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Der Schnee-Krieg

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Manchmal sind es nur zwanzig Granaten, die explodieren, manchmal nur zehn, gestreut auf ein kleines Plateau in fast 3000 Meter Höhe, das nicht einmal von Adlern überflogen wird. Jedes Jahr ein- oder zweimal verirren sich unentwegte Bergsteiger hierher. Die Bewohner der Bergdörfer des Hermon, um dessen höchsten Gipfel es sich hier handelt, nennen das Plateau den „Berg der Berge“. Schon zur Zeit der alten Ägypter wurde es als Sternwarte benutzt Bewohnt wurde es nie. Heute haben sich auf ihm einige Dutzend Soldaten festgeklammert. Es ist der strategisch wichtigste Punkt, um den zur Zeit die Kämpfe zwischen Syrien und Israel geführt werden. Fast jeden Tag gibt es hier Tote und Verwundete. Sie reihen sich ein in die lange Liste vergeudeter Menschenleben, die kein Ende nehmen will.

„Hier bist du allein, nur auf dich selbst angewiesen, ohne Panzer und ohne Fahrzeug. Leben und Tod ist nur in deiner und in des Feindes Hand“, sagte mir Uri, ein zwanzigjähriger schwarzhaariger Korporal, der an dem Kampf um die Bergspitze teilgenommen hatte, und fuhr fort: „Dieser Kampf war anders als alle Gefechte, die ich bisher erlebt habe. Das schwierige Gelände erlaubte nicht, daß wir uns der Bergspitze mit Raupenschleppern oder Panzern nähern konnten. Wir mußten drei Kilometer zu Fuß gehen, und als wir endlich das Gipfelplateau erreichten, empfing uns ein Kugelregen. Zuerst waren wir völlig ohne Deckung. Hier war jede Sekunde wichtig. Ein einziger falscher Schritt — und du bist getroffen oder kollerst in den Abgrund. Hier kann man beweisen, ob man ein guter Soldat ist.“

Wir befanden uns auf dem sogenannten „Gipfel der Gipfel“, 2814 Meter über dem Meeresspiegel. Von der letzten israelischen Stellung aus gab es noch keinen Weg hierher, und obwohl es nur einige hundert Meter weiter nach oben ging, war das Steigen sehr ermüdend. Der Berghang ist nicht gerade steil, doch ist die Luft sehr dünn und alles noch mit ungefähr einem Meter Schnee bedeckt. Die Soldaten tragen hier Khaki-Ski-Anzüge, von den Amerikanern geliefert, ähnlich jenen, die man in den Eissteppen Alaskas trägt. Die Hosen und Jacken sind mit besonders wärmender Watte gefüttert und die Gummistiefel haben eine zweifache Sohle, in deren Zwischenraum ein Luftkissen die Wärme des Körpers isoliert

Auf dem Plateau des Hermon entstehen Luftströmungen, die sich in den eisigen Wind verwandeln können, welcher das ganze Gelände des Berggipfels schneefrei fegt. Legionen können hier nicht kämpfen, trotz aller modernen Waffen wird hier immer noch der Kampf Mann gegen Mann geführt. Die wenigen Waffen, die man hierher bringen kann, muß man im Rucksack mit sich tragen.

Jakob erzählte mir: „Als wir den Gipfel erreichten, fanden wir dort 20 bis 30 syrische Soldaten Sie eröffneten sofort das Feuer auf uns und wir schössen zurück, während wir von einer Felsenecke zur anderen sprangen. Wir kamen immer nur fünf oder zehn Meter vorwärts, die Hälfte von uns feuerte, die andere Hälfte sprang in die neuen Positionen.“

Auf dem Gipfel des Hermongebir-ges, der während des Oktotoerkrieges von israelischen Luftlandetruppen erobert worden ist, befindet sich auf einem kleinen künstlichen Hügel ein Grenzstein. Auf der Westseite des Steine steht auf arabisch „Lubnanina“ zu lesen, auf deutsch Libanon, auf der Ostsedte „Surdja“, auf deutsch Syrien. Während der Wintermonäte wurde dieses Gipfelplateau, das eine Aussicht bis nach Damaskus im Osten und bis zum mittelländischen Meer im Westen gewährt, von den israelischen Truppen geräumt, da die schweren Schneestürme, die hier toben, eine Dauerstationierung unmöglich machen Nur von Zeit zu Zeit kamen israelische Patrouillen herauf. Als die Stellung noch in syrischen Händen war, wurde sie ebenfalls nur während dreier Sommermonate von syrischen Kommandos gehalten.

Es geht hier nicht nur um den Versuch der Syrer, neue Positionen zu erobern, um bessere Trümpfe bei den Verhandlungen zur Truppenentflechtung in der Hand zu haben. Die syrische Artillerie braucht überdies für ihren derzeit geführten Ab-nützungskrieg gegen Israel einen Beobachtungspunkt zur Feuerleitung ihrer schweren Geschütze. Von hier aus kann man alle Stellungen auf den israelisch besetzten Golanhöhen bis hinein in das israelische Hula-Tal einsehen. Da ckie syrische Luftwaffe es - nicht wagt, Beobachtungsflugzeuge zur Feuerleitung einzusetzen, böte die Eroberung des Gipfels den Syrern die einzige Möglichkeit, den Artilleriebeschuß wirksam zu machen.

Uri, der Korporal, erzählte weiter: „Der Kampf zog sich in die Länge. Ein junger Arzt, der mit uns aufgestiegen war, richtete am Abhang des Berges, einige hundert Meter vom Kampfplatz entfernt, eine Verbandstelle ein. Viele von uns wurden durch Steinsplitter verletzt Von dem Verbandplatz wurden sie dann per Helikopter in das Lazarett von Safed gebracht. Als es dann ruhig wurde, inspizierten wir das Plateau, immer noch von Felsendeckung zu Felsen-deckung springend, und fanden 12 tote Syrer. Die anderen hatten sich zurückgezogen. Bis zum letzten Moment wußten wir nicht, wer hier der Sieger sein würde. Allem Anschein nach schössen wir besser. Nun suchte jeder Deckung, so gut es ging. Schützengräben kann man hier keine bauen, aber in den Felsennischen ist man geschützt. Wenn es nur nicht so kalt wäre und der Wind einem nicht dauernd um die Ohren pfeifen würde! Aber kaum glaubten wir, etwas Ruhe zu haben, begann der syrische Artilleriebeschuß. Wir verharrten, wo wir waren, und wieder wurden vier von uns verletzt.“ . Während der Kampf um den höchsten Gipfel des Hermon tobte, fand ein Wettlauf zwischen syrischen und israelischen Pionieren statt Die Israelis versuchten, mit Hilfe von Traktoren einen Feldweg von der letzten Stellung bis zum Gipfel zu planieren. Ähnliches versuchten auch die Syrer. Die israelische Luftwaffe griff dabei einige Male die syrischen Pioniere an, so daß schließlich die Israelis den Wettlauf gewannen Am 17. April, kurz vor Sonnenaufgang, war der israelische Weg zum Gipfel fertig. Jetzt können auch Panzerkampfwagen und Tanks bis zum Gipfel gelangen, doch ist die Fahrt dorthin fast so gefährlich wie der Kampf mit dem Feind. Ein zu starker Druck auf das Gaspedal bedeutet Sturz in den Abgrund.

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