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GAMAL ABDEL NASSER / DER NEGATIVE HELD

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Gamal Abdel Nasser — der, am 15. Jänner 50 Jahre alt gewordene ägyptische Präsident — ist einer der meistgenannten zeitgenössischen Staatsmänner. In diesem Jahrhundert errangen nur drei Politiker, bevor sie 50 Jahre alt geworden waren, Weltruf: Benito Mussolini, Adolf Hitler und — Gamal Abdel Nasser. Mussolini war, als er auf Rom marschierte, 38; als man ihn absetzte, war er 60; als er umgebracht wurde, war er 62. Hitler wurde mit 44 Reichskanzler; mit 50 entfesselte er den zweiten Weltkrieg; mit 56 beging er Selbstmord. Abdel Nasser inszenierte seinen Staatsstreich als Vierunddreißigjähriger; den Suezkonflikt löste er aus als Achtund- dreißigjähriger; im Jemenkrieg intervenierte er als Vierundvier- zigjähriger; die für ihn wahrscheinlich entscheidende Niederlage, im Sechstagefeldzug, erlitt er als Neunundvierzig jähriger.

Alle drei haben dreierlei gemeinsam: Ihr Aufstieg endete in einem Alter, in dem der andere erst zu beginnen pflegt. Sie wurden zu negativen Helden, zu Unhelden. Und obzwar beinahe jedermann von ihnen sprach oder spricht, umgibt sie manches ungelöste Rätsel. Das gilt insbesondere für Gamal Abdel Nasser. Der Nildiktator blieb, wenngleich sein Name seit mehr als 15 Jahren täglich in den Schlagzeilen der Weltpresse erscheint, ein nahezu unbekannter Mann.

Sein eigentlicher Aufstieg begann im Morgengrauen des 23. Juli 1952, als er mit Verschwörern die Macht in Kairo übernahm. Sie trafen auf keinen nennenswerten Widerstand, und ohne Blutvergießen zwangen sie drei Tage später König Faruk zur Abdankung. Faruk verließ für immer sein Land. Nur sein Leichnam ruht heute, fast unbeachtet beigesetzt, in einem Kairoer Mausoleum seiner Familie.

Und doch scheint Nassers Schicksalsjahr 1967 gewesen zu sein: der Sechstagekrieg gegen Israel. Ohne dazu provoziert worden zu sein und obwohl er über eigene hervorragende Geheimdienste verfügte, glaubte er gefälschten sowjetischen Agentenmeldungen über eine angebliche israelische Mobilmachung. Er entsandte seine Soldaten auf die Sinaihalbinsel und sperrte die Tiranstraße. Moskau erhoffte sich davon, wie man heute weiß, eine „zweite Front" gegen die USA. Abdel Nasser machte willig mit. Von Moskau offensichtlich nicht einkalkuliert war dessen vernichtende Niederlage. Es gibt gewisse Anzeichen, daß die sowjetischen Experten annahmen, Israel sei infolge seiner soziologischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu schlagen oder werde doch dem offenen Kampf aus- weichen. Dann wäre die Rechnung aufgegangen und Palästina zu einem zweiten Vietnam geworden.

Wenn nicht alles täuscht, beendete die Junikatastrophe die Karriere Abdel Nassers. Das erlaubt eine gewisse Bilanz: Wie seine Diktatorenkollegen Musso lini und Hitler, mit denen man ihn häufig verglich, verlangte er von seinem Land und seinem Volk eine Weltmachtrolle, die zu spielen dessen geographische, politische, wirtschaftliche und soziale Voraussetzungen gar nicht erlaubten. Wie sich herausstellte, überforderte er Ägypten. Dieses ist heute von äußerer Hilfe abhängiger als zuvor. Wäre Nationalismus Abdel Nassers einzige Triebfeder wäre er nur einer der gescheiterten Reformer, an denen die moderne arabische Geschichte so reich ist, und einer der unzähligen Diktatoren unseres Jahrhunderts.

Handelte er aber nach einem- den kommunistischen Idealen seiner Jugendzeit entsprechenden Plan, so hatte er bestimmt Erfolg: mit seinem Auftreten begann die Sowjetisierung Ägyptens, er öffnete Moskau die arabische Welt, und durch ihn erreichte Rußland ein 150. Jahre lang ununterbrochen angesteuertes Ziel, den Zugang zum Mittelmeer. Ein gerader Weg führt von den sowjetischen Waffenlieferungen, im Herbst 1955, zur Einrichtung sowjetischer Marine- und Luftwaffenstützpunkte; ein gerader Weg vom CIA-Protegė zum KPdSU-Satrapen.

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