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Freundschaft auf Abruf

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„Wir wollen zuerst ein Klima dėr Verständigung und Freundschaft zwischen Marokko und Spanien schaffen und dann erst an die Lösung der zwischen uns bestehenden Probleme gehen.” Dieser Ausspruch eines marokkanischen Staatsmannes ist nicht nur Leitmotiv für die heutige Rabater Politik gegenüber Madrid, sondern auch für die Spaniens gegenüber Rabat. Die Taktik der Nadelstiche, Reibereien und bewaffneten Zusammenstöße seit der Gründung des selbständigen Marokko brachte die beiden nur durch die schmale Meerenge von Gibraltar voneinander getrennten Länder der Realisierung ihrer Aspirationen keinen Schritt näher, und so entschloß man sich im Oktober 1962, das Steuer herumzuwerfen: anstatt Gewaltanwendung — Verhandlungen und Entgegenkommen.

Opposition droht!

Eine Reihe von offiziellen Besuchen hüben und Gegenbesuchen drüben erfolgte, im Juli vergangenen Jahres trafen sich gar General Franco und König Hassan auf dem Madrider Flughafen Barajas zu einer ganz privaten Aussprache, über deren Inhalt nichts bekannt wurde, und schließlich kam in diesen Wochen der Rabater Außenminister Guėdira zu Verhandlungen nach Madrid, kurz darauf sein spanischer Kollege Castiella nach Rabat. Die Beziehungen zwischen den beiden Staaten könnten nicht besser sein, versichern die amtlichen Verlautbarungen, und ein weites Feld künftiger spanisch-marokkanischer Zusammenarbeit wird abgesteckt. Ist man darum der Lösung des die interessierten Staatskanzleien beschäftigenden Kernproblems nähergekommen? Kaum!

Marokko hat Gebietsforderungen an Spanien zu stellen: Im Norden die beiden Hafen- und Festungsstädte Ceuta und Melilla, nebst zwei weiteren winzigen Enklaven beziehungsweise Inseln, ferner das Einschußgebiet Ifni in Südmarokko und Teile des spanischen Saharaterritoriums (Rio de Oro), wenn nicht das ganze. Nun sind die leitenden Persönlichkeiten Marokkos — König Hassan, sein persönlicher Vertreter Balafrej und Außenminister Guėdira — keine wilden Nationalisten, die auf Biegen oder Brechen ihre Ansprüche durchzusetzen gedenken, aber verzichten können sie darauf unter keinen Umständen. Sie haben auf die oppositionelle Istiklal-Partei Rücksicht zu nehmen, die von einem „Großmarokko” schwärmt und als ersten Schritt dazu die Vertreibung der fremden Truppen von marokkanischem Böden betrachtet. Da Marokko eine Demokratie ist, wenn auch mit etlichen Einschränkungen, die Regierungsmajorität aber recht prekär, muß König Hassans Regime auf die Räumung der spanischen Besitzungen in absehbarer Zeit dringen. Darum sägte Minister Guėdira in privatem Gespräch: „Madrid muß unseren Standpunkt verstehen. Oder wäre ihm eine Istiklal-Regierung in Rabat lieber?”

Rücksicht auf Nasser und Benbella

Doch auch außenpolitische Gründe veranlassen das offizielle Marokko zu seiner geduldigen, aber festen Haltung gegenüber Spanien. Dieser relativ liberale Staat wird von den „sozialistischen” afrikanischen Regierungen nur zu oft als „Knecht des Neoimperialismus” bezeichnet. Befestigte spanische Enklaven auf seinem Gebiet müssen nur noch weiteren Vorwand für solche Anwürfe liefern. So mögen die jühgst in Rabat erzielten Übereinkünfte mit Spanien für Marokko (und wohl auch für Madrid) sehr erfreulich sein: Der Abschluß eines neuen Handelsabkommens, technische Zusammenarbeit, Fachausbildung von marokkanischen Arbeitern, gemeinsame Fremdenverkehrspolitik, vielleicht auch eine engere militärische Fühlungnahme, vor allem aber spanische Kapitalinvestitionen zur Realisierung industrieller Vorhaben besonders auf dem Stahlsektor — all das deutet auf wirkliche Entspannung und den Willen zu wirtschaftlicher Koordinierung hin, auch wenn man bezweifeln darf, ob viel anlagefreudiges spanisches Privatkapital für ein unter der allgemeinen Kapitalflucht leidendes Land aufzubringen sein wird. Marokkos Gebietsansprüche sind aber damit nicht aus der Welt geschafft, und die Opposition klagt die Regierung an, „einen Gefahrenherd für den Frieden” durch die Duldung Ceutas und Melillas als spanische Festungen zu schaffen.

Warten auf den Krach

Madrid freilich gibt sich optimistisch. Seriöse Zeitungen schreiben, daß man zuerst die sich aufdrängenden wirtschaftlich-technischen Fragen angehen müsse, „alles andere sich aber von selbst geben wird”, oder daß „Territorialforderungen heute zweitrangig sind” und einer so alten Nation wie der marokkanischen schlecht anstünden. Ausländische, vor allem britische und französische Beobachter meinen freilich, daß Spanien prinzipiell bereit 6ei, Ifni aufzugeben, wenn Marokko vorläufig Madrids fast 500jähriges Recht auf Ceuta und Melilla anerkenne. Von gutunterrichteter spanischer Seite sagt man uns dazu, daß die spanische Regierung überhaupt an keine territorialen Konzessionen denke, und Personen, die eben aus Ifni ins Mutterland auf Ferien kamen, versichern, daß nicht das geringste Indiz für eine Räumung bemerkt werden könnte. Wie zur Bestätigung dafür veröffentlicht eine der letzten Nummern des spanischen „Staatsanzeigers” die Gewährung von über 116 Millionen Pesetas an Krediten zur Verbesserung der Hafenanlagen von Ifni und El Aaiun (Spanisch-Sahara).

Schnelle Kapitulationsbereitschaft kann man also Spanien gewiß nicht vorwerfen. Es ist daher anzunehmen, daß in nicht zu ferner Zukunft Marokko die Gebietsprobleme wieder aufs Tapet bringen wird, vielleicht dann nicht mehr auf so diskrete Weise wie bei den seit 1962 laufenden Verhandlungen. Wenn man sich jetzt die Frage stellt, wie Madrid in solchem Fall reagieren dürfte, so erinnert man sich daran, daß Spanien sein Protektorat in Süd- und Nordmarokko vor Jahren schließlich doch räumte, wenn auch widerstrebend und nach nur kurzem militärischem Widerstand.

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