Fallstricke der Revolution

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Der politische Umbruch im arabischen Raum wird 2012 das weltpolitische Geschehen bestimmen. Der Iran wird Nuklearmacht. Die Kriegsgefahr steigt.

Ein Jahr ist es her, da verbrannte sich ein junger Gemüsehändler in Sidi Bouzid in Tunesien aus Protest gegen ein Regime, das ihm die Existenz mit sinnlosen Vorschriften, Korruption und Unterdrückung verleidete. Mohamed Bouazizis Protest wurde zum Weckruf für eine frustrierte und chancenlose Generation junger Araber zwischen Rabat und Rijad. Ab Jänner 2011 erhoben sich Millionen Menschen, um für Freiheit und bessere Lebensbedingungen zu kämpfen. Sie rissen breite Bevölkerungsschichten mit in einen Aufstand, der sich zu einer panarabischen Revolution entwickelte. Eine politische Bewegung, die Hunderte Millionen Menschen eines Kulturkreises eint. Zuletzt hatte davon in den 70er-Jahren ein junger libyscher Offizier geträumt und sich selbst als Revolutionsführer eingesetzt: Muammar Gaddafi, der heuer als Diktator selbst zum Opfer eines Volksaufstandes wurde.

Doch gerade am Beispiel Libyen lässt sich ablesen, dass Revolutionen politische Hochrisikozeiten sind, in denen sich sehr schnell Positives ins Negative verkehren kann und umgekehrt. In der die Zukunft mit dem Tod oder der Entmachtung des einen oder anderen Unterdrückers noch lange nicht gewonnen ist. Sobald der libysche Übergangsrat der Rebellen nach den Kämpfen die ersten Feiern über die Freiheit und den Tod des Diktators hinter sich gebracht hatte, offenbarte sich, was einige der wichtigsten Anführer mit "Freiheit“ meinen.

Mustafa Abdul Jilil etwa, der Mann, dem die NATO und der demokratische Rest der Welt vertraut, der Chef eben dieses Übergangsrates ließ seinen Visionen zum neuen Libyen freien Lauf. Das neue Libyen solle sein Recht auf Basis der Scharia gestalten. Das Recht auf Scheidung für Frauen solle aufgehoben, die Polygamie wieder eingeführt werden. Innerhalb Libyens war kaum Kritik an diesen Worten zu hören. Stattdessen kam es in einigen Ortschaften südlich von Tripolis zu Gefechten zwischen rivalisierenden Stämmen. Unter solchen Begleitumständen sollen in Libyen im Juni die ersten Parlamentswahlen stattfinden.

Sorgen mit der Revolution

Libyen ist bei weitem nicht der einzige Fall einer Revolution, die sich nach dem Umsturz in einem prekären politischen und gesellschaftlichen Schwebezustand befindet. In Ägypten finden derzeit Wahlen statt, in jene Gruppen dominieren, die sich bereits seit Jahren gut organisiert habe: Die Muslimbrüder und die noch radikaleren Salafisten. Für die Frauen sowie für gesellschaftliche wie religiöse Minderheiten im bevölkerungsreichsten Land Arabiens könnte sich das äußert nachteilig auswirken. Das spüren auch die christlichen Kopten, die immer wieder Opfer von Übergriffen und Anschlägen werden.

In Ägypten ist neben der islamischen Frage die Rolle des übermächtigen Militärrates nach wie vor vollkommen unklar.

Vor allem aber ist die wirtschaftliche Notlage, welche die Aufstände maßgeblich mit auslöste, prekärer denn je. Die Preise steigen (11 Prozent Inflation 2011), während das Wirtschaftswachtstum auf zuletzt von fünf Prozent 2010 auf 1,2 Prozent gefallen ist. Der Tourismus hat sich seit Jänner halbiert.Wer heute zum Spottpreis die früher vollkommen überfüllten Destinationen am Roten Meer besucht, erlebt menschenleere Strände und verwaiste Hotels. Diese Einbußen werden über kurz oder lang das Heer frustrierter Arbeitsloser mit Nachschub versorgen. Das ist brandgefährlich, weil die Revolution damit wichtige ihrer Grundversprechen - Zukunft, Jobs und Brot - nicht erfüllt. Davon werden jene Gruppen profitieren, welche die Demokratie als Störung der Ordnung verunglimpfen.

In Syrien tobt seit einem halben Jahr ein Bürgerkrieg. Mindestens 5.000 Oppositionelle wurden vom Regime ermordet, Präsident Assad sitzt trotz Sanktionen und dem Boykott der arabischen Liga immer noch fest im Sattel.

Er tut das vor allem mithilfe des Iran, der sein 2009 im eigenen Land erworbenes Know-how zur Unterdrückung von Aufständen offenbar exportiert. Laut Geheimdienstberichten gehen derzeit Vertreter der iranischen Revolutionsgarden in Damaskus ein und aus. Die Erfolge der Aufständischen, zu denen auch Teile der regulären Armee gehören, nehmen sich gegen das Blutbad, das das Regime unter den Aufständischen anrichtet, sehr bescheiden aus. An Syrien sieht man derzeit eindrücklich auch die Stellung des Iran als bestimmende Hegemonialmacht des gesamten Nahen Ostens.

Dass das Regime in Teheran spätestens ab Herbst 2012 sogar über Atomwaffen verfügen wird, ist ein weiteres Menetekel, das über der Region liegt. Wie wird Israel darauf reagieren? Würde ein Luftschlag der Israelis zu einem regionalen Krieg führen, der wegen der politischen Instabilitäten zu einem Flächenbrand werden könnte?

Können die USA zusehen, wie einer ihrer politischen Intimfeinde zur Nuklearmacht aufsteigt? Doch der Iran befindet sich in beinahe allen Punkten im Vorteil: Er hat den erklärten Willen und die Mittel einen längeren militärischen Konflikt zu führen. Er hat genug Einfluss in der Region (Syrien, Libanon), um seinen Gegnern ernste Probleme zu bereiten. Und als Drittes erhält er mit dem von den USA verlassenen Irak einen weiteren Staat, den er unter seine Kontrolle bringen dürfte. Stimmen Berichte aus Bagdad, dann ist die Regierung Maliki zumindest politisch mit Teheran eng verbunden.

All diese Ingredienzien machen den arabischen Raum zu jenem Gebiet der Welt, in dem 2012 noch mehr als in den vergangenen zehn Jahren höchste Kriegsgefahr besteht - und von dem die größte Gefahr für den Weltfrieden ausgeht.

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