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Warum ist Nasser verstummt?

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Abd el Nasser blieb zwar Präsident, aber, fragen sich Kenner der Verhältnisse, wie groß ist gegenwärtig sein tatsächlicher Einfluß? Seit der von ihm verschuldeten militärischen Niederlage beteiligte er sich nur zweimal öffentlich an der Diskussion über die Zukunft Ägyptens: Am 9. Juni 1967 durch die am nächsten Tag widerrufene Rücktrittserklärung, und am 23. November 1967 durch eine aggressive Parlamentsrede. Beide Male standen seine Erklärungen in auffälligem Gegensatz zur tatsächlichen Politik, ohne diese jedoch nachteilig zu beeinflussen. Das gab zu denken.

Seitdem ist er, der früher so gern und so häufig öffentlich sprach, verstummt. Auf der Ebene unmittelbar unter ihm ist unterdessen eine für das nasseristische Ägypten neuartige und bis jetzt für undenkbar gehaltene Auseinandersetzung über Ursachen und Folgen der Juni-Krise zu beobachten. Ihre Exponenten sind die „alten Kämpfer“ Alt Sabri auf der „Linken" und Zakaria Mohied- din auf der „Rechten“. In beider Schatten kommt es zu den überraschendsten und rasch wechselnden Frontbildungen. So schwer durchschaubar sie sind, kristallisiert sich doch immer deutlicher die wahrscheinlich stärkere Richtung heraus.

Ali Sabri sah nach dem Sechstagekrieg endlich die Chance, den maßgeblich von ihm konzipierten und vorawgepeitschten „Ägypto-Kommu- nisrnus“ zur letzten Konsequenz zu treiben. Mittel zu diesem Zweck sollte die Einheitspartei „Arabische Sozialistische Union“ (ASU) sein, die sich zuletzt bei dem spontan organisierten Straßenplebiszit für Abd el Nasser in den Nachtstunden des 9. auf 10. Juni vorigen Jahres als gefährliches Machtinstrument erwies. Sabri scheiterte, weil sich die traditionelle politische Denkweise der Bevölkerungsmehrheit noch einmal durchsetzte gegen die Kader und den von ihnen dirigierten Pöbel der FüntmilMonenorganisation. Seitdem verlor der ehemalige Vizepräsident und jetzige stellvertretende Ministerpräsident unaufhaltsam an Einfluß, obwohl der Präsident völlig mit ihm übereinstimmt. Ohne daß er sich wehren kann, verbreitet man öffentlich nicht gerade schmeichelhafte Einzelheiten aus seinem Privatleben.

Der Gegenspieler

Sein Gegenspieler Zakaria Mohied- din gewinnt währenddessen immer größere Macht. Dabei ist er keineswegs beliebt, und Abd el Nasser handelte sicher vorsätzlich, als er gerade ihn am 9. Juni zu seinem Nachfolger bestimmte. Er wußte zu gut, daß diese Wahl mehr als sein gespielter Rücktrittsentschluß an sich die Bevölkerung aufbringen würde.

Die zeitweilige Entmachtung der Armeeführung und die Prozesse gegen die Geheimdienstspitzen schadeten in erster Linie Mohieddin. Dieser galt in der Armee als geeignetster Reorganisator des zerrütteten Staatswesens. In der von ihm aufgebauten Polizei und in den jahrelang von ihm geleiteten Geheimdiensten genoß er großes Vertrauen. Der Schlag gegen beide beraubte ihn daher seiner natürlichen potentiellen Verbündeten. Sein eigenes Verschwinden schien nur noch eine Zeitfrage. Inzwischen kam es aber zu einer genau umgekehrten Entwicklung.

Die mindestens teilweise Ausschaltung des allgewaltigen Uber- wachungsapparates der Diktatur rei nigte den ehemaligen Polizeiiminister von dem „Fouquetschen Ruch“. Er erwies sich zudem, ähnlich wie der Polizeichef Napoleons nach dem Ausscheiden aus diesem Amt, als bemerkenswert liberaler Politiker. Zwar opferte er, offenbar leichten Herzens, die Handlanger jahrelanger Unterdrückung. Gegen sie gibt es noch immer geheime oder halböffentliche Prozesse. Van der Bevölkerung nehmen aber gerade diese eine nur schwer ertragene Last. Folglich be teiligen sich immer weitere Kreise furchtlos an der Diskussion über die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Zukunftsprobleme. Zu ihrem Hauptsprecher machte sich erstaunlicherweise einer der engsten Freunde Abdel Nassers: Mohammed Hassanan Heikal, Chefredakteur des Regierungsblattes „El-Ahram“ („Die Pyramiden“).

Der Opportunist Heikal

Heikal verurteilte in den letzten Monaten wiederholt die Macht der Sicherheitsdienste und forderte eine stärkere Beteiligung der Bevölkerung an der politischen Willensbildung. Zunächst war angenommen worden, er handle dabei im Auftrag des Diktators. Dieser wolle, um seine eigene Haut zu retten, lediglich „Dampf ablassen“. Sobald er sich wieder stark genug fühle, werde er die Diskussion unterbinden. Inzwischen sind diese jedoch so weit gediehen, daß offen der obersten Führungsspitze die Alleinschuld an der Niederlage angelastet wird, ohne daß Abd el Nasser mäßigend eingriff. Infolgedessen muß man annehmen, daß er dazu nicht mehr die Macht besitzt und daß der Opportunist Heikal auf die „stärkeren Bataillone“ setzt.

Mohieddin spielt sich unterdessen immer mehr in den Vordergrund. Obwohl er gegenwärtig nur stellver tretender Ministerpräsident ist wie sein Gegenspieler Ali Sabri, sehen in ihm viele heute den akzeptabelsten Nachfolgekandidaten für Abd el Nasser. Letzterer hat vielleicht nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder beschränkt er sich auf die rein repräsentativen Befugnisse des Staatsoberhauptes und macht Mohieddin zum politisch verantwortlichen Regierungschef — oder er tritt doch noch zurück. Beobachter, die seinen autokratischen und messianischen Charakter kennen, sagen zwar voraus, er werde sicher versuchen, die ganze Macht noch einmal zurückzugewinnen. Fest steht aber, daß die Chancen dafür gering geworden sind. Das ägyptische Volk ist wie ein lahmendes Rennpferd, das seine Jockeys müde ist und nur noch bockt.

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