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Halbzeit und Umgruppierung

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„Ein Glück hat Benbella“, komprimierte neulich ein regimefeindlicher Abgeordneter der algerischen Nationalversammlung seine Meinung zur Lage. Der Abgeordnete gehörte zu den sogenannten kabylischen Rebellen, die Ende September den „bedingungslosen Kampf gegen das faschistische Regime“ von Algier erklärten, vier Wochen später freilich — als der kleine Grenzkrieg zwischen Marokko und Algerien seinem relativen Höhepunkt zustrebte — die Fahne strichen und sich der „Verteidigung der Revolution unter Zurückstellung innerer Differenzen“' gegen die benachbarte marokkanische Monarchie zur Verfügung stellten. „Wir konnten Benbella nicht weiter von hin-

ten angreifen, während König Hassan auf unsere Grenzen drückte.“ Was niemandem bisher im Innern Algeriens gelungen war, hat Hassan tatsächlich von außen fertiggebracht: die wenigstens vorläufige algerische Einigkeit. — Zu gleicher Zeit erklärte ein Gewerkschaftsboß und eingefleischter Königsfeind in Casablanca, der Hochburg , der marokkanischen Linkssozialisten: „Allah ist Zeuge, daß wir nichts für unser Königsregime übrighaben, aber wenn die in Algier glauben, wir verraten unser Vaterland und agieren als fünfte Kolonne, dann täuschen sie sich.“

Der Gang zur „schwarzen UNO“

Dies war der Stand der beiderseitigen innenpolitischen Dinge bei

„Ausbruch“ des Waffenstillstandes nach der Wüstenplänkelei im marokkanisch-algerischen Grenzraum zwischen Colomb-Bechar und Tindouf. Die Sache ist freilich noch nicht beendet, weder innen- noch außenpolitisch. Außenpolitisch ging der Wüstenkrieg inzwischen in die harmlosere Form eines wahrscheinlich endlosen Schwanzes von Rededuellen, Konferenzen, Kommissionsbildungen und Vermittlungen im Rahmen des vor einem halben Jahr gegründeten afrikanischen Völkerbundes OUA über, einer Art schwarzkontinentaler Konkurrenzorganisation zur UNO. Algerien hatte den Streit bewußt vor dieses Forum gebracht mit der berechtigten

nung, in der afrikanischen Völkerexklusivität mehr Rückhalt zu haben als in der Weltorganisation. Marokko beansprucht ja nicht nur die westalgerische Sahara, sondern gelegentlich auch Teile von Mali sowie den gesamten Mitgliedsstaat Mauretanien. Solange in Afrika noch jeder Chef der aus dem Boden gestampften Jungstaaten eifersüchtig auf die Erhaltung der willkürlichen ehemaligen Kolonialgrenzen bedacht ist, dürfte sich die Mehrheit der OUA-Mitglieder — um Präzedenzfällen entgegenzuwirken — tatsächlich zu dem Algerien günstigen Prinzip des Status quo bekennen, bei allen Vorbehalten vieler afrikanischer Regime gegenüber dem in der afro-revolutionären Führerrolle auftretenden Benbella.

Denken — um drei Ecken

Im übrigen glaubt man in Algier, daß die „schwarze UNO“ — wie die echte in New York in solchen Fällen — allenfalls zu verewigten vorläufigen Lösungen gelangt, womit Algerien, das Marokko gegenüber in der Verteidigungsposition steht, bereits gedient ist. „Solange

sich die Marokkaner auf internationale Verfahrenstechnik einlassen, werden wir Ruhe an den Grenzen haben.“

Innenpolitisch zeugte das Wüstenabenteuer indes noch auf beiden Seiten einige Nachspiele. König Hassan hatte seinen gefährlichen inne

ren Feinden — deren extremer Flügel unter Benbarka letzten Sommer schon Komplottabsichten erwog — während der Kriegspsychose die Mitwirkung an seiner neuen „verfassungsmäßigen“ Regierung zumindest glaubhaft gemacht; das heißt, er hatte wohlweislich vermieden, den kursierenden entsprechenden Gerüchten mit Dementis entgegenzutreten. Benbella mußte sich die innere Einheitsfront gegen die marokkanische Bedrängung sogar mit dem Versprechen erkaufen, in nächster Zeit einen Nationalkongreß der algerischen Einheitspartei FLN „unter Einschluß wertvoller, durch die Umstände abseits gestandener revolutionärer Elemente“ abzuhalten, was soviel heißt wie die Beteiligung der kabylischen Rebellen an der Macht.

Allerdings wird in Maghreb selten etwas auf direktem Weg angegangen. Nordafrikanische Erklärungen und selbst Maßnahmen zu kommen-

ken. Zur allgemeinen Überraschung bildete König Hassan von Marokko letzte Woche seine neue Verfassungsregierung ausschließlich aus Leuten seiner Palastpartei, sei es, weil er seine zeitweise wacklige Herrschaft für genügend gefestigt hält, sei es, weil er die endgültige Spaltung zwischen den seit einiger Zeit schon zerstrittenen gemäßigten und extremen Flügeln der marokkanischen Sozialisten abwartet. Die ersteren planen nämlich, des ewigen kalten Bürgerkrieges gegen den König überdrüssig, unter Führung der Gewerkschaftsexponenten Ma- joub-Ben-Seddik und Abdullah Ibrahim schon länger die Gründung einer neuen „reinen“ Arbeiterpartei, welche die Beziehungen zum Palast „auf reale Basis“ stellen, sich jedenfalls von der „selbstzerstörerischen Politik“ des zum Tod verurteilten, im Exil lebenden Radikalistenfüh- rers Benbarka lösen will. Benbella — auf der algerischen Spielhälfte — sucht wahrscheinlich ehrlicheren Kontakt mit den zwischenzeitlich zu „lieben Brüdern“ umgetauften, noch i—■: i 4 c--. .L. •

kürzlich als „traurige Subjekte“ bezeichneten Regimefeinden. Dies nicht, weil der algerische Staatschef etwa seinen „spontanen“ gegen deren „vernünftigen“ Sozialismus auszuwechseln und ihnen die künftige Direktion der Staatslinie abzutreten gedenkt, sondern um sich von seinen bisherigen, ihn allzusehr umklammernden Verbündeten, dem Offiziersklan um den Volksarmeeobersten Boumedienne, zu befreien, ohne diesen jedoch ganz zu verlieren und dessen Klammern mit kabylischen zu vertauschen.

Weder Hassan von Marokko noch Benbella sind tatsächlich in Frage gestellt, wie vorwitzige Kommentare, je nach Blickwinkel, bei Ausbruch des Grenzkrieges orakelten. Im Gegenteil: die erste Runde im marokkanisch-algerischen Match brachte eine Aufweichung und Annäherung der im Sommer in beiden Ländern verhärteten innenpolitischen Fron-

ten. Eine Aussöhnung der beiden Regime untereinander ist nach der ideologischen Ausschmückung der Grenzkriegspropaganda vor allem seitens Algiers gegen das „feudali-

tieren erfordert in der Regel, zu- stisch-imeerialistische“ Rabat allernächst dreimal um die Ecke zu den- dings weniger wahrscheinlich,

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