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Parteimonarch Hassan

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Letzten Mittwoch bot sich den Seetouristen auf der „Constitution“ von der Genua mit New York gelegentlich unter Zwischenlandung an Marokkos Atlantikküste verbindenden amerikanischen „Export-Linie“ ein gratis zugegebenes Sonderschauspiel, als der mit Passagieren vollgepfropfte, nicht eben moderne, aber massige, qualmende Dampfer sich zum Ablegen an der Überseemole in Casablanca fertigmachte. Vom Pier bis zu dem in der Stadtmitte gelegenen Schloß der marokkanischen Hafengroßstandt — ein Absteigequartier der Cherifenkönige, wenn diese ausnahmsweise in Casablanca residieren — zog sich, in der Mitte eine gewundene Gasse frei lassend, der Auflauf des üblicherweise bei Königsausfahrten mobilisierten Berbervolkes aus dem Binnenland und sonstiger animierbarer, schäbig, aber malerisch gekleideter Eingeborener aus den Vorstädten. Wildes Ju-ju-Geschrei un4 berberisches Musikanten-Tamtam scholl bis zur Kommandobrücke der „Constitution“, während ein zwar schmächtiger, jedoch drahtiger junger Mann, in seiner Rolls-Royce-Staatskarosse aufrecht stehend und von donnernden BMW-Kraftradstaffeln begleitet, auf der besagten Gasse heranbrauste und schließlich mit photogenem Lächeln den US-Ozeanriesen bestieg. König Hassan von Marokko schiffte sich nach den Vereinigten Staaten ein, wohin ihn das seit langem geplante Treffen mit Präsident Kennedy — „und natürlich auch mit Jacqueline“, wie Marokkos Palastpresse im Vorgenuß erwarteter politischer Pin-up-Photos betont — trieb.

US-Rückhalt für Hassan

Um politisches Pin-up handelt es sich bei Hassans Reise zum US-Präsidentenpaar an sich, freilich in einem Gruppenphotos mit Jacqueline übersteigenden Rahmen. Kein Zweifel, Hassan steht auf einem Höhepunkt seines Ansehens. Die von der nachbarlich-algerischen „revolutionären“ Unabhängigkeit erwartete Thronkrise ist überwunden, oder besser: trat gar nicht erst ein. Ben Bella ist voll damit beschäftigt, seinen Algero-Soziallsmus gegen innere, vom Osten allenthalben gestützte Linksabweichungen zu verteidigen und ihn gleichzeitig für unentbehrliche westliche Hilfsgeldgeber annehmbar zu machen. Der Fehlschlag der Ben-Bella-Reise zu Kennedy im Herbst letzten Jahres — gewollt gekoppelt mit einem verübelten Besuch bei Fidel Castro und nachträglich, freilich ungewollt, durch die anschließende Kubakrise zur antiamerikanischen Demonstration umgedeutet — wie das zögernde und nicht bedingungslose Anlaufen der französischen Finanzhilfe für Neu-Algerien haben die Revolutionäre von Algier kleinlaut, König Hassan dagegen indirekt zum „vernünftigsten Mann“ im Maghreb gemacht. Während Ben Bella zwar nicht mehr als „Castrist, nach wie vor jedoch als Vorhut der neutralistischen bis antiwestlichen mittelöstlich-panarabischen Revolutionswelle gilt, wartet Hassan mit einer für Westeuropa wie Amerika angenehmeren Idee auf: der der „maghrebinischen Insel“, das heißt eines zwar formell

König Hassan von Marokko blockfreien, Jedoch westverbundenen, vor allem liberaler westwirtschaftlicher Integration offenen nordafrikanischen Sonderdaseins. Daß Hassan, einmal kraft alter Verdienste um die algerische Aufständischenarmee, zum anderen als indirekte Folge der durch Ben Bellas herbstlichen Pro-Castrismus erschütterten algerisch-amerikanischen Beziehungen, nur wenige Tage vor seiner jetzigen USA-Reise in Algier jubelnd empfangen und von Ben Bella ausgesprochen poussiert worden war, hat in Washington den nötigen Eindruck im

Sinne der Hassanschen Inselkonzeption nicht verfehlt.

Auch sonst hatte Hassan sich bei dem allen internationalen Unruhestiftern abholden Kennedy-Regime schon mehrere Pluspunkte verdient: Nassers neuen südarabischen, gegen US-Freund Ibn Saud gerichteten Satelliten, den republikanisierten Jemen, hatte er erst, nachdem dies unumgänglich wurde, vor wenigen Tagen anerkannt, dem Irreden-tismus seiner eigenen Nationalisten, nämlich deren Anspruch auf den französischen Satellitenstaat Mauretanien an Marokkos Südgrenze, durch Aufnahme inoffizieller Kontakte zu item bisher als Staatsfeind Nummer eins angesehenen mauretanischen Staatspräsidenten Moktar Ould Daddah die Spitze genommen. Hassans ausgeglichenes Ansehen sowohl bei Afrikas „Neo-kolonialisten“ vom Stile eines Moktar und der übrigen „eursffrikanischen“, mit Paris und EWG mehr oder weniger verbundenen westafrikanischen Staatengruppe wie bei eigensinnigen Leuten vom Format eines Ben Bella noch zu heben, bedarf es allenfalls noch der Regelung der US-Basen-Frage auf Marokkos eigenem Staatsgebiet. Die Amerikas größten Luftstützpunkt auf fremdem Boden einschließende „Imperialistenbasis“ in Hassans Königreich diente seinen inneren und äußeren Feinden seit langem als willkommener Prapagandaaufhänger.

Parteigründung vor der Abreise

Blieb es Hassan noch, um amerikanischen Vorstellungen von einem „guten Staatsmann“ vollends gerecht zu werden, die politischen Verhältnisse im Innern seines Reiches zu ordnen. Hier wurde der letztlich auf einer nach wie vor bestehenden unausgeglichenen Sozialstruktur beruhende alte Gegensatz zwischen Palast und revolutionären Sozialisten neuerlich überlagert durch einen weiteren Kampf um Leben oder politischen Tod, dem zwischen Palast und der bisher mit diesem verbündeten, jedoch kürzlich ausgebooteten, in der Istiklal-Partei organisierten nationalistischen Großbourgeoisie. Wenn diese sich auch aus anderen Gründen als die Sozialisten der königlichen Idee von der westlichen Einflüssen offenen „Insel“ widersetzt, so wird doch die Tatsache damit nicht aus der Welt geschafft, daß der Palast zur Zeit ohne jeglichen Parteirückhalt, gestützt allein auf die Armee, die mystische Königsverehrung durch das geistig unterentwickelte berberische Landvolk und die landbekannte Schläue des Hauptberaters Hassans, des Advokaten Guedira, reglest.

Dieser etwa französischen Ordnungsvorstellungen für Nordafrika durchaus nicht störenden, amerikanischen Idealen jedoch nicht ganz entsprechenden Konstruktion einen „demokratischen“ Unterbau zu geben, hatte Hassan im Dezember vorigen Jahres eine halb autokratische, halb parlamentarische Verfassung, damals noch mit Hilfe der Istiklal-Partei, in einer Volksabstimmung durchgepaukt, welcher nunmehr auch die amorphe Landvolksympathie für den Palast organisatorisch anzupassen war. Sieben Stunden vor Antritt seiner Seereise zu Kennedy ließ der Monarch daher den alten Plänen seines Freundes Guedira, das marokkanische Königtum auch parteimäßig zu politisieren, freien Lauf. Nach inzwischen zum Stempel marokkanischer Innenpolitik gewordener Has-san-Guedirascher Patentmethodik wurde bei dieser Reorganisation des königstreuen Landvolks wenig demokratisch gefackelt. Man kommandierte die schwächste, jedoch ideologisch vorteilhaft farbloseste der bereits bestehenden Parteien, die berberische Volksbewegung des ehemaligen Hauptmanns der französischen Marokko-Regimenter, Aherdane sowie die gesamte Mini-sterialbeamtenschaft zu einer „Pressekonferenz“ in das Casablancer Luxushotel El Mansour und hob dort das neue, „Verfassungsfront“ genannte Gebilde unter der Protektion eines weitläufigen Verwandten und Schwagers Hassans, Prinz Ali genannt, hastig aus der Taufe. Was dem parteipolitischen Neubau an Ideologie fehlt, wurde auf diese Weise an Rahmen — und dies ist für ein Land wie Marokko wirksamer als alle Programme — wettgemacht.

Die im Jahre 1963 fällige erste Wahl zum verfassungsmäßigen Parlament wird die ebenfalls von Guedira abhängigen Provinzgouverneure, Regional-und Orts-Caids nicht mehr vor das Dilemma stellen, das Stimmvolk für ein Regime ohne Partei mobilisieren zu müssen. Die Monarchenpartei ist da, und Hassan schwimmt Kennedy nicht nur als romantische Vorstellungen erweckender orientalischer Fürst, sondern auch als siegesgewisser „Parlamentarier“ entgegen.

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