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Justiz im Dienste des Klassenkampfes

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Das Volk gibt sich, nach den Worten der tschechoslowakischen Verfassung vom 9. Mai 1948, nicht nur selbst seine Gesetze, es führt sie auch durch seine Beauftragten aus. Der Jahrestag der Einführung der „Richter aus dem Volk“ war Anlaß, in den ersten Februartagen 800 Delegierte aus den Reihen der heute bereits 36.000 Männer und Frauen zählenden Laienrichter zu einer gesamtstaatlichen Konferenz nach Prag zu berufen.

Das Jubiläum bot den führenden Persönlichkeiten des Staates Gelegenheit, die gewaltigen Vorteile dieser nach russischem Vorbild eingeführten Neuerung gebührend hervorzuheben: Die Volksrichter haben sich, so betonte Justizminister C e p i c k a in seiner Ansprache, als wirksame Instrumente des Klassenkampfes bewährt. Der stellvertretende Justizminister Dr. D r e ß 1 e r erklärte, daß sie eine gerechtere Urteilsprechung garantieren als jede Gerichtsordnung eines kapitalistischen Landes, auch die Arbeit der Berufsrichter habe sich durch Einführung der. Volksrichter bedeutend gebessert, durch ihr Verdienst sei die Prozeßdauer wesentlich verkürzt worden. Staatspräsident G o 11 w a 1 d fügte hinzu, daß Geist und Organisation der neuen Gerichte in der Tschechoslowakei eine revolutionäre Änderung darstellen, daß es erst seit dieser Zeit wirklich demokratische und unabhängige Gerichte gebe zum Unterschied von den Gerichten während der Herrschaft der Bourgeoisie, die vom Willen, richtiger gesagt der Willkür, einer ausbeuterischen Minderheit abhängig waren.

Die Abkehr von der alten Gerichtsbarkeit, einem „Überbleibsel aus der Zeit der österreichischen Volksunterdrückung“ — so erklärte Dr. Dreßler —, sei ein weiterer Sieg der Arbeiterklasse gewesen; die Befürchtung, daß durch eine gleichberechtigte Teilnahme von Richtern ohne Hochoder Mittelschulbildung das Niveau der Gerichte sinken könne, habe sich als unbegründet erwiesen, gerade das Gegenteil sei der Fall. Die Kluft zwischen den Gerichten und dem arbeitenden Volk habe überbrückt werden können.

Freilich dürfe man die Volksrichter nicht mit den Schöffen kapitalistischer Staaten vergleichen, mit denen sie nichts gemeinsam haben. Bei den Bezirksgerichten entscheidet nicht mehr wie bisher der Einzelrichter, sondern in der Regel ein dreigliedriger Senat, der aus einem Berufs- und zwei Volksrichtern besteht, in den fünfgliedrigen Senaten der Kreisgerichte haben drei Volksrichter

Sitz und Stimme, und auch beim Obersten Gericht haben jeweils die Volksrichter das Übergewicht. ,Sie werden im Laufe ihrer Funktionsperiode nicht öfter als zwanzigmal als Richter berufen, damit sie ihre Beziehungen zu Beruf und Alltag nicht verlieren.

Auf die Gefahr hin, die Nachrichtenquellen der Gegner, vor allem der Reaktion im Ausland damit zu speisen, zählte Minister Cepicka in seiner Rede auch die Mängel auf, die der bisherigen Tätigkeit der Volksrichter anhaften: In erster Linie wird das Zuspätkommen der Volksrichter gerügt oder gar ihr unentschuldigtes Fernbleiben. Akten und Protokolle gehen häufig verloren. Bei der Auswahl wurden die Frauen zu wenig berücksichtigt (in der Sowjetunion stellen sie die Hälfte aller Volksrichter). Oft greifen auch die Volksrichter nicht mit der nötigen Strenge und Härte durch, vor allem gegen betrunkene Chauffeure, wofür der Minister einige Beispiele aus der Praxis anführte. Schließlich werde der Klassengegner in seiner Gefährlichkeit häufig unterschätzt.

Ein heikles Kapitel ist das Verhältnis zwischen Berufs- und Volksrichtern. Der Justizminister wirft den Berufsrichlern vor, sich unaufrichtig und bisweilen mit versteckter Feindseligkeit den Volksrichtern gegenüber zu benehmen. Aber das „Rüde pravo“ zitiert den Ausspruch eines Volksrichters: „Unser gegenseitiges Verhältnis erfuhr eine Besserung, nachdem der Großteil der Berufsrichter eine politische Schulung durchgemacht hat.“

Diese wenigen Mängel hofft man rasch beseitigen zu können: Die Herausgabe einer Zeitschrift ist angekündigt, die laufend Anleitungen geben wird, wie die Gesetze auszulegen sind. Der Schlüssel zur vollendeten richterlichen Tätigkeit sei, wie der Justizminister ausführte, die genaue Kenntnis des Marxismus-Leninismus und der sowjetischen Rechtswissenschaft. Die Anonymität, die sich hinter der Firma „Bezirksgericht“ oder „Kreisgericht“ verberge, werde beseitigt, der Klassenkampf müsse verschärft werden.

An dem Kongreß nahmen auch Hörer der Arbeiterrechtsschule und Vertreter der Arbeiterkreise teil, die der Kodifikationskommission des Justizministeriums angehören. Man sah Dr. D a x n e r, der einst den Vorsitz in jenem Volksgerichtssenat führte, der Staatspräsident Tiso zum Tode verurteilte und der nun die Stelle eines Präsidenten des Obersten Gerichts bekleidet, Anton U j h e 1 y i, einen Absolventen der Arbeiterrechtsschule, der jetzt Leiter der Staatsprokura-tur in Preßburg ist. Es wurden Fragen des Strafvollzuges besprochen und dessen erzieherische Aufgabe unterstrichen, die Advokaten und Notare mußten sich wegen der Erschwerung, die sie Gerichten und Behörden bereiten, manchen Angriff gefallen lassen, die Fertigstellung aller in Vorbereitung begriffenen Justizgesetze wurde noch für dieses Jahr in Aussicht gestellt.

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