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Die Pyramide des roten Pharaos

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Ägypten erlebte am 9. Jänner eines der wichtigsten Daten seiner modernen Geschichte: An diesem Tag begannen 1960 sowjetische Techniker und ägyptische Arbeiter mit dem Bau des Assuan-Hochstaudammes; heute, genau acht Jahre darnach, feierte man seine planmäßige Fertigstellung. UdSSR-Par- tedchef Leonid Breschnew und VAR- Staatschef Gamal Abdel Nasser sollten ursprünglich die „Pyramide des 20. .Jahrhunderts“ gemeinsam einweihen. Die Kairoer Presse wußte aber zu melden, der sowjetische Gast müsse seinen Besuch „wegen Terminschwierigkeiten verschieben“. Man rätselt nun am Nil, ob nicht vielmehr Rücksichtnahme auf die ge schrumpfte außenpolitische Manövrierfähigkeit des nasseristischen Regimes die Moskauer Regierung bewogen haben könnte, auf diese Demonstration sowjetisch-ägyptischer Eintracht vorerst zu verzichten.

Die Cheopspyramide übertroffen

In Ägypten ist augenblicklich niemandem feierlich zumute. Die Juniniederlage überschattet immer noch politisches und privates Leben. Der Niidiktator kämpft verzweifelt gegen seine immer zahlreicher werdenden Feinde, die Bevölkerung leidet unter Lebensmitteiknappheit und Teuerungserscheinungen. Beinahe unbemerkt blieb, daß die neuen Damm kraftwerke schon vor einigen Monaten mit der Kraftstromlieferung nach Kairo begannen.

Als Oheops, der zweite Pharao der vierten Dynastie, um 2530 vor Christi von 50.000 Sklaven seine Pyramide errichten ließ, gelang ihm eines der Weltwunder des Altertums und das gigantischeste Grabmal der Weltgeschichte. „Sadd el Aali“, die Pyramide des ersten roten Pharao, dient

— wie er hofft — nur den Lebenden. Cheops’ Denkmal war ursprünglich 146 Meter hoch und viermal 230 Meter lang; Abdel Nassers Staudamm ist 1000 Meter breit, 110 Meter hoch und 3500 Meter lang

— verbaut wurden 40 Millionen Kubikmeter Material, sechzehnmalsoviel .wie bei der Cheopspyramide. Dieser Vergleich läßt schon ahnen, welche gigantische Leistung dort unweit jener Plätze vollbracht wurde, an denen die altägyptischen Herrscher ihre dagegen klein wirkenden Monumentaltempel erbauten. Die Frage ist nur, ob sich die großen Hoffnungen auf die moderne Pyramide erfüllen oder ob sie nicht auch nur zum Grabmal wird, zum Grabmal des modernen Pharaos?

Täglich 10 Tote

Fast 20.000 ägyptische Arbeiter und nahezu 2000 sowjetische Techniker arbeiteten acht Jahre am „Weltwunder des 20. Jahrhunderts". In Gluthitze und Wüstensand der gnadenlosen Tropenlandschaft wuchs ein Hochdamm empor, wie er noch niemals existierte. 2,2 Milliarden kostete er mindestens. Täglich zehn Todesopfer waren unter den Arbeitern zu beklagen. Aber die Ägypter, die noch wissen, daß Fortschritt nicht immer Glück bedeutet, haben nur eine Sorge: Wird Abdel Nassers Pyramide ihr Schicksal wirklich Wandeln? Oder ist sie nur das Sinnbild der Giganfomanie ihres zeitgenössischen Alleinherrschers?

Abdel Nasser hat einmal gesagt, der Bevölkerungszuwachs Ägyptens sei sein größtes Problem. In der Tat droht das Land — im Gegensatz zu den meisten anderen arabischen Staaten, die menschenleer und fruchtbarer sind — fortwährend unter einer unkontrollierbaren Menschenlawine zu ersticken. Ihrer Herr zu werden, ist bisher noch niemandem gelungen, weil alle Versuche zur Einführung einer vernünftigen Geburtenkontrolle an unüberwindlich scheinenden traditionaiiistischen Barrieren scheiterten. Also müssen die landwirtschaftlichen Anbauflächen vergrößert und das Industriali- sieruogstempo beschleunigt werden, und zwar in einem Ausmaß, daß der Bevölkerungszuwachs neutralisiert und zugleich ein gewisser wirtschaftlicher und sozialer Aufschwung ermöglicht wird. Das läßt sich nur mit Hilfe des Niles bewerkstelligen der die große Lebensader Ägyptens darstellt, heute wie vor 5000 Jahren.

Neues Kulturland

Der erst im Lauf mehrerer Jahre entstehende Stausee wird der größte künstliche See der Erde sein. Er wird eine Fläche von etwa 4000 Quadratkilometern haben und etwa 600 Kilometer lang sein, bei einer Breite von etwa acht Kilometern. Die Menge des gespeicherten Wassers soll etwa 130 Milliarden Kubikmeter betragen. Da der Verdunstungsigrad infolge klimatischer Gegebenheiten sehr hoch sein dürfte, wird der Wasserspiegel einen künstlichen Ölfilm erhalten, der die Verdunstung erheblich herabmindern soll.

Der Hochdamm wird nach ägyptischen Angaben die landwirtschaftliche Anbaufläche bis zu 35 Prozent vergrößern. Es gibt allerdings auch Experten, die der Ansicht sind, daß nur eine Ausdehnung um etwa ein Viertel erzielt werden kann. Sobald der Damm voll in Betrieb genommen äst, will man 700.000 Feddan Kulturland in Oberägypten auf Dauerbewässerung umstellen und auf einer Fläche von 500.000 Feddan Reis anbauen. Die bereits angekurbelte Stromproduktion des Hochdamm- kraftwerkes soll im Endstadium 10 Milliarden Kilowattstunden jährlich erreichen. Selbst das 900 Kilometer entfernte Kairo wird von hier aus schon teilweise mit elektrischer Energie versorgt. Ferner soll in Verbindung mit dem Damm die Eisen- und Stickstoffindustrie entwickelt werden.

Nur eine Atempause

Ob der mit so gewaltigem Aufwand an Menschen, Geld und Material errichtete Damm allerdings die Probleme lösen kann, die der Bevölkerungszuwachs dem Land von Jahr zu Jahr in größerem Ausmaß aufgibt, kann heute noch niemand sagen. Das Nilland zählte bei Baubeginn, 1960, noch wenig mehr als 26 Millionen Einwohner. Heute hai es schon über 30 Millionen, und bis 1988 werden es schätzungsweise 42 Millionen sein. Es läßt sich alse Vorhersagen, daß die durch der Damm ermöglichte Landgewinnung die Bevölkerungsentwicklung höchstens für eine kurze Zeitspanne neutralisieren, aber nicht ganz ausglei- chen kann. Der Damm verschaffl Ägypten also bestenfalls eine Atempause. Was aber geschieht weiter: Das ist die Frage, von der Abde] Nassers Planer heute noch beide Ohren verschließen.

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