Arabiens "Internet-Prinzen"

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Die neue Generation nahöstlicher Herrscher gibt sich volksnah, spricht viel von Modernisierung und Demokratie, doch sie bleibt vorerst gefangen in den alten Strukturen.

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Die neue Generation nahöstlicher Herrscher gibt sich volksnah, spricht viel von Modernisierung und Demokratie, doch sie bleibt vorerst gefangen in den alten Strukturen.

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Abdulla bin Hussein klebte sich einen roten Bart aufs Kinn, setzte nach alter Beduinentradition die Kefiya (das rot- oder schwarz-weiß-karierte Tuch) auf den Kopf und schlich sich durch eine Hintertür aus dem Palast. In einem klapprigen Auto kurvte er als Taxifahrer durch die Hauptstadt Amman. Das Verkehrschaos und die Aufmerksamkeit und Einsatzfreude der Polizei wollte Jordaniens jugendlicher Monarch auf solch unorthodoxe Weise testen. Noch einige andere Male tat es Abdulla dem legendären Kalifen von Bagdad, Harun er-Raschid, gleich und zog verkleidet durch die Stadt, um ein wenig mehr darüber zu erfahren, wie das Leben in seinem kleinen Wüstenreich wirklich ist.

Solch ehrliches Streben um das Wohl des Landes und seiner Menschen hat Jordaniens König in den 16 Monaten seiner Herrschaft dem Volk nahe gebracht. Wellen der Sympathie schlagen dem jungen Mann entgegen, den der hochgeachtete König Hussein am Sterbebett seinen Untertanen als seinen Nachfolger ans Herz legte. Der neue Stil, die neue Sprache des Monarchen wecken Hoffnung auf Veränderung, auf Modernisierung, auf Liberalisierung in einer unter politischer und ökonomischer Stagnation, unter verkrusteten Machtstrukturen, krassen sozialen Gegensätzen und bitterer Armut ächzenden Region. Hoffnung auf ein besseres Leben.

Wohlwollende, gütige Herrscher ...

Ähnlich ergeht es den Marokkanern, die nach dem Tod König Hassans den Generationswechsel vor einem Jahr erlebten. Ja sogar die Syrer setzen nach drei Jahrzehnten Diktatur und Stabilität unter Hafes el Assad Hoffnung in dessen 34-jährigen Sohn Bashar, auch wenn sich der Machtwechsel in extrem undemokratischer Weise vollzog. "Einfach die Macht zu erben und ohne Kompetenz die höchste Staatsfunktion zu übernehmen, ohne freie und faire Wahlen, ist äußerst ungesund", analysiert ein arabischer Politologe. Bashar, der liebenswürdige Augenarzt, wollte von Politik nichts wissen, bis ihn sein Vater nach dem Unfalltod seines älteren, politisch charismatischen Bruders Basil zur Nachfolge zwang. Die Vorbereitungszeit reichte nicht mehr, damit Bashar auch offizielle Ämter übernehmen konnte. An politischer Erfahrung fehlt es ihm allemal. Dennoch hoffen die Syrer auf ihn, sie hoffen, dass er das Land öffnet und modernisiert und entschlossen seinen begonnenen Kampf gegen die himmelschreiende Korruption fortsetzt.

Bashar, Abdulla, Marrokos König Mohammed VI. sind die Repräsentanten eines neuen, dynamischen Führertyps, die die alten, den nahen Osten über Jahrzehnte dominierenden Männer ablösen. "Internet-Prinzen" nennt man sie hier, denn sie teilen ein starkes Interesse an moderner Kommunikationswissenschaft und Technologie. Sie haben im Westen studiert und sich mit westlichen Wertvorstellungen auseinandergesetzt. Sie präsentieren sich - mehr als ihre Väter - als wohlwollende, gütige Herrscher, die einer Verbesserung miserabler sozialer und ökonomischer Bedingungen absoluten Vorrang einräumen. Sie umgeben sich mit im Westen ausgebildeten Technokraten und Ökonomen, die die sozialen und ökonomischen Probleme ihrer Länder lösen sollen.

Den Anfang setzte der 47-jährige Scheich Hamad bin Khalifa al Thani, als er am 27. Juni 1995 in einem unblutigen Putsch seinem Vater im Ministerrat Katar die Macht entriss. Unterdessen vollzog sich auch im nahe gelegenen Bahrain vor einem Jahr der Generationswechsel, und in Dubai steht er bevor.

"Diese jungen Führer", bemerkt ein arabischer Beobachter, "wuchsen in den 80er und 90er Jahren zu reifen Persönlichkeiten heran. Sie verstehen die überwiegend junge Bevölkerung ihrer Länder, deren Wünsche und Nöte, Sehnsüchte und Gefühle weit besser als ihre Väter es vermochten". Doch werden diese jungen Herrscher den Mittleren Osten in eine mildere, eine gütigere, eine demokratische Zukunft führen?

Vorerst sonnen sie sich in den großen Vorschusslorbeeren, mit denen man sie im In- und Ausland überhäuft. Martin Indyck, bis vor kurzem stellvertretender US-Außenminister, würdigte die "neue Energie und die frischen Ideen, die sie mit auf ihren Thron" brächten.

Hauptproblem der jungen arabischen Führer ist das schwere Erbe, das ihre Väter ihnen hinterlassen haben. Während sich ihre Vorgänger mit politischen Konflikten im eigenen Land und in der Region herumschlagen mussten und sich jeder Veränderung widersetzten, gelangen sie zu einem Zeitpunkt an die Macht, da sich die Welt vor allem ökonomisch rasant wandelt. Ihre eigenen Bevölkerungen quält nichts so sehr wie Arbeitslosigkeit und die Sorge um eine gesicherte Zukunft. Mehr als ihre Väter sind die neuen Herrscher daher auf ökonomische Hilfe des Westens, auf Zusammenarbeit angewiesen. Deshalb wohl legen sie auf ihr internationales Image größeren Wert als die alte Generation dies tat, ebenso auf ihre Popularität daheim, durch die sie die lediglich ererbte Legitimität ihrer Herrschaft abzusichern hoffen. So räumen sie in ihren Programmen Menschenrechten und Demokratisierung große Bedeutung bei.

Seit der scheue und politisch unerfahrene Mohammed vor einem Jahr den Thron in Marokkos Hauptstadt Rabat bestieg, überraschte er seine Kritiker. Entschlossen löste er rasch einige der schwersten Menschenrechtsprobleme, die ihm sein autoritärer Vater hinterlassen hatte, und entledigte sich des gefürchteten Innenministers Driss Basri - der 25 Jahre lang für harte Repression gesorgt hatte. Im Bemühen, alte Wunden zu heilen, gründete Mohammed gar einen Fonds zur Kompensation von Kritikern, die in der Vergangenheit Menschenrechtsverletzungen zum Opfer gefallen waren. Marokkaner, die einst seinen Vater fürchteten, sind fasziniert vom einfachen Lebensstil des 34-Jährigen, der selbst sein Auto steuert, bei roten Verkehrsampeln hält und Hotelrechnungen bezahlt. "Volkskönig" nennt man liebevoll diesen jungen Mann, der als höchster religiöser, politischer und militärischer Führer so wenig Neigung zu skrupelloser Härte zeigt. Nicht sein Vater, so bekannte Mohammed einmal, sei sein Rollenmodell, sondern Spaniens König Juan Carlos, der so mutig die Demokratie förderte und verteidigte und über der Tagespolitik steht.

... ohne wirkliche politische Substanz Doch es ist mehr der Stil als die Substanz, die Arabiens "Internet-Prinzen" von ihren Vätern abhebt. In den Ländern, in denen sie herrschten, würden zwar die Menschenrechte nicht mehr verletzt wie früher, stellt die in den USA stationierte Human Rights Watch fest. "Aber sie haben bis heute die Gesetze nicht verändert." Eine Ausnahme im Kreise bildet Scheich Hamad bin Khalifa, der Liberalisierungen in seinem kleinen Reich einleitete, die längerfristig die gesamte, von erzkonservativen Autokraten beherrschte Region beeinflussen dürften. Als Zeichen eines neuen Liberalismus gestattete er jüngst den Bau der ersten christlichen Kirche im moslemischen Katar. Er ließ seine Untertanen erstmals von den süßen Früchten der Demokratie kosten, als er das Volk, auch Frauen, zu Gemeinderatswahlen rief. Nun verspricht er eine neue Verfassung und Wahlen zu einem Rat mit vollen legislativen Rechten. Zudem beherbergt der Scheich mit "Al Jazirah" den freimütigsten Fernsehsender Arabiens.

Sein Amtskollege in Bahrain, Scheich Hamad bin Issa al Khalifa, hingegen hat zwar seit seiner Machtübernahme vor einem Jahr einige politische Gefangene freigelassen, etwa 30 deportierten Kritikern des Regimes die Rückehr in die Heimat gestattet und ein Menschenrechtskomitee eingesetzt. Doch die von seinem Vater suspendierte Verfassung setzte er bis heute nicht wieder in Kraft, und die Hoffnung auf Wahlen zu dem 1975 aufgelösten Parlament erfüllte sich nicht.

In der Praxis zeigt sich, dass Arabiens neue Herrscher den Sprung in eine demokratische Zukunft bis heute nicht gewagt haben. Jordaniens König Abdallah hat eben den neuen liberalen Ökonomen Ali Abul Ragheb mit einer langen Liste weitreichender politischer, ökonomischer, sozialer und bildungspolitischer Reformen beauftragt. Ende von Nepotismus und Korruption verlangt der Monarch. Die von der Regierung weitgehend kontrollierte Presse soll privatisert und damit liberalisiert werden. Damit hofft Abdallah, einer sich alarmierend ausbreitenden Apathie und politischen Frustration entgegenzuwirken. Viele Jordanier wollen den Modernisierungswünschen ihres Herrschers glauben. Doch Taten sahen sie bisher keine.

Repressionen trotz Demokratiebekenntnis Ähnlich ergeht es den Marokkanern. König Mohammeds emphatischem Bekenntnis zu Demokratie und Meinungsfreiheit widersprechen jüngste Repressionen gegenüber der lokalen Presse. Eine strafrechtliche Verurteilung eines Journalisten "geschah seit 1912 nicht mehr", beschwerte sich sogar das sonst zahme Presse-Syndikat. Und der verurteilte, prominente Journalist Alaoui fürchtet, "in Marokko entsteht eine neue Diktatur". Alaoui hatte sich durch ein Interview mit dem Chef der "Befreiungsbewegung für die Westsahara" mit den Militärs angelegt. Der Zwischenfall signalisiert die erste Konfrontation mit der - vom König geförderten - heranwachsenden Bürgergesellschaft und den Offizieren, die seit dem Tod Hassans begierig in das Machtvakuum vorzustoßen suchen. "Wer beherrscht wen", fragen sich besorgte Demokraten.

Wie Mohammed, sieht sich Abdullah, aber auch Bashar Assad mit dem energischen Widerstand der Militärs - der stärksten Autorität in ihren Ländern - konfrontiert. Diese jungen Herrscher sind aber auch Gefangene der alten politischen Elite, die ihre Pfründe entschlossen gegen alle Bestrebungen zur Modernisierung und Liberalisierung verteidigen. Ob die Internet-Prinzen ihre Position so festigen können, dass in ihren Herrschaftssystemen eine politische Liberalisierung Platz zu greifen vermag, wird sich schließlich als Schicksalsfrage für die gesamte arabische Welt erweisen.

Die Autorin ist Nahost-Korrespondentin verschiedener Tages- und Wochenzeitungen.

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