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Marokko nach dem Skandal

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Der ans riesige Deckengewölbe gemalte Neptun — französischer Dekorationsstil und Wahrzeichen der Vergangenheit — stochert, auf einem braunen Flecken in der Form Marokkos stehend, scheint’s, mißmutig mit dem Dreizack in der ab- bläitternden blauen Tünche, die den Atlantik darstellt, und glotzt stumpf auf die leeren Bistro-Tischchen unter ihm, auf einen mürrisch, wie er, hinter der Theke dösenden Barkeeper und unbenutzte Gedecke. Täglich wird im „Roi de la Biere“ auf dem „Boulevard Mohammed der Fünfte“, Casablancas Hauptgeschäftsstraße, auf- — und das sauber gebliebene Tischzeug wieder abgedeckt. Der ehemals pulsende Betrieb kam zum erliegen. Dabei ist das Etablissement noch eines der letzten Restaurationsbetriebe im Zentrum; „La Choppe“,

„Comėdie“ und andere früher bekannte Treff- und Freßlokale, schlossen ihre Küchen. Die ehemals dicht auffahrenden Straßenkreuzer sind, wie wir durch die stockwerkhohen Fassadenfenster sehen können, rar geworden, dafür die Schar der leichten Mädchen größer. Die Verkäuferinnen und Sekretärinnen aus den ebenfalls öden Kaufhäusern und Büros, Casablancas bekannte frühreife Schönheiten, sind sämtlich zu haben, behauptet der Ortsansässige zu wissen. Die Geschäfte sind schlecht, die Löhne niedrig. Mit den neuen französischen Abwanderungen wurde auch der städtische Wirtschaftskreislauf magerer. Von der Stille im „Roi“ eingeschüchtert. wagen wir nur zu flüstern. „Ob Geschäft oder Politik, rien ne va plus“,

murmelt unser Gesprächspartner vielsagend, „rien…“.

Der Popanz vom Dienst

So hieß es schon oft im ewigen Scheinpoker, dem die innem Angelegenheiten des Königreiches «eit jeher gleichen. Und doch fanden sich die ebenso sterilen Spieler immer wieder zu neuer Runde zusammen, verloren immer wieder was sie gewannen, oder umgekehrt, gingen in Deckung, wenn die Elenden aus den Vorstädten aufstanden, und spielten weiter, sobald die Gefahr vorüber war, drehten sich im Kreis, ohne daß sich im Lande etwas änderte. Auch waren es immer dieselben, welche im politischen Karussel kreisten: der Palast — vorbestimmter Sieger im Match — und hinter ihm Frankreich als stiller Schutzpatron sowie die französischen Banken im Lande, wahre Herren des Reiches, samt eigener „Meinungsfabrik“, den sogenannten Mas-Blättern, welche obwohl „suspendiert“ das Pressemonopol ausüben — der Suspensionserlaß ist seit Jahren selbst suspendiert. Auf der anderen Seite stehen die ewigen doch unentwegten Verlierer im Spiel, die Debattierklubs um eine Handvoll Politiker — zu solchen sind die früher starken Parteien schon lange herabgesunken. Da sind ein paar Liberale, ein paar chauvinistische Rattenfänger, da ist der Gewerkschaftsboß Seddik — ein dem König am ehesten gewachsener Fuchs, hinter lärmender revolutionärer Fassade nicht mehr als Kralshüter der marokkanischen Arbeiteraristokratie —, endlich ein paar

Sozialisten, ewige Pendler zwischen Theorie und Kompromiß. Nur einer spielt seit einem halben Jahrzehnt schon nicht mehr mit: der Linkssozialist Benbarka. Er wurde zum Exilgespenst, zum nationalen Popanz „vom Dienst“.

Benbarka — immerhin was Neues, ja die internationale Affäre des Jahres. Uber den in der Weltpresse phantastisch ausgemalten Kriminalfilm hatte man den marokkanischen Hintergrund fast vergessen. Während der Skandal um den vor sechs Monaten in Paris verschwundenen Nonkonformisten juristisch „begraben" wird, wie ein französisches Linksblatt den Abschluß der Erhebungen durch den französischen Untersuchungsrichter bezeichnet, während sich die Weltpresse zumindest an ihr sattgeschrieben hat, die Leser überfüttert sind mit feil gebotenen James-Bond-Variationen über Entführung und mutmaßliches Ende, verursacht der Fall in Benbarkas Heimatlande noch immer genüßlichmakabre Schauergefühle. „C’esrt lui“,

tuschelt man sich zu, wenn der in den Komplex anrüchig verwickelte Innenminister und Polizeigeneral Oufkir auftritt. Niemand, der dabei nicht an die auf dem Pariser Sensationsmarkte verbreitete Szene dächte, in dem Oufkir den Feind seines Thronherm mit einem Berber- Dolch lebendig seziert.

Nur ein kleiner Schritt

Oufkir grinst halb verlegen, halb höhnisch in die auf ihn gerichteten Linsen der Photoreporter. Sein Fall ist in Marokko offiziell „tabu“, und noch immer ziehen Grenz- und Flugplatzpolizisten den ankommenden Einreisenden jegliche fremde Zeitung aus Taschen und Koffern. Doch man weiß sich zu helfen, folgt Oufkir auf allen Wegen und Stegen, spürt ihn bei öffentlichen Amtshandlungen und Empfängen auf, zählt die Zahl seiner Auftritte an der Seite des Königs. Die Photographen balgten sich um den rechten Schußwinkel beim Oufkir-Handschlag des bundesdeutschen Präsidenten Lübke, dem der delikate Akt als erster Staatsbesucher nach Ausbruch des Skandals Vorbehalten war. Erst seitdem die Affäre eine außenpolitische Wendung nahm — Frankreich fordert das Ungeheuerliche, in der diplomatischen Geschichte Einmalige: die Auslieferung des Ministers, lancierte einen internationalen Haftbefehl — trat Oufkir ins Schlaglicht des Weltinteresses. Ist es nur der Kitzel des vermeintlichen Kriminalstücks, der den schmächtigen, vernarbten und unruhig-katzenh'aft mnherstreichenden Mann interessant macht? Europa hat Marokko und Marokkos Oufkir zweifellos mißverstanden, wie es auch des Königs inzwischen wieder „suspendierte“ Demokratie und Wie es Benbarka selbst mißverstand. Sagte der marokkanische Souverän 1962, als er dies vorübergehend einführte, „Parlament“, meinte er keineswegs regierende Volksvertretung, sondern ein neues Spielkasino; und sagte Benbarka „Parlament“, meinte er ein bloßes Instrument zur eigenen totalen Machtergreifung. Für Oufkir war Benbarka also ein Untertan, der sich nicht an des Thronherrn Spielregeln hielt; der Schritt aber vom Spiel zur Liquidation war im Lande von jeher ein kleiner — und ein normaler.

Schatten wie eh und je

Marokko nimmt laufend Neues auf, aber konserviert das Alte zum bunten Nebeneinander. Der französische Kaffeehausneptun, der Königs Poker-Parlament koexistieren mit Oufkirs Polizeimethoden. Und dennoch scheint sich das Land nur wenig zu bewegen, unmerklich fast. Weder Benbarkas Verschwinden noch der Krawall um Oufkir waren etwa Ursache dafür, höchstens Symptome wie das von Franzosen mehr und mehr verlassene Casablanca. Die eigentlichen Figuren im neuen Spiel sind Schatten wie eh und je: Benbarka hatte sich schon längst von seiner eigenen Partei entfremdet, er war auch nicht der erste Non-Konformist, welcher verschwand, und schließlich war Oufkirs Vorgänger, heute angesehener Industrieller, als Polizeichef auch nicht eben zimperlich. Nur erfolgte der kontinuierliche Figurenkreislauf diesmal nicht — wie bisher noch immer — mit Frankreichs patronalem Sanktum.

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