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König Hassan auf weichem Kurs

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Es ist bald sechs Monate her, daß König Mohammed V. plötzlich seine Augen schloß und der kaum 32jährige Kronprinz Hassan den scherifischen Thron bestieg. Es hat immer mehr den Atiseheitr, als ’wäre'dsftnim'irk|ch eine neue Zeit angebrochen, wie es die vom Charakter seines Vatėrs sc grundverschiedenen Eigenschaften des Kronprinzen erwarten ließen.

Zwar bemühte sich auch Hassan II. vergeblich, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden, wie sie auch Mohammed V. stets vorschwebte. Aber es gelang ihm doch, alle politischen Kräfte, mit Ausnahme der progres- sistischen UNFP (Union der nationalen Volkskräfte) und der ihr verbündeten Gewerkschaft UMT, zur Teilnahme an der Ende Mai gebildeten ersten Regierung zu bewegen, der er selbst vorsteht. Der Erfolg liegt vor allem in der Tatsache, daß so gegnerische Gruppen wie der „Istiqlal“ und die bei den Berberstämmen verankerte „Nationale Volksbewegung“ in einer Koalition zusammensitzen, die damit dem Thron eine wesentlich erweiterte Basis gibt. Es war naheliegend, daß Hassan die Außenpolitik seines Vaters vorerst fortsetzte, doch wußte er bereits zahlreiche eigene Akzente zu setzen. So erscheint das Mauretanienproblem, das im Herbst 1960 eine der heißesten Fragen in Afrika war, sichtlich in den Hintergrund geschoben

— obwohl sein Promotor Allal-el- Fassi, der geistige Führer der Istiqlal- Partei, erstmalig als Staatsminister an einer Regierung des unabhängigen Marokko teilnimmt —, und die Gerüchte, daß durch Vermittlung des Senegal Verhandlungen im Gange wären, um mit der bisher als französischer Vasall bezeichneten Islamischen Republik Mauretanien zu einem „Modus vivendi“ zu kommen, fanden schon offiziöse Bestätigung. Da gerade diese Frage aber mit ein Grund für das Entstehen von politischen Blöcken in Afrika war, könnte der Tag bald kommen, an dem ein Brückenschlag zwischen der „Casa- blanca“-Gruppe, die auch aus anderen Gründen einiges von ihrer ursprünglichen Radikalität auf gab, und jener von „Monrovia“ diskutabel wird. Daß Hassan II. zumindest in seinem Inneren westlich orientiert ist, bewies seine auffallende Zurückhaltung im Biserta- Konflikt, wo er vom ersten Tag an Mäßigung empfahl; er entschloß sich sogar, zum Zeitpunkt der schärfsten Spannungen seinen Schwager als Botschafter bei de Gaulle zu akkredi-

tieren, um damit eine Art Notleine zwischen Paris und dem Maghreb zu schaffen. Das war kein Dolchstoß in den Rücken Bourgibas, sondern ein mutiger Akt größten Weitblicks, zur Rettung der für Europa undi Nord« afrfka gleich' lebenswichtigen Be- ziehürigen, sb getrübt'"diese ' nach Biserta und der zweiten Unterbrechung der Evian-Verhandlungen im Augenblick auch aussehen mögen. Auch im Algerien- und vor allem im Sahara-Problem bewies der junge Herrscher, daß er, im Vergleich zu Bour- giba, der auch bei seinen afrikanischen Verbündeten sichtlich an Prestige verlor, gegebenenfalls der geschicktere „Pan-Maghreb “-Verfechter sein könnte.

Die wirklichen Erfolge Hassans liegen aber auf innenpolitischer Ebene, selbst wenn erst die Zeit lehren wird, ob seine großen Pläne so zum Tragen kommen, wie er sie entwarf. So scheint der Plan des zivilen Arbeitsdienstes für alle jungen Männer von 18 bis 30 Jahre, der im Juli eingeführt wurde, ein historischer Schritt zu werden, weil er einerseits der Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung Abhilfe schafft, anderseits aber auch die für eine junge Nation wichtigen nationalen Bande stärker zu knüpfen hilft. Daß diese Idee aus dem Programm der Opposition stammt, ist bedeutungslos; diese ist nur in den Großstädten, vor allem durch die Streiks der ihr nahestehenden Gewerkschaft, relativ gefährlich — aber in einem Land, in dem 70 Prozent der Bevölkerung Bauern und Viehzüchter sind, liegt das politische Schwergewicht nicht in der Stadt. Es fehlt nicht an Problemen in Marokko; eines davon ist die katastrophale Mißernte des heurigen Jahres und ihre Auswirkung auf die gesamte Wirtschaft; ein anderes die Frage, wie man dem seit der Abschaffung des Sonderstatuts im April 1960 eingetretenen Niedergang der Hafenstadt Tanger Einhalt gebieten kann, wozu vielleicht die Schaffung einer Freihandelszone ab 1. Jänner 1962 dienen könnte; ein drittes das Problem der Industrialisierung, wobei das ersehnte Auslandskapital bisher ausbleibt.

In allen Fragen aber ist König Hassans „Nicht-länger-abwarten-Wol- len“ zu erkennen, der, mehr als sein Vater, dem für ein junges, unterentwickeltes Volk so wichtigen Leitspruch huldigt: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott! Und diese Haltung ist tatsächlich erste Voraussetzung für einen Aufschwung, dessen Beginn in Marokko erst sichtbar wurde.

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