6785211-1970_10_06.jpg
Digital In Arbeit

Ans Messer geliefert

Werbung
Werbung
Werbung

Bisher ging es in Spanien bei der Erfüllung ausländischer Auslieferungsbegehren recht formel-juri-stisch zu: Falls mit dem reklamierenden Land kein Auslieferungsvertrag bestand, wurde das Ausweisungsgesetz von 1958 in Anwendung gebracht, das die Übergabe des Betroffenen an jenes Land verbietet. Andernfalls fand ein Prozeß statt, in dem, wenn der Angeklagte rein politische Beweggründe für seine im Ursprungsland als Delikt oder Verbrechen bestraften Taten anführen konnte, das Begehren oftmals abgelehnt wurde. Jetzt hat Spanien ein neues, von den Madrider Anwälten als „unerhört“ qualifiziertes Exem-pel statuiert: Es übergab sechs Marokkaner — vier davon besitzen syrische Pässe — gegen die von Rabat wegen angeblichen Vorbereitungen zum Sturz der Regierung König Hassans H. ein Auslieferungsbegehren ergangen war, den entsprechenden Botschaften.

„Sozial gefährlich“?

Den Marokkanern, die seit Ende Jänner im Madrider Gefängnis von Carabanchel inhaftiert waren, wurde weder ein Prozeß gemacht, noch fand auf sie das hier gültige Ausweisungsgesetz — mit Marokko besteht kein Auslieferungsabkommen — Anwendung. Vielmehr wurden sie auf Grund des Landstreichergesetzes wegen ihrer „sozialen Gefährlichkeit“ den Marokkanern und Syriern übergeben. Nun handelt es sich dem allgemeinen Sprachgebrauch nach bei diesen Personen kaum um Landstreicher: Sie sind alle Mitglieder der illegalen und von Ben Barka gegründeten Oppositionspartei „Union des Forces Populaires“. Mohammed Ahar, das bekannteste Mitglied dieser Gruppe, wair unter dem nom de guerre „Said Bunnallet“ einer der berühmtesten Widerstandskämpfer gegen die Franzosen und intimer Freund des ermordeten Ben Barka.

Zusammen mit Abderrahmen Yusufi gründete er die marokkanische Gewerkschaftsbewegung. Nach einem fehlgeschlagenen Komplott gegen König Hassan wurde er im Rabater Schauprozeß von 1963 zum Tode verurteilt. Die zweite Todesstrafe wurde von Marokko 1964 nach einem Grenzzwischenfall ausgesprochen. Ahar, nach Algerien geflüchtet, nahm mit dessen heutigem Staatschef Boumedienne am Sturz Ben Bellas teil und genoß daher besonderen Schutz. Acht marokkanische Entführungsversuche scheiterten. Vor anderthalb Jahren, als sich die Beziehungen zwischen Marokko und Algerien besserten, tauchte er in Spanien unter. Unter dem Namen „Achmed Rahmi“ lebte er seither

mit seiner Frau und seinen vier Kindern in Madrid. Sein Schicksal dürfte trotz des Rabater Versprechens an Madrid, daß weder er, noch der zusammen mit ihm mit einer marokkanischen Militärmaschine abtransportierte Achmed Ben Gelou, Soziologiestudent in Paris, füsiliert würden, besiegelt sein. Weder die von seinem Madrider Anwalt, dem Linkskatholiken Juan Molla, an Nasser, Bourguiba und Boumedienne abgesandten telegraphischen Hilferufe noch Manifestationen marokkanischer Studenten in Paris werden hieran etwas ändern können: sie kommen zu spät.

Der politische Hintergrund

Warum es Spanien auf sich nimmt, sich vor der Weltöffentlichkeit in Mißkredit zu bringen und das sorgfältig aufgebaute Bild eines Rechtsstaates aufs Spiel setzt, ist nur schwer verständlich. Sind ihm etwa die Aussichten, nach langen Jahren vergeblichen Antächambrierens langsam an den Gemeinsamen Markt angeschlossen zu werden, weniger wert als die Beziehungen zu Marokko? Das Verhältnis Madrid-Rabat ist wegen der marokkanischen Gebietsansprüche auf die phosphatreiche spanische Sahara und auf die beiden spanischen Enklaven auf marokkanischem Gebiet, Ceuta und Melilla, seit geraumer Zeit beträchtlich gespannt. Gregorio Lopez Bravo, der im Jet-Tempo Staatsbesuche absolvierende dynamische spanische Außenminister, wird im Mai zu einem offiziellen Besuch in Rabat eintreffen. Sollen seine Entspannungsbemühungen durch die Übergabe der sechs Revolutionäre unter ein besseres Vorzeichen gestellt werden? Wurden sie in der Woche des „Ait-El-Khebir“, des mohammedanischen Lammopferfestes, als Freundschaftsgabe auf den Altar der spanisch-marokkanischen Beziehungen gelegt?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung