6710665-1964_19_07.jpg
Digital In Arbeit

Benbella Imperator

Werbung
Werbung
Werbung

Eine geisterhafte Kolonne schwarzer Limousinen, von jagenden Polizisten auf BMW-Krafträdern umschwirrt, brauste mit Sirenengeheul durchs Dunkel in Richtung Flughafen Dar-El-Belda bei Algier. Algeriens Staatschef, Ministerpräsident, Parteiführer, Vorsitzender von Zentralkomitee und Politbüro, Benbella, begab sich inmitten einer Hundertschaft von Begleitern in tiefer Nacht zu seiner privaten „Illjuschin 18“, einem Geschenk der Russen.

Nach Osten ging auch der Flug. Moskau, wo Chruschtschow, unterstützt von 21 Kanonenschlägen, die Algerier acht Stunden spater — in Rußland war es schon Nachmittag — empfing, und die diesjährige Maiparade auf dem Roten Platz stellen die Kulissen für Benbellas Premiere im neuen Stil. Die beglückten sowjetischen Gastgeber hatten ihre Presse angewiesen, sich der üblichen schulmeisterlichen Nebenbemerkungen über die Unwissenschaftlichkeit des algerischen Sozialismus zu enthalten. „Iswe-stija“ sprach dann auch von „Baumeistern neuen algerischen Lebens“, immerhin „nach sozialistischen Prinzipien“. Tatsächlich fußt die Verlegung des ersten Großauftritts Benbellas im Ausland vor dem Hintergrund der Moskauer Zwiebeltürme und Lenins klotziger Leichenschauhalle nicht auf Motiven, die man der Pilgerreise bei oberflächlicher Sicht unterstellen könnte. Vom Weg ins Moskauer Satellitendasein kann trotz äußerlicher Kopie östlicher Organe und kommunistischen Zeremoniells, sowjetischen Fünfhundertmillionen -krediten, Waffen- und Expertenhilfe, Kulturabkommens und lauwarmer Haltung Algeriens gegenüber dem konkurrierenden Peking keine Rede sein.

Bisher galt Benbella im Innern wie östlichen oder westlichen Ausland als eine Art Etappensieger im innenpolitischen Catch-as-catch-ean unter Klankämpfern, sein eigenwilliger sozialistischer, doch nicht „leninistischer“ Weg, seine improvisierten Kollektivierungen, ja sein Regime überhaupt keineswegs gefestigt und endgültig. Westliche Länder hofften auf Regimewechsel oder lautlose Tendenzverschiebung in Benbellas Führungsteam zugunsten eines liberalen politischen wie wirtschaftlichen Kurses, der Osten auf Besinnung zum „wissenschaftlichen, daher einzig möglichen“ Sozialismus, Peking gar auf eine Art nordafrikanisches Albanien, Kairo auf ..Anschluß“ an seine panarabische Linie.

Jeder dieser äußeren Interessenten hatte die entsprechende innenpolitische Karte im Spiel. Als die kabylischen Rebellen Benbella im vorigen Oktober zur Abhaltung des soeben überstandenen FLN-Kon-gresses zwangen, sahen die gemäßigten ehemaligen Mitstreiter — heute „Konterrevolutionäre“ genannt — ihre Chance des Comeback mittels einer „nationalen Union aller Kräfte“. Die Benbella umgarnenden Linksberater drängten zu einer Partei des kommunistischen Avantgardismus, Benbellas innere Hauptverbündete, die Militärs um den Volksarmeeobersten Boume-dienne, zu den von ihnen vertretenen panarabischen Militärsozialismus nach Kairoer Muster.

Benbella, dem lediglich die Entscheidungswahl für diese oder jene Gruppe zugedacht worden war, erwies sich vor und während des Kongresses erneut als überlegener Meisterjongleur in der „innerparteilichen Demokratie“, wie das algerische Spiel um Machtbeteiligung — gewiß ebenfalls nach östlichem Vorbild — genannt wird. Es gelang ihm, die Träger großer Namen unter den Feinden seines Regimes von ihrer regionalen Anhängerschaft zu lösen und deren Unterführer — voran den Kabylen-obersten Mohand, den anarchistischen Putschistenführer von Algier aus dem Jahre 1962, Si Hassan, und den Chef der stockislamischen ehemaligen Wüsten-Maquisards, Chebani — mit dem ihnen verhaßten, doch unentbehrlichen inneren Machtinstrument, Boumediennes Militärapparat im neugeschaffenen Zentralkomitee und Politbüro zusammenzubringen. Überdies konnte er das Gewicht der untereinander Verfeindeten so ausbalancieren, daß er selbst einzige Autorität bleibt.

In Moskau aber kann Benbella der östlichen wie sonstigen Welt das Ergebnis seiner innenpolitischen Schachspielkunst am besten vorführen. Moskau weiß, der Methodeähnlichkeit wegen, . die ben-bellistische Leistung besonders zu würdigen und — schlechter Erfahrungen mit Titos Eigensinn eingedenk — zu achten. Daß Moskau sie beachten muß und im eigenen Maiaufzug noch den weltweit beachteten Rahmen zu Benbellas Triumphzug stellt — obwohl die gewünschte Wendung zum Leninismus ausblieb —, soll wiederum die westliche Welt beeindrucken.

Von Benbellas Maifeiertournee beeindruckt werden zweifellos auch die soeben mit — im Osten hochangesehenen — Komitee- und Politbürotiteln behangenen, unter den benbellistischen Einheitshut gebrachten ehemaligen Unsicheren von Mohand bis Chebani. Für die besonders auf Abstand vom Sowjetsozialismus bedachten Militärs um Boumedienne, der sich selbst wie einst Casars Hilfstruppenchefs ins Gefolge des algerischen Imperators einordnete, ist der dreiwöchigen Rundreise über Moskau, Prag und Sofia eine Beruhigungsschau angefügt: Die politische Reisegesellschaft wird am 14. Mai an den ägyptischen Staatsfeierlichkeiten am Assuanstaudamm teilnehmen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung