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Fest der Festigung

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Benbella rupfte — wie es dünkte, eicht verdrossen — grün-weißes Fahnentuch von einem frisch einge- ammten Schild auf der östlichen Ausfallstraße seiner Hauptstadt. Jarunter erschien der neue Name ier bisher „Hammel-Route“ ge- leißenen, nunmehr zur „Avenue dei Zolkearmee“ umgetauf^n Verkehrs- ider. Wo früher Schafherden aus len Dörfern in die städtischen Jchlächtereien getrieben wurden, rabten kurz darauf algerische •kommandotruppen an den provisorischen Präsidenten- und Gastribünen — wie Bersaglieni vor veiland Mussolini — vorbei. Von taliens Dauerläufern unterschieden ich die algerischen durch gefleckte farnanzüge und wild ausgestoßene inartikulierte, daher furchterregende -aute.

Mit dieser Zeremonie und einer ier üblichen Daueransprachen Ben- »ellas wurde die zehnte Wiederkehr les algerischen Aufstands gegen Frankreich am Allerheiligentag 1954 — der „Schöpfungstat einer Handzoll Männer“, wie der Redner treinte — eröffnet. Eine großartige I'ruppenparade folgte. Taufakt wie Jefilees hatten ihre tiefere Bedeu- ung. Von der Handvoll schöpfe- ischer Rebellen des Jahres 1954 ist lur einer übriggeblieben, nämlich Benbella selbst. Boulaid, Mhidi und Jidouche fielen oder wurden in ranzösischen Gefängnissen erschlagen. Krim Belkassem, einziger nie n Gefangenschaft geratener „histo- •ischer Chef“ und starker Mann der «hemaligen algerischen Exilregierung, sank ins politische Nichts Boudiaf, Bitat und Khider agitieren reute erneut aus dem Exil gegen Benbellas Regime. Ait Ahmed gar ris vor kurzem Chef des innerem bewaffneten Widerstandes gegen Benbella, befindet sich seit drei Wochen in des letzteren Haft und wartet auf seinen Landesverrats-

Der unbequeme Verschwörerkult

iviit aer anen Aurstanasromanu. «rar für die neuen Machthaber vor Algier, bei aller Beschwörung vo: iampfzedtkameradschaft und de leistes von 1954, tatsächlich scho: ange nichts mehr zu gewinnen. Di evolutionären Improvisationen un ler brüderliche Versehwörerkul waren längst zu Hemmnissen umge chlagen. So hatte die vor der Un ibhängigkeit von den Aufstands ührern besonders bei den deutsche Sozialdemokraten wirkungsvoll pro

prozeß. Selbst Benbella vereint mi den paradierenden , Volksarmee einheiten nur noch ein Zweckbünd nis. Armeechef Boumedienne — wi eh und je in schlottrigem Ziv: neben dem Staatschef stehend - und sein Offizierskorps haben mi den alten Aufstandsabenteurern nu noch wenig gemein, sind scho: zweite Garnitur oder, wie es ir modernen Soziologen jargon heiß Technokraten. Wie anderswo ver schlang die Revolution auch i Algerien ihre Kinder. Sogar bis i die deutschen Gaue wirkte eich de Umschichtungsprozeß aus: Der SPD Abgeordnete und traditionelle Bon ner Sondermissionär für Algerier Wischnewsky —• verdienter bundes deutscher Oberprotektor der algeri sehen Exilrebellen in der Kampf zeit — mußte sein Kommen absager da der ehrgeizige mittelmeerisch Jungstaat auf die Einladung eine SED-Delegation unter dem Ost Berliner Maueraktivisten Mater nebst einigen hundert weitere« KPlern aus aller Welt nicht ver zichten wollte.

jJClįjlvl vw jjAulgUllHUX v Ulwx CtXgwX löVXlvll Freiheitsbewegung, nämlich die einer „kollegialen Führung“ des künftigen Staates, von Anfang an kläglich versagt. Noch vor einem Jahr mußte Algeriens in regionale Maquisardenhaufen zerrissene, mit „revolutionärem Geist“ statt schweren Waffen kämpfende Armee im marokkanisch -algerischen Grenzkonflikt eine Schlappe durch König Hassans zwar „reaktionäre“, doch straff geführte Truppen einstecken.

IN ur cue inieruauouaiisieruug uc Konflikts rettete das Regime vor de: offenen Niederlage.

Das Aufstandsjubliäum von 196« war folglich, allen Spruchbänder! sum Trotz, bedeutend weniger vor revolutionären Sentimentalitäten all worn unausweichlichen Triumph dei Apparats markiert; in dem nocl kürzlich von außen wie innen bedrohten Regime heißt das voi allem: des Militärapparats. Wie dai benachbarte Tunesien vor einiger Wochen im Truppendefilee zun Jahrestag der Freigabe Bizertas un«

Hassan von Marokko mit seiner jährlichen Parade von Marrakesch, protzte Boumedienne mit allem, was er sich im letzten Jahr — nach dem Clinch mit Hassan — aus aller Welt eiligst zusammengehamstert hatte: Plump zuisammengeschweißte russische T-34-Veteranen aus dem letzten Weltkrieg, einige moderne sowjetische Schwerpanzer, Schützenwagen und Feldgeschütze, Vierlingsflak, deutsche Magirus-Wüstentransporter, neben den von Chruschtschow geschenkten, im Wüstenkrieg jedoch unbrauchbaren MIGs, praktischere Propellerjäger und fünf Torpedoboote, welche vor der Küstenstraße in der Bucht von Algier kreuzten. Zu eigenen Raketen hatte Boumedienne es noch nicht gebracht, An deren Stelle wurden vier Torpedos auf selbst gebastelten Rollanhängern vor Gästen und staunendem Volk vorbeigezogen.

Eindrucksvoll, bunt, heiter

Die innere und äußere Bedrohung der Volksrepublik scheint endgültig gebannt. Algerien hatte es schwerer als die Nachbarn, Bourguiba von Tunesien und Hassan von Marokko, „legale“ Erben der französischen Pröfektorfitsregimos;Welche ihrepersönlichen Machtkonkurrenten — Benjussuf in Tunesien, Benbarka in Marokko — überdies reibungsloser zur Strecke brachten. Zwei Jahre nach der turbulenten Unabhängigkeitserklärung fand indessen auch Algerien zum unbestrittenen Status Quo seiner Grenzen und inneren Herrschaftsstruktur, zur ernstgenommenen eigenen „islamo-sozia- listischen“ Staatslinie. Wo die existentielle Gefahr weicht, nehmen autoritäre Regimes auch versöhnlichere Züge an. So lockerte Bourguiba, seinem Geschmack entsprechend, neulich seinen Panzeraufzug durch militarisierte Mädchenturnriegen auf. Boumedienne, der von solchen Bataillonen weniger hält, ließ gedrillte Dudelsackpfeifer Reigen und Ringel machen. Die mit dem Festigungsprozeß einhergehend immer langweiliger werdende algerische „Volkszeitung" meinte über die Folge von trabenden Kommandos, MIGs, Panzern und Dudelsäcken: „Es war eindrucksvoll, bunt und heiter.“

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