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Am Traumstrand von Algier

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Die Anlage ist so stark bewacht wie vermutlich Rußlands Atomzentrum. Obwohl wir — Algiers akkreditierte Auslandsjournalisten — in einem Sammeltransport auf Militärwagen und nach Vereinbarung mit dem algerischen Außenamt wie der Volksarmee zur Besichtigung geladen waren, hatte man detaillierte Passagierlisten angefordert, die von schwerbewaffneten Feldgendarmen wie bei Grenzübergängen zwischen feindlichen Ländern analysiert und verglichen werden. Geheimpolizisten in Zivil mischen sich weniger unauffällig unter uns, als diese es gerne möchten. Nach halbstündigem Auf-enhalt geht es weiter durch ein bescheidenes Pinienwäldchen zum Strand. Das Wäldchen gab der Strandpartie den ehemaligen Namen

„Pinien-Club“, einst Wochenendziel exklusiver Snobs aus Algier. Auch der hiesige Sowjetbotschafter zählte früher zu den zahlungskräftigen Dauergästen, die das gewöhnliche Volk in Freibädern scheuten.

Hinter dem Wald streckt sich im flachgewalzten Dünensand die neue Pracht, das 100-Millionen-DM-Pro-jekt, in das Algerien seine ganze Energie der letzten dreiviertel Jahre gesteckt hat, der zu Beton, Klinker, Buntglas und raffinierter Technik gewordene Repräsentationswille der jungen Volksrepublik. Direkt über plätschernden Mittelmeerwellen öffnet sich eine Art Moskauer Luxus-U-Bahn-Tunnel; sein Ausgang zur See hin läßt nur blaues Meer und Himmel sehen. Der von der untergehenden Sonne feuerrot gefärbte Horizont über der Wasserkimme bildet mit dem Meeresblau zusammen ein faszinierendes Farbduo im flach-runden Tunnelausschnitt. Die also in die Architektur einbezogene erhabene Natur muß den Staatschefs der fünfundsechzig entkolonisierten afro-asiatischen Neustaaten das Gefühl erhöhen, Weltgeschichte gemacht zu haben, wenn sie abends auf selbigem Wege den dahinterliegenden Kuppelsaal verlassen. Denn für diese illustre — meist mehr als westliche „Imperialisten“ am Protze hängende — Gesellschaft wurde die Traumwelt am Strande geschaffen.

Pyramidenszenen

Der gestürzte algerische Diktator Benbella hatte das Werk im Frühjahr begonnen, gedacht als ehrgeizigen Rahmen zu seinem größten internationalen wie nationalen Triumph, um den der Putsch seiner alten Kämpfer ihn und das Land schließlich acht Tage vor Eröffnung der „Zweiten Bandung-Konferenz“ brachte. Benbellas Sturz gab damals

Indern und anderen Afro-Asiaten, die Rotchinas erdrückende Präsenz bei der Konferenz fürchteten, willkommenen Anlaß, das Ereignis auf November zu vertagen.

Algeriens neuer Staatsführer Boumedienne baute weiter, was der unter anderem wegen Vergeudung abgehalfterte Benbella verschwenderisch begann. Galt es doch, den allenthalben von Kommunisten und anderen Benbella-Freunden erhobenen Vorwurf zu beseitigen, das neue Regime habe mit seinem erfolgreichen Putsch im Juni die afroasiatische „Sache“ sabotiert oder gar, es habe das Lager gewechselt und sei den Imperialisten hörig geworden. Dem Gegenbeweis diente die Führung der „Weltpresse“ durch die Flucht von Konferenzsälen, die Flut von gedämpftem Neonlicht, über die hunderte Quadratmeter dämpfender Teppiche und Polster auf Böden, Bänken, an Wänden und Türen, durch das sinnvoll eingebaute Gewirr von Telephonzellen, Klimamaschinerie, verdeckten Fernsehaugen und -Übertragungsanlagen, Pressebüros, Fernschreibern, Sonderkabinen für Radioansager sämtlicher Weltstationen, Speisesälen, Küchen, Bars, säulengarnierten Innenhöfen mit amüsanter Flora in eigens herangekarrter Erde. Wie Zinnsoldaten in Reih und Glied aufgestellte Köche, Kellner, Daktylos, Gardesoldaten, Wachen und Feuerwehren demonstrierten die neualgerische Mischung von Preußisch und Altorientalisch. Fünfundsechzig neue Strandbungalows — je einen für die fünfundsechzig Potentaten —, Betonklötze, die im Sande „schwimmen“ wie feudale Hausboote auf der Themse, umgeben in den abgeflachten Dünen verstreut den zentralen „Palast der Nationen“ und entbehren keines Details: Bäder, Himmelbetten, große und kleine Salons, Arbeitszimmer, Stilmöbel — in Paris nachgemachtes Empire —, Schreibtische mit Intarsia-Platten, asphaltierte Auffahrten.

Der Haken

Das algerische Wunderwerk hat freilich einen Mangel. Das Monstertreffen läuft erneut Gefahr, nicht stattzufinden. Es wird erneut sabotiert, und zwar nicht von „Imperialisten“ oder deren „Hörigen“ — wie Algiers Presse wider besseres Wissen vorgibt —, sondern von der kommunistischen Hauptmacht der dritten Welt selbst, nämlich Rotchina. Kuriose Verdrehung der Fronten seit Juni: Damals pochte Peking zusammen mit den um Anerkennung ringenden neuen Herren von Algier auf die Konferenz, trotz der Verlegenheit, die Benbellas plötzliches Verschwinden mit sich brachte. Die Weltlage schien Peking günstig, sich in Algier zum Herrn der Unterentwickelten aufzuschwingen. Inzwischen wurden derer allzu viele skeptisch und des Gastlandes Algeriens Winden um die Entscheidung: für oder gegen Peking, offensichtlicher als unter Benbellas Doppelzüngigkeit. Hinter einer der dicken Polstertüren focht während unseres Rundganges Algeriens Vorsitzer des sogenannten Vorbereitungskomitees still und zäh gegen den im Juni noch mit ihm verbündeten Vertreter Maos, der getreu der Devise seines Herrn: Siegen oder zurückziehen, zu guter Letzt doch den Rückzug wählte.

„Ganz umsonst ist die Anlage keineswegs, wir wollen ein Touristenzentrum daraus machen“, erklären die algerischen Ministerial-beamten. Nach Hören und Sagen hat schon ein bundesdeutscher Unternehmer in Charterreisen vorgefühlt. Sein Werbeschlager: Ferien in der Staatschefsvilla.

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