- Landwirtschaftsminister N e p o-m u c k y, Finanzminister K a b e oder Justizminister Rais —, während die der Regierung angehörenden Minister anderer Par-

teien der „Nationalen Front“ vollzählig auch dem neuen Kabinett angehören: die Nationalsozialisten S1 e c h t a (Bauwesen) und Neumann (Post), die Volksparteiler P 1 o j h a r (Gesundheit) und P o s p i s i 1 (Verkehr) und der Vertreter der Partei der Slowakischen Wiedergeburt K y s e 1 y (lokale Industrie). Eine Ausnahme bildet Fierlinger, der letzte Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, der ihre Verschmelzung mit den Kommunisten herbeigeführt hatte; seit 1945, da er an der Spitze der .ersten Regierung der wiedererrichteten Tschechoslowakei stand, hatte er ohne Unterbrechung allen Kabinetten angehört: als Industrieminister, als stellvertretender Außenminister, als Leiter des Staatsamtes für kirchliche Angelegenheiten und zuletzt wieder als stellvertretender Ministerpräsident; jetzt wurde er zum Vorsitzenden der Nationalversammlung bestimmt.

Nun hat also die Tschechoslowakei nicht mehr zehn stellvertrende Ministerpräsidenten, sondern nur noch vier, nicht mehr 31 Fachminister, sondern nur noch 25 — genau so viele wie Rußland, das seine Ministerzahl im März von 52 auf nicht einmal die Hälfte herabgesetzt hatte. Aber in der Tschechoslowakei ist man in der letzten Zeit offenbar nicht nur mit den Produktionsziffern und mit der Erfüllung des Fünfjahresplanes im Rückstand, man scheint auch über die Entwicklung in Rußland nicht genau informiert zu sein: Am gleichen Tag, an dem die Prager Regierung ihre neuen Beschlüsse kundmachte, veröffentlichte Moskau seinen Entschluß, neue Unions- und Republikministerien ins Leben zu rufen. Die nächste Prager Meldung wird also wohl wieder eine Vermehrung von Ministerposten melden müssen.

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