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Witz in traurigen Zeiten...

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Ägypten feierte Ende Juli den 14. Jahrestag des Staatsstreiches Gamal Abdel Nassers. 1952 stürzte eine Offiziersverschwörergruppe in diesen drei Tagen den letzten König, Faruk I. Der „Playboy auf dem Pharaonenthron“ starb im europäischen Exil. Aber er erlebte noch den bitteren Triumph, daß die hoffnungsvollen Umstürzler von einst versagten. Hinter Präsident Gamal Abdel Nasser, dem bewunderten Revolutionär der fünfziger und dem unumschränkten Diktator der frühen sechziger Jahre, liegt eine schwere Zeit, und vor ihm steht eine sorgenvolle Zukunft. Er ist schwer zuckerkrank. Nur knapp entging er einem guten Dutzend Mordanschläge. Die Zuchthäuser und Konzentrationslager sind voll mit schon abgeurteilten und noch auf ihren Prozeß wartenden Regimegegnern.

Die Wirtschaft stagniert, und ohne die, in beschränktem Umfang, wiederaufgenommenen USA-Wei- zenlieferungen droht Hungersnot. Die Bevölkerungszahl, 1960 noch bei rund 26 Millionen, überschritt soeben die 30-Millionen-Grenze.

Man flüstert...

„In traurigen Zeiten blüht der Witz!“ lautet ein jüdisches Sprichwort. Es könnte auch arabisch sein. Nichts beweist das besser, als jene heimlichen Geschichten, die in den Süks von Alt-Kairo, in den Kaffeehäusern an der „Straße des 26. Juli“, auf Arbeitsplätzen und in Fellachenhütten, unter Offizieren und Beamten und bei Diplomatenempfängen flüsternd von Mund zu Mund gehen.

Aiuf die Meinungsverschiedenheiten zwischen Präsident und Regierungschef spielt folgender Witz an: Abdel Nasser und Premierminister Mohieddin fliegen von Kairo nach Alexandria. Der Präsident schaut sinnend durchs Fenster: „Was mag geschehen, wenn ich einen Pfundschein hinunterwerfe?“ Antwort: „Dann machst du einen Ägypter glücklich!" — Fragt Abdel Nasser: „Und wenn ich hundert Pfundscheine hinunterwerfe?“ Antwort: „Dann machst du hundert Ägypter glücklich!“ — Abdel Nasser: „Und wenn ich selbst hinunterspringe?“ Mohieddin: „Dann machst du alle Ägypter glücklich!“

Auch die kleinbürgerliche Her-

kumft des Diktators ist eine beliebte Zielscheibe: Abdel Nassers Vater war Postbeamter. Und früher besaßen viele ländliche Briefträger Esel für den Posttransport. — Ein Kopte kauft also ein Kamel, aber es bockt. Er kauft ein Pferd, aber es bockt auch. Darauf kauft er einen Esel, aber er bockt noch mehr. Als er vom Händler sein Geld zurückverlangt, antwortet der, das sei unmöglich, weil alles sozialisiert sei. Folglich wendet sich der Betrogene an den „Rais“. Dieser läßt sich Kamel, Pferd und Esel kommen und befragt sie. Sagt das Kamel: „Ich habe den Propheten getragen, wie komme ich dazu, einen armseligen Kopten zu schleppen?“ — Das Pferd: „Ich habe die arabische Zivilisation in die Welt getragen; soll ich mich mit dem unbedeutenden Kopten abgeben?“ — Doch der Esel antwortet barsch: „Weißt du nicht, daß ich deinen Vater getragen habe?“

Hitler fiel in den Nil...

Die amtliche Propaganda verbreitet gern, daß der Präsident 16 Stunden täglich arbeite (was übrigens stimmt). Fragt ein Ägypter: „Ja, schläft er denn nie?“ — Ant-

wort: „Doch, aber mit offenen Augen!“

Kürzester und treffsicherster Witz ist dieser: „Hitler fiel in den Nil und wurde — Nasser!“

„Arabischer Sozialismus" heißt eines der meistgebrauchten amtlichen Schlagwörter. Was die Bevölkerung davon hält, zeigen zahllose typische Flüsterwitze: Ein Fellache will wissen, was arabischer Sozialismus sei. Er gibt dem Dorfomda zehn Piaster und verlangt, er solle es ihm erklären. „Das weiß ich auch nicht!“ antwortet der. Aber der Omda legt 40 Piaster hinzu und geht zum Provinzgouvemeur. Dieser nimmt die 50 Piaster und sagt, er wisse es auch nicht. Doch der Gouverneur legt weitere 50 Piaster hinzu und geht mit der Frage zum Ministerpräsidenten. Dieser weiß es natürlich auch nicht, rundet die Summe auf fünf Pfund auf und bietet sie Feldmarschall Amer. Dieser wiegt die für ägyptische Verhältnisse sehr große Summe in der Hand und sagt, auch er wisse keine Antwort. Folglich legt Amer fünf Pfund hinzu und geht damit zu Abdel Nasser. Dieser hört sich die Frage an, besieht sich den 10-Pfund-Schein, steckt ihn ein und sagt: „Das ist arabischer Sozialismus!“

Vor 14 Jahren...

Oder: Ein Ägypter fliegt nach Amerika. Als er zurückkommt, fragen ihn seine Freunde, wie es ihm gefallen habe. „Ach, ganz gut, aber so fortschrittlich, wie ich es erwartete, ist Amerika nicht“, antwortet er. — „Wieso?“ — Sagt er: „Nun, in allen Warenhäusern gibt es noch volle Regale. Das hatten wir doch vor 14 Jahren!“

Seit einiger Zeit werden in Italien vorfabrizierte Teile eines Automobiles montiert zu einem „ägyptischen“ Pkw, Marke „Nasr“ („Sieg“). Sagt empört ein Ägypter, der auf einer Italienreise zahllose Fahrzeuge gleichen Typs sah: „Die Italiener sind lauter Diebe; sie fahren doch alle unsere Autos!“

Die mit der Abhängigkeit von Auslandshilfen wenig zu vereinbarende Machtpolitik wird folgendermaßen verulkt: Die Rückseite der ägyptischen Geldscheine zeigt einen Adler. Fragt ein Bankbeamter einen Kunden: „Wissen Sie schon, daß die Regierung jetzt ein Känguruh statt des Adlers auf die Banknoten drucken läßt?“ — „Warum?“ — Antwort: „Damit jeder sieht, daß man auch mit leerem Beutel große Sprünge machen kann!“

„In traurigen Zeiten blüht der Witz!“ Die Ägypter erleben infolgedessen sehr traurige Zeiten. Ihre einzige Waffe gegen die Diktatur ist der Witz. Aber kein Ägypter kann über ihn lachen. Dazu ist er viel zu ernst...

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