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Die Chancen der dritten VAR

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So enthusiastisch Ministerpräsident Chruschtschow bei seinem Ägyptenbesuoh die politische und ideologische sowjetisch-ägyptische Partnerschaft feierte, gegenüber den arabischen Einheitsträumen hegte er offenherzigen Skeptizismus. Die staatlich gegängelten ägyptischen Rundfunk- und Pressekommentatoren hatten alle Mühe, die unwirschen Ratschläge zu den von Präsident Abdel Nasser keineswegs aufgegebenen Einheitswünschen in Wohlwollen umzufälsehen. Als wolle er die zweifelnden Sowjets überzeugen, unterzeichneten der ägyptische Staatschef und sein irakischer Kollege Abdel Salam Aref zwei Tage nach Chruschtschows Abreise ihre jüngste Einigkeitsdeklaration.

Dieses bisher nüchternste Dokument arabischer Unionsabsichten soll die Vorstufe einer staatlichen Vereinigung Ägyptens und des Iraks sein. Es sieht unter anderem gemeinsame politische, wirtschaftliche und militärische Planung vor. An der Spitze soll ein kollektiver „Prä-sidentsohaftsrat“ stehen, dem Abdel Nasser und Aref angehören. Zwischen den regelmäßigen Zusammenkünften auf höchster Ebene soll ein Sekretariat, dessen Sitz Kairo ist, die gefaßten Beschlüsse verwirklichen. Noch ehe das Abkommen von den Schattenparlamenten in Kairo und Bagdad ratifiziert wurde, geben ihm Kenner der Verhältnisse genauso geringe Chancen wie den beiden vorhergegangenen Versuchen zur arabischen Einheit.

Der bisher größte panarabische Triumph, der Zusammenschluß Ägyptens und Syriens zur ersten „Vereinigten Arabischen Republik“ am 1. Februar 1958, ist schon fast vergessen. Damals hatten labile innerpolitische Verhältnisse und ein befürchteter kommunistischer Umsturzversuch Präsident Schukri el-Kuwatli (von dem nassertreuen Geheimdienstchef Abdel Hamid Sar-radsch mehr gezwungen als freiwillig) veranlaßt, die syrische Unabhängigkeit zu opfern. Sarradsch verzehrt heute im Kairoer Exil die finanziellen Zinsen des Vertrauenskapitals, das er sich während seines raschen Aufstieges bis zum letzten Chef der Damaszener Provinzial-regierung erwarb.

Die Ehe zwischen syrischem Reichtum und ägyptischer Stabilität dauerte nur rund dreieinhalb Jahre. Die VAR ging zugrunde, weil Ägypten keine Partnerschaft, sondern rigorose Hegemonie anstrebte. Ägyptische Armeeoffiziere, Polizei-und Verwaltungsbeamte wurden in syrische Schlüsselstellungen eingeschleust, die allumfassende polizeistaatliche Praxis — Presse-, Film-, Rundfunk-, Fernseh- und Postzensur, Telephonkontrolle und -Überwachung — auch in der „Nordprovinz“ eingeführt und ägyptische Fellachen auf syrischem Boden angesiedelt. Als die Zentralregierung eine Bodenreform erzwingen und die syrische Währung, die wesentlich härter war als die ägyptische, gleichschalten wollte, kam es am 28. September 1961 zur Sezession. Syrien zog innerpolitische Labilität politischer Unterjochung und wirtschaftlicher Auspowerung durch den stärkeren, aber ärmeren Partner vor.

Den panarabischen Hoffnungen Ägyptens versetzte der Zusammenbruch der VAR einen nachhaltigen Schock. Obwohl die Erinnerung daran wachgehalten wird durch die alte Unionsflagge und den Namen „Al-Gumhuria al-Arabia al-Muta-hida“, die es beibehielt, glauben nur wenige Ägypter, daß der Griff nach den wohlgefüllten Fleischtöpfen Syriens und des Irak noch einmal gelingen könne.

Trotzdem unterzeichnete Abdel Nasser am 17. April 1963 die provisorische Verfassung einer zweiten „Vereinigten Arabischen Republik“ zwischen Ägypten, Syrien und dem Irak, die innerhalb von sechs Monaten verwirklieht' werden sollte. An diesem Tag wälzten sich Demonstrationszüge durch die Straßen Kairos, die Massen jubelten, und Näherbrigaden versahen die zwei-sternigen rotweißschwarzen Unionsflaggen mit einem dritten Stern. Aber die Begeisterung war nicht echt. Sie wurde durch bezahlte Jubler provoziert, und überall, wo es zu Kundgebungen kam, sah man mehr skeptische als freudige Gesichter.

Wieder waren es innerpolitische Schwierigkeiten gewesen, die die Damaszener und die Bagdader Regierung zu dem „Canossagang“ nach Kairo veranlaßt hatten. Die damals in beiden Hauptstädten herrschende Baath-Partei sah sich wachsendem Druck bürgerlicher und nasse-ristischer Oppositionsgruppen ausgesetzt. Die Unionsverfassung bezweckte, die Nasseristen in den eigenen Ländern zu beschwichtigen und Zeit zu gewinnen, um sich zu festigen. Im selben Maß, in dem das gelang, wurde von der Union nicht mehr gesprochen. Das halbe Jahr verstrich ergebnislos, und in Kairo mußte der dritte Stem von den Fahnen stillschweigend wieder abgerissen werden.

Die Kairoer Gipfelkonferenz vom Jänner 1964 bewies noch einmal, daß die arabischen Regierungen trotz weiterhin schwieriger innerpolitischer Verhältnisse keine Neigung zeigten, sich .auf eine neue Union' inzulaösen. Der>'damals''ver* > einbart ri9i^drgMeaeii &#9632;'' räaüeitfc'< noch nicht drei Monate, da beschuldigte die Baath-Regierung in Damaskus Ägypten und den Irak, die blutigen Unruhen in Nordsyrien verursacht zu haben, die das Land Ende März an den Rand des Bürgerkrieges trieben.

Die Lage in Syrien ist denn auch wichtigster Beweggrund für die neue ägyptisch-irakische Union. Abdel Nasser hofft eingestandenermaßen noch immer, früher oder später wieder siegreich in Syrien einzuziehen.

Kenner der Verhältnisse In Ägypten und im Irak schätzen die Chancen der „dritten VAR“ gering ein. Sie weisen vor allem auf die räumliche Entfernung beider Länder, die noch größer ist als die zwischen Ägypten und Syrien. Auch ihre politische und wirtschaftliche Struktur ist völlig verschieden. Darüber hinaus ist fraglich, ob sich der selbstherrliche Abdel Nasser wirklich zu einer echten „kollektiven Führung“ bereitfände. Bagdad ist schließlich ältester Konkurrent Ägyptens als arabische Führungsmacht. Im Irak kann man oft hören, die Ägypter seien gar keine Araber. Und ein syrischer Diplomat antwortete jüngst auf die Frage, ob und wann eine echte und dauerhafte 'arabische, Einheit erreichbar sei: „Sobald Ägypten aufhört, sich als arabische Führungsmacht aufzuspielen I“

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