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Der Mord ohne Leiche

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Ein Mord ohne Leichnam; der Innen- und Polizeiminister eines bedeutenden Staates wird schwerer Verbrechen bezichtigt, echte und falsche Polizisten, Berufsrevolutionäre, Diener., einer .parallelen Polizei , Doppelagenten, Geheimdienste aller Art: Man muß schon in die Phantasiewelt eines James Bond steigen, um eine derartige Häufung grotesker Unwahrscheinlichkeiten zu finden.

Trotzdem sitzen die Protagonisten eines solchen Falles seit Tagen auf der Anklagebank eines Pariser Schwurgerichtes. Eine, der mysteriösesten Angelegenheiten der französischen Kriminalgeschichte, die noch dazu tiefe Rückwirkungen auf die Innen- und Außenpolitik des Staates zeitigte, soll in der Abgewogenheit des Richterspruches endgültige Klärung finden. Nachdem die mutmaßlichen Urheber dieses unter dem Begriff „Affäre Ben Barka“ rätselhaften Ereignisses für das Gericht wohl nie greifbar sind, werden nach diesem Prozeß — der die Öffentlichkeit tief bewegt — weite Zonen von Schatten bestehen.

'v Untersuchen wir die Tatsachen, wie sie sich dem Beobachter stellen, der seit. Monaten mit großer Aufmerksamkeit die Personen, ihre Handlungen und Motive in einen logischen Zusammenhang zu bringen versucht. Am 29. Oktober 1965 wurde der Leiter der marokkanischen Opposition, Mehdi Ben Barka, von zwei Polizeioffizieren der französischen Rauschgiftbrigade im belebten Stadtviertel Saint-Germain des Pres, Geburtsstätte des Existenzialismus, unter Vorweis amtlicher Ausweise ersucht, ein Auto zu besteigen. Seit dieser Zeit ist Ben Barka verschwunden. Die sorgfältigsten Untersuchungen, die genaue Kontrolle aller Vorgänge haben weder einen Leichnam zum Vorschein gebracht noch auch Anhaltspunkte hervorgezaubert, daß Ben Barka nach der bekannten Art arabischer Geheimdienste als lebendes Paket in seine Hei mat expediert wurde. Trotzdem halten sich Gerüchte, daß er in einem Schweigegefängnis der Sahara über die Theorie und die Praxis subversiven Kampfes meditiert.

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Ben Barka muß schweigen

Mehdi Ben Barka galt als einer der brillantesten Politiker Marokkos. Er war Präsident der verfassunggebenden Versammlung in Rabat, geriet aber bald in Konflikt zu Hassan II. und wurde ein erbitterter Gegner des Königs. Ohne Zweifel kristallisierte Ben Barka eine latente Gefahr für das Regime Hassans II., der die demokratischen Institutionen durch ein persönliches konservatives System ersetzt hatte. Fest steht weiter, daß Ben Barka die einzige Alternative zu der Ein-Mann-Regierung des Königs darstellte und sich außergewöhnlich großer nationaler Popularität, besonders in Gewerkschaftskreisen, erfreute. Aber er wollte nicht nur in der Innenpolitik Marokkos eine Rolle spielen, sondernwurde darüber hinaus „Reisender in Revolutionen“. Alle jene Untergrundbewegungen von den portugiesischen Kolonien bis nach Venezuela oder Kolumbien fanden in Fidel Castro einen bereitwilligen Protektor und in Ben Barka einen eifrigen Diener. In diesen Kreisen treffen wir die schwer zu definierenden Bestrebungen Rotchinas, das in der dritten Welt das Erbe der Sowjetunion an- tritt, nachdem Rußland sich in die Front einer konstruktiven Aufbaupolitik eingereiht hat.

Ben Barka verfügte über sehr beachtliche, aus dunklen Quellen stammende Geldsummen. Er allein in seiner Eigenschaft als Leiter des permanenten Sekretariates der Konferenz von Havanna kannte die Depots und die Kodeworte, die zu den Schätzen führten. In Kuba wurde im vergangenen Jahr die „Konferenz der drei Kontinente“ vorbereitet, in der sich die Bombenwerfer und die Guerillakrieger verschiedenster

Schattierungen treffen wollten, um Erfahrungen auszutauschen und ihre Aktionen international zu koordinieren. Es gab also verschiedenste Geheimdienste, die ein Interesse daran zeigten, daß der organisationsgewal- tige und sehr dynamische Ben Barka, der zwischen Kairo und Genf hin und her pendelte und zahlreiche dunkle Gestalten empfing, zum Schweigen gebracht wurde.

Das größte Interesse hatte jedoch der Innenminister Marokkos, früher Chef einer französischen Kommandoeinheit in Indochina, General Oufkir. Der Minister zählt zu den Treuesten der Treuen des Thrones. Er ist ein Mann, der sein Vorbild in den großen Kondottieri der italienischen Renaissance findet. Mit eiserner Hand sichert er den Bestand des Cherifen-Reiches. So verachtete er es nicht, anläßlich von Streiks und Straßenaufständen in Casablanca von einem Hubschrauber aus persönlich mit einer Maschinenpistole in die meuternde Menge zu schießen, was bisher kein europäischer Innenminister nachahmte. Sein Hauptziel bestand jedoch darin, auch durch „unorthodoxe Methoden“, wie er sich ausdrückte, den verlorenen Sohn Ben Barka in die Heimat zu schaffen, wo dem Oppositionsführer politische Aufgaben besonderer Natur bevorstünden.

„Oufkir oder kh!“

Der König hatte mehrfach durch Mittelsmänner bei Ben Barka vorgefühlt, ob eine Versöhnung möglich sei; „Oufkir oder ich“, lautete jedoch die Antwort, aber der Innenminister, Meister eines ausgezeichneten Polizeidienstes, dachte keineswegs daran, in der Ungnade des Palastes den Rest seiner Tage zu verbringen. Funktionäre der marokkanischen Sicherheit forschten nach Möglichkeiten, um dem unangenehmen Barka endgültig das Handwerk zu legen. Beamte des Geheimdienstes kennen natürlich ihre internationalen Kollegen, erweisen sich gegenseitig Dienste und bilden Bündnisse, welche von den offiziellen Diplomaten selten gebilligt werden. Ein gewisser Figeon, Zuchthäusler, verunglückter Dichter, kurzfristig Chefredakteur, suchte Ben Barka als technischen Berater für einen Film zu gewinnen. Dieser Film mit dem klassischen Titel „Basta“ sollte die Entkolonialisierung schildern. Figeon und ein gewisser Philippe Bernier, ein junger verkrachter Journalist, gewannen das Vertrauen des Oppositionsführers. Jetzt schaltete sich in das Spiel ein hoher Dienstgrad der Air France am Flughafen Orly ein, im Nebenberuf Agent des französischen Geheimdienstes SDECE und Vertrauter des Pariser Rauschgiftdezernats. Außerdem zählte Lopez als ein Freund des Ministers Oufkir, da er lange in Tanger gearbeitet hatte. Der Vorgesetzte Lopez’ im Geheimdienst war Oberst Leroy, mit seinem Kriegsnamen Finville. Ein rätselhafter Marokkaner rekrutierte einige französische Schwerverbrecher, während Lopez zwei befreundete Offiziere ersuchte, eine Begegnung zwischen Ben Barka und Oufkir zu schützen. Natürlich geschehe alles mit höchster Genehmigung; auch der Generalsekretär des Elysėe-Palastes, Foccard, sei „parfümiert“ (im Jargon des Geheim- '"ienstes: er sei unterrichtet).

Schließlich sicherte noch ein Abgeordneter der Regierungspartei UNR, dar Rechtsanwalt von Figeon und frühere Leiter einer Polizeigruppe in Algerien, das Unternehmen.

Reise ohne Ziel

Ben Barka kam wirklich nach Paris, um über diesen Film zu ver handeln. Er wurde von den beiden Pölizeioffizieren in die Villa eines der Kriminellen gebracht; Lopez und Figeon assistierten bei diesem Menschenraub in mehr oder weniger diskreter Form. Minister Oufkir, begleitet von hohen Beamten, traf am nächsten Tag in Paris ein und begab sich sofort in die Villa des Verbrechers. Was in der Nacht darauf geschah, bleibt bis heute ungeklärt. Figeon, der später Selbstmord beging, wußte zu berichten, Oufkir habe „persönlich den armen Ben Barka gefoltert und dann mit einem Dolch getötet“. Die französische Öffentlichkeit wurde sehr schnell informiert, und die Pariser Presse hatte eine riesige und sensationelle Story. Präsident de Gaulle, von Innenminister Frey relativ spät unterrichtet, tobte und versprach der Mutter Ben Barkas, daß die Affäre bis in die letzten Details aufgehellt werde. Die französische Diplomatie stand allerdings vor einer Gewissensfrage: Gewaltige wirtschaftliche Interessen Frankreichs werden bedroht, in Marokko lebt die größte

Kolonie von Auslandsfranzosen, un- fähr 250.000 Personen, Innenminister Oufkir hatte diese Kolonie immer sehr freundschaftlich behandelt, unzählige historisch-politische und finanzielle Verbindungen laufen zwischen Paris und Rabat. Die marokkanische Regierung wurde in Paris mehrfach in diskreter Form vorstellig, um einen Bruch zwischen Frankreich und diesem wichtigen nordafrikanischen Staat zu vermeiden. Paris erwartete, daß Hassan II. seine Minister entlassen würde, aber der König unterstrich in auffallender Weise sein Vertrauen zum General, der durch einen internationalen Haftbefehl des französischen Untersuchungsrichters Zollinger von dem einfachsten Polizisten eines anderen Landes verhaftet werden kann. Staatschef de Gaulle betonte in einer Pressekonferenz, daß nur untergeordnete Organe Verbrechen begangen hätten. Eine umfassende und sofortige Reorganisierung der französischen Geheimdienste erfolgte. Diese wurden der Kompetenz des Armeeministers unterstellt.

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