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Der vergessene Bruderkrieg

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Am 5. Mai jährt sich zum zehnten Mal der Gründungstag der „Demokratischen Arabischen Republik Sahara“. Doch sie konnte noch keinen militärischen Erfolg erzielen.

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Am 5. Mai jährt sich zum zehnten Mal der Gründungstag der „Demokratischen Arabischen Republik Sahara“. Doch sie konnte noch keinen militärischen Erfolg erzielen.

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Unter all den verschiedenen Befreiungsbewegungen in der Welt gibt es wohl kaum eine mit einem solchen Ungleichgewicht zwischen diplomatischer Anerkennung und militärischer Bedeutungslosigkeit wie die der ehemals spanischen Westsahara, der „Frente POLISARIO“ („Front zur Befreiung von Saqiat al-Hamra und Rio de Oro“).

Anfangs hatten die „Blauen Männer“ durchaus beachtliche

Erfolge gegen die marokkanischen Truppen erzielt. Anstelle von Kamelen benutzten sie den Land Rover 88. Dank ihrer Vertrautheit mit dem Gelände - so abweisend für Fremde - führten sie manch einen tollkühnen 1 Streich aus, zum Teil sogar auf dem Gebiet, das vorher schon zum eigentlichen marokkanischen Hoheitsgebiet gehörte. Entlang ihrer langen Küste wurden die Wüstensöhne zu Piraten und brachten auch manch ein spanisches Boot auf. Ihre Geiseln konnten sie stets ins sichere Tindouf verschleppen, jenen algerischen Ort nahe der marokkanischen Grenze, um den es bereits 1963 einen kurzen Grenzkrieg zwischen den beiden Brudervölkern der Algerier und Marokkaner gegeben hatte.

Jene anfänglichen militärischen Erfolge waren besonders spektakulär in der Auseinandersetzung mit Mauretanien. Nach dem Abzug der Spanier hatten Marokko und Mauretanien die Westsahara unter sich aufgeteilt. Die Polisario legte jedoch die mauretanische Wirtschaft so effektiv lahm, daß Nouakschott seinen Teil der Westsahara aufgab und sich aus dem Konflikt zurückzog. Die Marokkaner überließen jenes freigewordene Gebiet jedoch nicht der Polisario, sondern stießen weiter nach Süden vor. Inzwischen hatten sich die Sahrawis (wie die Bewohner der Westsahara genannt werden) in der Weltpresse einen Namen gemacht. In Europa entstanden vielerorts Solidaritätskomitees, die sich für den progressiven Geist in den Flüchtlingslagern auf algerischem Boden begeisterten. Die Sahrawis sind ein sympathisches Volk. Ihre Frauen genießen eine gehobenere Stellung als bei manch anderen Volksgruppen der Region. Die Polisario förderte die Emanzipation sehr publikumswirksam, und Algerien sorgte dafür, daß recht viele Journalisten nach Tindouf gelangten und sich von der dort energisch vorangetriebenen Volksbildung überzeugen konnten. Uberhaupt unterstützte Algerien die Polisario auf allen Ebenen.

Die Algerier hätten beim Aufbau der „Demokratischen Arabischen Republik Sahara“ vielleicht noch größere Erfolge erzielt, wenn sie nur System gegen System gesetzt hätten, also eine „fortschrittliche“ Befreiungsbewegung gegen den korrupten Feudalismus einer anachronistischen Monarchie in Marokko. Statt dessen wurde jedoch das nationale Element zu sehr betont Die Sahrawis wurden als ein völlig separates Volk hingestellt, dessen geschichtliche Entwicklung mit der Marokkos nichts gemeinsam haben soll. Das kann in Marokko kaum jemand akzeptieren, auch nicht diejenigen oppositionellen Kräfte, die anstelle der Monarchie ein sozialistisches Regime analog zu Algerien wünschen.

In der Region kennt man sich schließlich. Der Süden Marokkos, die Westsahara und Mauretanien bilden eine geographisch-ethnische und kulturgeschichtliche Einheit. Nicht von ungefähr erhob Marokko früher auch Anspruch auf Mauretanien, und in Nouakschott gibt es bis heute eine promarokkanische Fraktion. Bedenklich stimmt vor allem, daß manch prominenter Polisario-Führer entweder aus Südmarokko oder aus Mauretanien stammt. Grenzen sind in Afrika bekanntlich sehr willkürlich festgesetzt worden, speziell aber im Falle jener Sahara-Regionen handelt es sich um Reißbrett-Absurditäten.

Die Marokkaner stellten sich daher geschlossen hinter die Monarchie, aller wirtschaftlichen Misere ungeachtet. Dadurch konnte König Hassan II. den Krieg fortsetzen, bis er militärisch zugunsten Marokkos entschieden wurde. Die seit über vierhundert

Jahren herrschende Dynastie der Alawi stammt selbst vom Südrand Marokkos und versteht sich als Sahrawi. Der kleine Wüstenflecken Er-Rissani mit den Gräbern der ersten Sultane liegt fast schon auf dem Gebiet der Westsahara und wird als nationales Monument seit jeher sehr gepflegt.

Hassan II. weiß auch, daß ein unabhängiger Staat in der Westsahara wiederum einen Separatismus in Südmarokko auslösen könnte. Weite Gebiete südlich des Atlas würden sich dann vielleicht mehr zur „Demokratischen Arabischen Republik Sahara“ hingezogen fühlen, als nach Rabat—aus Gründen der Stammesverwandtschaft: Wenn schon ein Staat der „Blauen Männer“, dann aller Sahrawis, einschließlich Mauretaniens. Bei der Bedrohlichkeit des marokkanischen Regionalismus könnte dies den Zerfall der Reichseinheit einläuten.

Wenn sie es auch heute nicht mehr wahrhaben wollen, anfangs kämpften die Sahrawis nicht nur für die Befreiung von den Spaniern, sondern auch für den Anschluß an Marokko. Das war gewissermaßen selbstredend, zumal die Führer in Rabat saßen und die Befreiung mit Hilfe des Königshauses vorantrieben. Niemand hat das so anschaulich geschildert und stichhaltig belegt wie der spanische Schriftsteller und Ara-bist Juan Goytisolo in seinem Buch über den Konflikt in der Westsahara. Er ist ein alter Freund beider Seiten und kennt sich aus wie kein zweiter Ausländer in der Region. Obwohl mit großer Sympathie für die Polisario geschrieben, entreißt seine Studie doch dem Selbständigkeitsanspruch jede Grundlage. Das

Problem mag in einem besonders •akuten Generationenkonflikt begründet liegen. In manchen Sah-rawi-Familien sprechen Vater und Sohn nicht mehr miteinander, weil der eine sich als Marokkaner und der andere sich als unabhängiger Sahrawi versteht.

Die Polisario stellt es gern so dar, als sei die gesamte Bevölkerung vor den marokkanischen Truppen geflohen. Sicher ist es die Mehrheit, die sich in Tindouf zusammengezogen hat. In dem Riesengebiet gibt es jedoch aller-höchstens 300.000 Einwohner. Die Marokkaner haben viele Menschen aus dem Norden angesiedelt und somit neue demographische Verhältnisse geschaffen.

Die Polisario ihrerseits sucht seit vielen Jahren die Lücken in den Reihen ihrer wenigen Kämpfer durch Söldner aus Mali und anderen Staaten der Region aufzufüllen. Das wiederum bestärkt den marokkanischen Kampfgeist; denn jetzt sieht man sich im Abwehrkampf gegen eine internationale Verschwörung. Die Anerkennung der Sahara-Republik durch mehr als 60 Staaten und ihre Aufnahme in die „Organisation Afrikanischer Einheit“ beeindrucken die Truppen König Hassans wenig.

Die marokkanische Armee, seit eh und je wahrscheinlich die Elite in ganz Afrika, ist zu einer der schlagkräftigsten der Welt herangewachsen, dank massiver Aufrüstung durch die USA und Frankreich, aber auch Spanien. Die Polisario erhält keine Unterstützung mehr aus Libyen und nur noch wenig von den Algeriern. Vor fast zehn Jahren schon hatte ein internes Kreml-Arbeitspapier den algerischen Versuch einer Aufpäppelung der Polisario zu einer Sahara-»Republik al&un— durchführbar bezeichnet. Algerien zuliebe stellte sich die Sowjetunion verbal auf die Seite der Polisario, während sie gleichzeitig ihre wirtschaftlichen Beziehungen zum Königreich beachtlich ausbaute.

So bleibt nur zu hoffen, daß Rabat nach erfolgreicher militärischer Absicherung des Gebiets nun genügend Großmut aufbringt und den Sahrawis ein akzeptables Maß an innerer Autonomie zugesteht, damit diese wieder in ihre Heimat zurückkehren.

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