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Götz oder Goethe?

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Das Dekor war mittelmeerisch, eine Art Nobeltaverne. Durch den weitgeöffneten Zugang zur schmalen Hafengasse drang mählich kühlende, nach Tang riechende Abendluft sowie hohles Geknatter durchziehender Lastwagen ins Innere, was das Gespräch zuweilen erstickte. Die Deutschen waren von der „Atmosphäre” beeindruckt. Die Bemerkung galt dem Eifer der Gastgeber und der natürlichen Nervosität der Stadt. Die Algerier brauchten nicht zu fürchten, daß jemand auf die zum Schutze der Republik gegen kabylische „Konterrevolutionäre” patrouillierenden Volksarmisten hätte anspielen wollen. Im Gegenteil; alle meinten es gut miteinander und strahlten von Bonhomie. Jeder wußte von vornherein, daß der sozialistischen Brüderlichkeit Grenzen gesetzt waren. Da jedoch Freundschaft auf dem beiderseitigen parteidiplomatischen Programm stand, hatten die Beteiligten vorsorglich — jeder auf seine Weise — Eselsbrücken konstruiert. Diese brachen freilich bald zusammen. Das Gespräch fiel nämlich in den Strudel deutscher Spaltproblematik.

Frage überhaupt umschiffen wollen: „Ihr Deutschen habt wirtschaftlich Ungeheures geleistet, bei euch wie auf der anderen Seite.” Mit der „anderen Seite” meinte er Ulbrichts Untertanen: „ce sont aussi des Allemands, non?” Bemüht, den botschaftsrätlichen IdeoKönnen in den sozialistischen Eintopf mit östlichen und anderen kollektiv-bedürftigen Völkern zu werfen. Die DDR schwebte als alimentier- williges Gebilde im Raum.

Die „Bedingungen” sind alles

Die Berliner SPD-Gesandten sahen es anders, schließlich leben sie an der Mauer. „Natürlich sind die Menschen .drüben genauso gut, aber ihr Fleiß wird vergeudet, weil der freien Entfaltungsmöglichkeit beraubt.” Wieder schwebte die DDR im Raum, diesmal als mauerumgebenes Großarbeitslager. Nun war das gerade tagende FLN-Zentral- komitee just dabei, dem Politbüro in Algier freie Hand für weitere Einschränkungen individueller Entfaltungsmöglichkeit zu gewähren. Ein allgemeines Gesetz zijr Agrarreform soll nach der Kollektivierung des französischen Colon-Besitzes nun auch den algerischen Privatbodenbesitz auf Rleinst- bauernstellen zusammenstreichen. Mußte es doch den politisierenden Chirurgen — soeben von einer Komiteesitzung herangeeilt — drängen, den Wert der SPD-Formel für Algerien zu bezweifeln. Damit aber war man mitten drin in dem, was zu vermeiden sich alle vorgenommen hatten. Das weitere Gespräch wogte um die ideologischen Grundsätze. Am Ende fand man dennoch zum Kompromiß, weniger auf Grund von Verständigung, denn aus vorsätzlicher Freundschaft. „Bei euch sind die Bedingungen eben so und bei uns anders. Kollektivismus, Sozialdemokratie oder .restaurati- ves System “ — der Algerier schien einen passenderen Ausdruck für soziale Marktwirtschaft endlich gefunden zu haben — „hängt alles nur von den Bedingungen ab. Auch unsere Bedingungen erlauben ja keinen Sowjetkommunismus.” Berlins SPD-Politschulungschef Doktor Walter war denn auch „davon überzeugt, daß ihr euren sozialistischen Eigenweg geht, und daß der richtig ist — für euch”. Mit der Konstatierung des algerischen Eigenwegs aber war der Weg frei für den sentimentalen Teil der Veranstaltung.

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