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Wie zu Abrahams Zeiten

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Als Urvater Abraham vor zweieinhalbtausend Jahren aus Ur in Chaldäa aufbrach, flössen in seiner Stammheimat, dem Zweistromtal von Euphrat und Tigris, Milch und Honig. Der Mongoleneinfall im 13. Jahrhundert zerstörte die blühenden Plantagen, und die Kamel-, Schaf- und Ziegenherden der nomadisierenden Araber, die dann kamen, taten das Übrige. Mesopotamien wurde zum Steppen- und Wüstenland. Die kargen Ernten der längs der beiden Flußläufe ansäßigen Fellachen reichten nicht einmal für den Nahrungsmitteleigenbedarf der späteren Anrainerstaaten Irak und Syrien. Der Euphratdamm „es-Sadd el-Furat“, dessen erste Baustufe nach rund fünfjähriger Arbeitszeit nunmehr planmäßig eingeweiht werden konnte, soll diese Periode des Verfalles beenden, Syrien vom landwirtschaftlichen Einfuhr- zum Agrarexportland und das obere Euphrattal zur Kornkammer Arabiens machen.

Im Frühjahr 1966 schlössen Moskau und Damaskus das Abkommen über Finanzierung und Bau des Euphratdammes. Die Kosten wurden auf 628 Millionen Dollar veranschlagt, von denen die Sowjetunion die Hälfte gegen einen Jahreszinssatz von 2 Prozent beisteuert. Dieser Kredit wird in Landeswährung oder in Landesprodukten zurückgezahlt. Bevor im Frühsommer 1968 mit den eigentlichen Bauarbeiten begonnen werden konnte, mußten zunächst eine Bahnlinie von Damaskus über Aleppo nach er-Raqqa und eine Straße bis zu dem in Aussicht genommenen Bauplatz angelegt werden. Außerdem errichtete man eine neue Stadt, et-Tabka, in der 30.000 der rund 70.000 Fellachen neu angesiedelt wurden, die ihre etwa 500 Dörfer auf dem Gelände des künftigen Staubeckens räumen mußten.

Et-Tabka, das anläßlich der Einweihung der ersten Baustufe in

Medinat et-Thaura („Stadt der Revolution“) umbenannt wurde, ist heute eine der modernsten Mustersiedlungen Syriens. Es ist auf dem

Straßen-, Schienen- und Luftweg leicht zu erreichen und soll der traditionellen Handelsmetropole Aleppo eines Tages als industrielles Zentrum Nordsyriens den Rang ablaufen. Der hier unmittelbar hinter einer Flußkrümmung errichtete Staudamm ist 4,5 Kilometer lang und mißt an der Basis 512, an der Krone 19 Meter in der Breite. Seine Maximalhöhe beträgt 60 Meter. Der etwa 80 Kilometer lange Stausee, der sich nördlich davon erstreckt und nach dem syrischen Präsidenten „e“l-Assad-See“ genannt wurde, erstreckt sich über ein Gebiet von 630 Quadratkilometern und wird im Endstadium eine Wassermenge von 1.900 Millionen Kubikmeter erreichen. Nach Fertigstellung der ersten Baustufe erwartet man ein Ansteigen des Wasserspiegels auf 45 Meter Höhe. Die Damaszener Dammbehörde hat errechnet, daß mit Hilfe der angestauten Wassermenge 640.000 Hektar Neuland kultiviert werden können, davon 110.000 von den umgesiedelten Fellachen in unmittelbarer Nähe des Staubeckens, und 530.000 durch ein neues Kanalsystem in den umliegenden Regionen zwischen Aleppo und der türkischen Grenze. Das Dammkraftwerk, das im Endstadium aus sechs Turbinen bestehen soll, von denen drei jetzt in Betrieb genommen werden konnten, hat eine Kapazität von 300 Megawatt. Man will jährlich schließlich 800.000 Kilowattstunden Strom erzeugen und die Stromproduktion des Landes damit mehr als verzehnfachen.

Sogar Laien konnten sich bei der nach den Einweihungsfeierlichkeiten durch Präsident el-Assad und KPdSU-Politbüromitglied Kirilenko davon überzeugen, daß die knapp 10.000 Sowjetingenieure und Techniker und die etwa 17.000 syrischen Arbeiter viele der gravierenden Fehler vermieden, die den gleichen Sowjetexperten vorher beim Bau der Assuantalsperre unterlaufen waren. Die Zusammenarbeit zwischen Syrern und Russen war, im Gegensatz zu jener zwischen Russen und Ägyptern in Assuan, nach übereinstimmenden Aussagen beider Seiten gut. Westliche Experten zweifeln allerdings daran, daß sich die großen Hoffnungen der Syrer in das Milliardenprojekt jemals erfüllen werden. Die offizielle Propaganda spricht zwar von einer Verdreifachung der landwirtschaftlichen Anbaufläche. Niemand aber kann Auskunft darüber geben, welchen Stellenwert die riesigen, bereits früher landwirtschaftlich genutzten Gebiete in dieser Rechnung haben, die durch den Stausee verloren gingen. Die von dem Dammkraftwerk erzeugte Strommenge deckt den gegenwärtigen Bedarf des Landes mehr als elfmal. Syrien könnte Strom exportieren, wenn nicht die Nachbarländer Irak und Türkei selbst ehrgeizige Dammbaupläne verfolgten und sich an dem Stromimport uninteressiert gezeigt hätten. In Damaskus hat man daher umfangreiche Industrialisierungspläne ausgearbeitet.

Zu zwei Problemen schweigt man sich in der syrischen Hauptstadt völlig aus. Schon jetzt ist das landwirtschaftliche Bodenpotential unterbenutzt, und es gibt riesige brachliegende Gebiete. Wie man die neu erschlossenen Anbauflächen mit dem gleichen Menschenpotential wie bisher ausnutzen will, ist das Geheimnis der Planer. Präsident el-Assad forderte bei der Einweihung wieder einmal kategorisch einen vierten Krieg gegen Israel. Er verschwieg, wie verletzlich sein Land durch den gegen Luftangriffe äußerst empfindlichen Damm geworden ist.

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