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Antiiberisches Nadelstechen

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Nach ihrem Annäherungspalaver haben Richard Nixon und Leonid Breschnjew die „Nahostfrage“ einvernehmlich unter den diplomatischen Tisch fallen lassen. Kairo zürnte deswegen offenkundig, der Sicherheitsberater Sadats kam aus Moskau bloß mit schönen Worten heim, die UNO-Sicherheitsratsdebatte mutet schon als Plauderei in den Wind an und die arabisch-israelische Auseinandersetzung erscheint auf ihrem gegenwärtigen Stand eingefroren. Warum?

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Nach ihrem Annäherungspalaver haben Richard Nixon und Leonid Breschnjew die „Nahostfrage“ einvernehmlich unter den diplomatischen Tisch fallen lassen. Kairo zürnte deswegen offenkundig, der Sicherheitsberater Sadats kam aus Moskau bloß mit schönen Worten heim, die UNO-Sicherheitsratsdebatte mutet schon als Plauderei in den Wind an und die arabisch-israelische Auseinandersetzung erscheint auf ihrem gegenwärtigen Stand eingefroren. Warum?

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Im Zuge seines Dranges nach Westen hat der Kreml das europäische Hauptziel, die diplomatische „Neutralisierung“ der Bundesrepublik, erreicht. Er bedarf demnach keines „Nebenkrisenherdes“ mehr, um die Westallianz von der Flanke her zu irritieren. Besonders keines ägyptischen, dessen Unfähigkeit gegenüber Israel und dessen Weltgeltung Moskau die längste Zeit erkannte, ja sogar vor dem Beginn des für Nasser katastrophalen Sechstagekrieges 1967 in kaltblütigster Weise einkalkulierte. Überdies hat das östliche Mittelmeer für die UdSSR-Strategie an Attraktivität maßgeblich eingebüßt. Die durch den Bosporus fahrenden Sowjetschiffe können auf Grund der Montreux-Konvention (von 1936) jeweils im Morgengrauen, von der Anhöhe von Saryer-Büyükdere, durch die Ferngläser aller in Ankara akkreditierten Militärattaches beobachtet werden. Auf Zypern unterhält Großbritannien die Stützpunkte von Limassol sowie Larnaka und zahlt als Jahresmiete 23 Millionen Pfund — beinahe das volle Budget der Makarios-Insel. Piräus ist zum Ankerplatz der Sechsten US-Flotte geworden; auf Kreta und in anderen Griechenbasen sind NATO-Jagdbomber mit 3000 Kilometer Reichweite stationiert; sie haben die gesamte sowjetische Südflanke im Visier.

Außer dem syrischen Hafen Laka-diah hat die Russenarmada im östlichen Mittelmeer heute wenig zu bestellen. Von Moskau erscheint der Raum folglich als «eitweilig „abgeschrieben“.

Als die Sowjetmilitärs die Nasser-Sadat'schen Mittelmeerhäfen Port Said, Alexandrien und Marsa-Matruk 1972 räumten, tönte die Weltpresse (aber auch jene Kairos), daß Ägypten sie hinauskomplimentiert habe.

Heute verstärken sich die Hinweise, wonach die Russen vielmehr von selbst gegangen sind, weil der Kreml schon damals den Schwerpunkt seiner Aktivitäten weiter westwärts, nach Algerien, verlagerte, wo ihm Boumediennes Kulturrevolution nicht nur europanähere Stützpunkte, sondern auch subversionslustige Propaganda- und Terrorkommandos offerierte, die etwa bereits Marokkos und Mauretaniens Ordnung auf den Kopf zu stellen beginnen. Ungeachtet äer verstärkten militärischen Kontrolle des Grenzgebietes von Ostmarokko im Räume Oujda und Na-lor operieren diese „Kommandos“ bereits recht lebhaft im Königreich Hassans II. Nur selten oder überhaupt nicht werden sie gefaßt und finden im unwegsamen Atlas-3ebirge willkommen Unterschlupf. Infolge Unfähigkeit, Bürokratie und Korruption steht nämlich das marokkanische Imperium auf derart tönernen Füßen, daß es geradezu als Aufforderung für in der Folge wei-:ere gewaltsame Sturzversuche des Regimes gilt.

Die genannte Art von „Freiheitskämpfern“ hat dieser Tage — zum erstenmal über Mauretanien kommend — die spanische Sahara erreicht und (wie Madrid offiziell bestätigte) einen Außenposten der Franco-Armee angegriffen. In Aga-dir haben sich die Guerillas von Marokko, Algerien und Mauretanien zu einer weiteren Attacke zusammengetan. Die Entkolonisierungstrommel rührend, forderten sie den Abzug Spaniens aus der westlichen Sahara.

Das war wohl der erste spektakuläre Schritt mit der unmittelbaren Absicht, die Verdrängung Spaniens aus dessen beiden nordafrikanischen Stützpunkten Ceuta und Melilla beziehungsweise der ins Mittelmeer vorgelagerten drei Chafarinas-Inseln einzuleiten. Hier handelt es sich um 500 Jahre altes spanisches Gebiet, das für die atlantische Verteidigung im westlichen Mittelmeer jedoch entscheidend wichtige strategische Positionen darstellt.

Wegen seines schwankenden Thrones von den maghrebinischen „Brüdern“ eingeschüchtert — es sind dies Algerien und Mauretanien —, hat sich Hassan II. bereite zum Erfüllungsgehilfen empfindlicher, antispanischer Nadelstiche hergegeben. So erweiterte zu Lasten der iberischen Fischerei Marokko seine Hoheitsgewässer von 12 auf 70 Seemeilen. Durch einen königlichen Befehl wird etwa 35.000 Spaniern in Nordmarokko das Eigentumsrecht auf Grund und Boden, Geschäft und Unternehmen, Haus und Hof mit der Zusicherung entzogen, die allenfalls aus jämmerlichen Zwangsverkäufen herrührenden Erlöse auf Sperrkonten zu belassen. Ein Schuß vor den Bug und ein weiterer hinter das Heck eines marokkanischen Küstenwachschiffes, das einen spanischen Fischkutter kapern wollte,1 war der erste handfeste Hinweis der Marine Francos darauf, wie wenig Madrid mit sich spaßen läßt. Nordafrikanischen Revolutionären und ihren Hintermännern militärische Entschlossenheit bzw. Einsatzfähigkeit zu demonstrieren, ist vielleicht die wirksamste — wenn nicht die einzige — Methode, um sie mit denselben Mitteln zu zügeln, die sie ihren Gegnern gegenüber anwenden.

Auf Grund der Militärbündnisse mit Amerika und Frankreich sieht das spanische Marineprogramm auch einen erhöhten Aufwand von über 33 Milliarden Schilling vor: für Zerstörer, Fregatten, Hubschrauber, Senkrechtstarter und Unterseeboote.

Im Sinne der Verdrängungstaktik des „weißen Mannes“ aus Nordwestafrika werden demnächst die „antifaschistischen“ Propagandatrommeln mit zunehmender Lautstärke gegen Spanien dröhnen — nachdem sie mit der altbekannten wie geschickten Regie unlängst auf Portugal gestimmt waren.

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