Hochzeit im Minenfeld

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30 Jahre UN-Mission auf dem Golan hält die Erzfeinde Israel und Syrien auseinander - und bringt Verliebte zusammen.

Najua Abu Shaqra presst ihre Lippen fest zusammen. Es sind nur noch wenige Minuten. Dann wird sie ihr Land und ihre Familie zum letzten Mal sehen. Eine Träne kullert über den schwarz geschminkten Augenrand. Dabei wollte sie tapfer bleiben. Mit fester Stimme hatte sie eben noch Interviews gegeben. "Ich gehe von einem Zuhause in ein neues", sagte sie. "Ich habe keine Angst. Ich bin glücklich, zu dem Menschen zu gehen, den ich liebe."

Nun sitzt die 21-Jährige eingefallen auf einem Plastikstuhl und starrt auf den Strauß weißer Rosen, die in ihrem Schoß liegen. Hinter ihr windet sich Stacheldraht. Darauf warnt ein rotes Dreieck vor Minen. Ein paar hundert Meter weiter erheben sich Antennentürme und Satellitenschüsseln auf einem steilen Hügel. Der erste israelische Beobachtungsposten.

Dutzende Verwandte sind aus Damaskus gekommen, um Najua auf ihrem schweren Weg zu begleiten. Sie tragen Musikinstrumente und Taschen voller Gebäck und Süßigkeiten. Die Braut wird einen Drusen aus dem israelisch besetzten Golan heiraten und dort leben. Für sie gibt es kein Zurück. Nirgendwo sonst auf der Welt sind die Gesichter der schönen Bräute an ihrem Freudentag von derartiger Traurigkeit gezeichnet.

Es gibt kein Zurück mehr

Dass die Hochzeiten im Niemandsland zwischen den Erzfeinden Israel und Syrien überhaupt möglich sind, ist einer kleinen UN-Truppe und dem Roten Kreuz zu verdanken. Seit dem Entflechtungsabkommen vom 31. Mai vor 30 Jahren überwacht die United Nations Disengagement Observer Force (UNDOF) den Waffenstillstand. 1.044 Blauhelm-Soldaten aus Österreich, Kanada, Japan, Polen, Nepal und der Slowakei schieben ihren Dienst auf bis zu 2.800 Metern Höhe. Sie bilden den Puffer, auch am "Checkpoint Charly", der einzigen Verbindung zwischen beiden Staaten. Durch ihn transportieren sie Post oder den Hausrat der Bräute in das Drusendorf Majdal Schams auf der israelisch besetzten Seite.

"Cooking and looking" (kochen und Schauen), witzelt der Presseoffizier Stefan May, so werde die Mission manchmal beschrieben. Das kann auch ein Kompliment sein. Denn die Golan-Höhen gleichen einer Idylle. "Immer wieder kommt es vor, dass Schafhirten die neutrale Zone betreten. Wir müssen sie dann zurück pfeifen", beschriebt May die einzigen Zwischenfälle auf diesen kargen Böden. "Politisch ist die UN-Mission ein Misserfolg, weil es 30 Jahre lang keinen Friedensschluss gegeben hat", sagt der Österreicher. "Militärisch ist es ein Erfolg, weil 30 Jahre lang hier kein Krieg stattgefunden hat, und das ist in dieser Region sehr beachtlich."

Tränen & Trennungsschmerz

Die Ruhe ist gespenstisch. Einen Steinwurf vom Checkpoint entfernt liegt die syrische Kleinstadt Kuneitra. Einst wohnten hier 17.000 Muslime und Christen. Heute sind es noch elf, und Dutzende Polizisten. Israelische Truppen machten die Stadt bei ihrem Teilrückzug 1974 dem Erdboden gleich, obwohl die Kämpfe längst beendet waren. Auch das Krankenhaus ist von Schüssen durchlöchert wie Schweizer Käse. Heute wächst Gras auf den zerborstenen Betonplatten der Häuser, der Kirche und der Moscheen.

An Najuas Hochzeitstag überqueren auch Studenten die Grüne Linie. Sie haben ihren Abschluss in Damaskus gemacht und kehren zurück nach Majdal Schams. Israel lässt rund 400 drusische Studenten aus den Golandörfern in Syrien studieren. Samir ist einer von ihnen und begleitet seinen Cousin zum Checkpoint. "Das Nationalgefühl der jungen Drusen wird in Syrien gestärkt", meint der 26-jährige Archäologie-Student. "Die Leute sehen mich hier wie einen Verwandten an. Mit den Juden haben wir in Israel nicht so ein Verhältnis. Sie schauen auf uns herab." Samir hat einen israelischen Pass abgelehnt, so wie viele andere Drusen. Deshalb ist er ohne Staatsbürgerschaft. Die syrische will er nicht, weil er sonst nicht mehr nach Hause, nach Majdal Schams, darf.

Am syrischen Schlagbaum spielt sich plötzlich eine ergreifende Szene ab. Die Studentin Feiza, die fast am israelischen Tor angelangt war, dreht sich mit einem Schrei um. Sie rennt zurück, den Stacheldraht entlang. "Salam, Salam!", ruft sie den Namen ihrer Freundin. Am syrischen Schlagbaum fallen sie sich ein letztes Mal weinend in die Arme (siehe Foto unten). Dann müssen sie sich endgültig trennen. Eine andere Studentin kauert in einer Ecke und ringt noch mit sich, ob sie die Seiten wechseln soll. Selbst die jungen UN-Soldaten schauen betreten.

In wenigen Augenblicken werden sie eine schwierige Aufgabe zu erledigen haben: Die Soldaten müssen die Verwandten der beiden Hochzeitspaare am UN-Schlagbaum auseinander ziehen. Nur eine Stunde darf die Hochzeit auf der kleinen Teerstraße im Minenfeld dauern. Najua erhebt sich wie betäubt von ihrem Stuhl. Weinende Cousinen haken sich bei ihr ein. Sie lassen den syrischen Schlagbaum hinter sich und gehen die 50 Meter langsam auf die UN-Schranke zu. Von der israelischen Seite kommt ihnen die Familie des Bräutigams entgegen.

Presseoffizier May schaut ihnen nachdenklich nach. Dann hebt er seinen Arm und zeigt nach drüben. Wer die Augen zusammenkneift, sieht über dem Gate auf der anderen Seite in großen blauen Lettern "Welcome to Israel" stehen. "Das stimmt natürlich nicht", stellt May klar. "Denn das ist der israelisch besetzte Golan. Auch wenn Israel alles tut, um das als Grenzposten darzustellen, ist das international nicht anerkannt." Israel hat 1981 die Golan-Höhen annektiert und betrachtet sie als eigenes Territorium.

Streit um See Genezareth

Der Streit um den Golan verhindert ein Friedensabkommen zwischen Israel und Syrien. Damaskus besteht auf der Rückgabe des Gebirgszugs, den das Land in den Kriegen 1967 und 1973/74 an Israel verloren hat. Der verstorbene Präsident Hafez Al-Assad hatte als Kind noch am Ufer des See Genezareth geplanscht. Heute stehen die israelischen Posten auf der Ostseite des Golan nur 40 Kilometer vor Damaskus. Der See ist für Israel von strategischer Bedeutung. Aus ihm zapft das Land ein Drittel seines Wassers mit Pipelines bis an die Küste von Tel Aviv und zur Negev-Wüste. Gespeist wird der See von unterirdischen Rinnsälen und kleinen Bächen aus den besetzten Bergen.

Jüdische Siedler haben viele Landstriche fruchtbar gemacht und bauen hier auch Wein an. Durch eine gezielte Siedlungspolitik leben auf dem Golan inzwischen 14.000 Juden neben 17.000 Drusen und 2.000 Alawiten. Rund ein Drittel der Siedler sind säkulare russische Einwanderer. Ende vergangenen Jahres kündigte Israel an, die Zahl der Siedler auf den Golan-Höhen binnen drei Jahren verdoppeln zu wollen. Der israelische Landwirtschaftsminister Jisrael Katz hatte das Projekt als Reaktion auf den Vorschlag des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad bezeichnet, der eine Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen vorgeschlagen hatte. "Es gibt keinen Dialog mit den Syrern", hatte Katz erklärt. Die Golanhöhen seien integraler Bestandteil Israels.

Trotz der Meinungsverschiedenheiten leben syrische Drusen und Israelis auf den Bergen friedlich nebeneinander. Die einen schauen nach Osten, die anderen nach Westen. In Majdal Schams, dem neuen Zuhause von Najua, spielt sich jeden Freitag das alte Schauspiel ab: Drusen aus Damaskus und Umgebung machen sich auf den Weg in die Berge, um ihre Verwandten auf israelischer Seite zu sehen und zu sprechen. Von beiden Seiten schleppen sie Megaphone und Ferngläser heran und tauschen den neuesten Familien-Tratsch aus. Die skurrilen Begegnungen haben dem Ort seinen Namen gegeben: Berg der Rufe.

Seit dem israelisch-jordanischen Friedensvertrag 1994 können sich getrennte Drusen-Familien jedoch in Amman treffen. Das tröstet auch Najua über den Schmerz hinweg, dass sie nicht mehr Damaskus besuchen kann. Immer stärker machen E-Mails den Megaphonen Konkurrenz. Heiratswillige Drusen schicken sich Fotos. "Hier gibt es mehr Internet-Anschlüsse als im israelischen Durchschnitt", sagt Mohamed Safadi, der für das Rote Kreuz von israelischer Seite die Hochzeiten einfädelt.

"Nur Gott bleibt für immer!"

Nicht trotz, sondern wegen der modernen Kommunikation leben Juden und Drusen noch deutlicher in getrennten Welten. Ungeniert pflegen die Drusen ihren syrischen Nationalstolz. Taufiq Amasha, ein greiser Scheich aus dem Dorf Bukata südlich von Majdal Schams, präsentiert stolz ein großes Foto des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad im Vorhof seines Hauses. "Die Israelis regen sich nicht über Kleinigkeiten auf", meint er lachend. Hass auf Israelis spürt der Großgrundbesitzer nicht. Sein Sohn, der ebenfalls eine Syrerin am UNDOF-Checkpoint geheiratet hat, ist sogar Hebräisch-Lehrer.

Die Familie hat sich mit dem Leben auf israelischer Seite arrangiert. Der Alte kreist mit der Hand langsam auf seinem runden Bauch und beruhigt sich mit knorriger Stimme: "Nichts hält für ewig. In dieser Region haben sich schon viele Nationen niedergelassen, die Türken, die Franzosen, die Syrer und jetzt die Israelis. Auch die Israelis werden irgendwann gehen. Nur Gott bleibt für immer."

Der Autor ist freier Journalist.

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