Die wankende Facebook- Revolution

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Ein Click allein macht noch keine Freiheit. Die im Internet organisierten Revolten junger Demokraten in Arabien leiden an einem Organisationsdefizit. Gegen etablierte Islamisten und mächtige Militärs kommen sie nicht an.

Es geschah am Tag des Pfluges nach dem Kalender der Französischen Revolution, dem 31. Oktober 1793 als Pierre Vergniaud in Paris auf dem Schafott hingerichtet wurde. Als Revolutionär hatte Vergniaud unablässig für ein neues, freies Frankreich geworben, er war dem blutigen Terror Robespierres entgegengetreten - und hatte verloren. Seine letzten Worte waren: "Die Revolution ist wie Saturn, der seine eigenen Kinder frisst“.

Im Facebook-Revolutionsjahr 2011 in Ägypten gibt es keine Guillotine. Die Kinder der Revolution fallen keinen Gemetzeln zum Opfer wie damals. Manche von ihnen verschwinden einfach aus dem Netz, ganz unheroisch und freiwillig. Wael Ghonim ist ein Beispiel dafür. Noch vor zehn Monaten war er das Gesicht der Revolte der Jugend, die den Diktator Hosni Mubarak gestürzt hat. Er hat auf Facebook zu Demonstrationen aufgerufen und wurde für Hunderttausende zu einer Identifikationsfigur des Widerstandes auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Doch nun spricht Ghonim nicht mehr.

Er gibt keine Interviews und will die politische Lage nicht kommentieren. Dafür schreibt er ein Buch über seine Erinnerungen an die "Revolution 2.0“. Das hat ihm vorab schon zwei Millionen Dollar Honorar beschert. Hier stößt sich die ökonomische Banalität der Wirklichkeit ein wenig an dem heroischen Versprechen, das Ghonim mit seiner virtuellen Facebook-Identität abgab: "El Shaheed“ - der Märtyrer.

Der abgemusterte Facebook-Revolutionär Ghanid ist nur das herausragendste Beispiel für ein ernüchterndes Gesamtbild. Die Revolten des "Arabischen Frühlings“, die mit viel Euphorie begonnen wurden und Facebook, Twitter und Google den Ruf geradezu magischer Demokratiewerkzeuge eingetragen haben, müssen sich an der Realität bewähren. Doch in den Wahlzellen von Tunis vergangene Woche und vermutlich auch im ägyptischen Wahlgang in einem Monat zeigt sich, wie gering die Überzeugungskraft der Internet-Generation tatsächlich ist.

Gut Organisierte gewinnen

Nicht die treibenden Kräfte der Umstürze werden die gestaltenden Kräfte in den Revolutionsländern sondern jene, die gut organisiert und finanziell gut ausgestattet sind. Das sind in Tunesien wie in Ägypten nicht die Studenten, sondern meist konservative Strömungen, deren Parteikassen mit saudischen Geldern prall gefüllt sind.

In Tunesien gewannen die gemäßigten Islamisten der Ennahda-Bewegung um Rachid Ghannouchi mit mehr als 40 Prozent der Stimmen die ersten freien Parlamentswahlen nach dem Sturz Ben Alis. Die neuen liberalen Parteien der Internet-Generation wie etwa die Grünen Tunesiens oder Parteien des städtischen liberalen Bürgertums schnitten kläglich ab. Ennahda versprach zwar, ein liberales Tunesien anzustreben, doch die Existenz von starken radikalen Strömungen innerhalb der Ennahda sind unbestritten.

Abseits der Politik prägen Kopftücher und Bärte wieder zunehmend auch das Stadtbild von Tunis. Es gibt Berichte von Imamen, die aus ihren Moscheen verjagt wurden, weil sie als zu liberal galten. Der Zeichentrickfilm "Persepolis“, in dem Allah entgegen islamischer Lesart als alter Mann zu sehen ist, führte im Sommer zu gewaltsamen Ausschreitungen.

Noch wesentlich schlimmer bestellt ist es um die ägyptischen Revolutionäre vom Tahrir-Platz, die mit Facebook und Twitter maßgeblich zum Umsturz im bevölkerungsreichsten Land des arabischen Raumes beitrugen. Nicht die Muslim-Bruderschaften sind es hier, welche die Protestbewegung der Internetgeneration unterminieren sondern das Militär, das seit dem Sturz Mubaraks an den Hebeln der Macht sitzt.

Beinahe täglich melden ägyptische Medien und Internetforen die Verhaftung oder vorübergehende Festnahme von Bloggern. Erst am vergangenen Samstag wurde gegen einen der führenden Köpfe der wichtigsten Protestgruppe, der "Jugendbewegung 6. April“, Abd el-Fatah eine 15-tägige Untersuchungshaft verhängt - von einem Militärgericht. Die Vorwürfe: Aufrührerei und Waffendiebstahl. Der eigentliche Grund für die Verhaftung dürfte ein ganz anderer sein: El-Fatah hatte am 27. Oktober über den Angriff des Militärs auf eine Koptendemonstration berichtet, die mit dem Tod von 28 Menschen geendet hatte.

Jagd auf Aktivisten

El-Fatah ist kein Einzelfall. Insgesamt 12.000 Tahrir-Aktivisten und -Sympathisanten sollen nach Darstellung von Menschenrechtsorganisationen seit dem Sturz Mubaraks verhaftet worden sein. Die Menschenrechtsgruppe ANHRI spricht in diesem Zusammenhang von einer "permanenten Jagd auf Aktivisten“.

Die Proponenten der Freiheitsbewegung sind Verhören und Erniedrigungen durch Militärangehörige ausgesetzt. Anzeigen wegen Misshandlungen und Folterungen werden nach Angaben der Menschenrechtler kaum verfolgt. Der Protest gegen diese Missstände hält sich in engen Grenzen. Gegen die Verhaftung el-Fatahs gingen am Dienstag gerade einmal 3000 Menschen auf die Straße.

Neben dem brutalen Vorgehen der Militärregierung verzeichnen Menschenrechtsorganisationen die zunehmende Islamisierung der Zivilgerichte. Am Montag wurde in Kairo der koptische Blogger Ayman Mansour wegen Verspottung des Islam zu drei Jahren Haft verurteilt. Youssif Ghanem, ein Student und Facebook- Aktivist: "Wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns und es sieht so aus, als ob wir einen Rückfall in die Mubarak-Zeit erleben. Das Militär ist dafür verantwortlich.“ Tatsächlich bahnen sich ehemalige Proponenten der politischen Partei Mubaraks, der National Democratic Party, ihren Weg zurück in leitende Funktionen. Gemeinsam mit den Muslimbrüdern wehren sich vier liberale und linke Parteien derzeit ohne Erfolg gegen die Zulassung ehemaliger Funktionäre der Mubarak-Partei zu den Parlamentswahlen. Laut der von der Militärregierung verabschiedeten Verfassung muss nämlich ein Drittel der Sitze des Parlaments von "unabhängigen Kandidaten“ besetzt werden. Die Partei des Diktators ist zwar aufgelöst, doch die Funktionäre dürfen als Unabhängige kandidieren.

Das Schweigen Tantawis

All das scheint eigentlich undenkbar für ein Land, in dem über fünf Millionen Menschen täglich über Facebook informiert und mobilisiert werden können. Doch wie es scheint, haben sich die Machthaber auf die Proteste der neuen Generation eingestellt. Das Militär ist nun selbst auf Facebook und verbreitet Nachrichten über die stabile demokratische Situation im Land. Im April, als "Märtyrer“ Wael Ghonim noch aktiv war, wollte er die neue Medienoffensive des Militärs nutzen und schickte via Facebook einen Protestbrief gegen die Übergriffe auf Zivilisten an den obersten Militär- und Quasi-Staatschef Hussein Tantawi. Auf eine Antwort von Netz-Freund Tantawi warten die ägyptische Revolutionäre bis heute vergeblich.

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