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Eldorado am Persischen Golf

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Würde man einen entbehrungsgewohnten Beduinen in der unwirtlichen Wüste Rub el-Chali („Leeres Viertel“) , inen armen Fellachen aus dem überbevölkerten Niltal oder einen Viehhirten auf den kargen magribinischen Weidegründen fragen, wo er das sagenhafte Goldland „Eldorado“ der mittelalterlichen Konquistadoren oder das ihm vom heiligen Koran verheißene Paradies mit den tanzenden Huris und dienenden Lustknaben auf schattigen Wiesen vermute, seine Antwort wäre vermutlich: „In Kuweit“.

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Würde man einen entbehrungsgewohnten Beduinen in der unwirtlichen Wüste Rub el-Chali („Leeres Viertel“) , inen armen Fellachen aus dem überbevölkerten Niltal oder einen Viehhirten auf den kargen magribinischen Weidegründen fragen, wo er das sagenhafte Goldland „Eldorado“ der mittelalterlichen Konquistadoren oder das ihm vom heiligen Koran verheißene Paradies mit den tanzenden Huris und dienenden Lustknaben auf schattigen Wiesen vermute, seine Antwort wäre vermutlich: „In Kuweit“.

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Dieser Kleinstaat Kuweit am Nordwestende des Persischen oder Arabischen Golfes, wo der aus dem Zusammenfluß von Euphrat und Tigris gebildete „Schatt el-Arab“ sein grünes Gewässer in die blaue See ergießt, war für die übrige Welt bis vor etwa einem Jahr noch nichts weiter als einer der größten und bequemsten Erdöllieferanten des Westens. Erst der überraschende Aktienkauf seines Duodezherrschers Scheich Sabach es-Selim es-Sabach, durch den dieser sich eine bedeutende Minderheitsbeteiligung bei einer der vornehmsten Automobilbaufirmen Europas sicherte, rückte ihn in das grelle Scheinwerferlicht des Weltinteresses.

Dabei war Kuweit in der Weltgegend, in deren Herzen es liegt, schon lange ein Geheimtip für Arbeitsuchende, Glücksritter und Abenteurer und hat bereits ein Wirtschaftswunder hinter sich, das vergleichbare Entwicklungen viel größerer und mächtigerer Industrienationen weit in den Schatten stellt. Abu Ammar, alias Jassir Arafat, heute Chef der „Palästinensischen Befreiungs-Organisation“ (PLO), machte vorher hier sein Glück als erfolgreicher Ingenieur, Staatsbeamter und Geschäftsmann.

Kuweit verdankt seine Existenz einem Zufall. Als König Ibn Saud der Große in den zwanziger Jahren die zahlreichen-kleinen Fürstentümer der Arabischen Halbinsel, meistens wider ihren Willen, zu einem modernen Einheitsstaat zusammenschweißte, ließ er nur Kuweit unbehelligt. Das war sein Dank für die jahrelange Gastfreundschaft und den Schutz, die der dortige Emir seinem Vater und ihm auf der Flucht vor ihren Feinden gewährt hatte. Das Sprichwort von dem Wohltun, das Zinsen trägt, erfuhr hier seine glänzende Bestätigung. Vor 1933 ernährten sich die damals etwa 75.000 Ein-

Sabach es-Selim: Anders als die Duodezscheichs

Photo: Votava wohner mehr schlecht als recht von Fischerei und Translthandel. Dann fand man hier die jahrelang als größten des Nahen Ostens geltenden Erdöllager, und mit ihnen begann ein unvergleichlicher Wirtschafts boom. Kuweit wurde zu einem der reichsten, wenn nicht zum reichsten Staatswesen der Erde. Anders als die kurzsichtigen Duodezscheichs im Westen des Golfes, verschwendete die Herrscherfamilie es-Sabach die Einnahmen aus dem Export des „schwarzen Goldes“ nicht für kostspielige private Leidenschaften, sondern machte ihr Herrschaftsgebiet zum einzigen, und zudem noch perfekten Wohlstandsstaat Arabiens.

Heute leben hier, auf einer Gesamtfläche von 17.818 Quadratkilometern ursprünglich völlig unwirtschaftlicher Wüste schätzungsweise 883.000 Menschen, davon über die Hälfte Ausländer. Die weitaus meisten dieser Ausländer sind Araber, und der überwiegende Teil von ihnen wiederum Palästinenser. Von ihnen gibt es hier mindestens 100.000. Allein von den rund 250.000 Arbeitnehmern sind drei Viertel Ausländer. Nur bei den Angestellten der vor der Verstaatlichung stehenden Rohölindustrie stellen die Kuweitis einen Anteil von über einem Drittel.

Alle übrigen Beschäftigungen überlassen die von allen Steuern befreiten Untertanen der Sabach-Fa- milie den Fremden. Das gilt unter anderem für die auch neben der Ölindustrie noch bedeutenden Krabbenfischerei, die mit etwa 170 hochmodernen Fischkuttern immerhin Deviseneinnahmen von rund fünfundzwanzig Millionen Dollar jährlich erwirtschaftet.

Der Regierung bereitet das Mißverhältnis zwischen Ausländern und Einheimischen im Wirtschaftsleben schon seit langem große Sorgen. Der unverhältnismäßig hohe Anteil an Palästinaflüchtlingen verursachte manches Problem. Ruhe und Ordnung, innere Sicherheit und äußere Unantastbarkeit erkauft man sich hierzulande mit horrenden „Zehnten“ an die PLO., Doch auch die zahlreichen Iraker im Land sind ein ständiger Unruhefaktor. Bagdad schielte schon oft begehrlich nach dem reichen kleinen Nachbarn und zwang ihn sogar zu schmerzhaften

Gebietsabtretungen. Lediglich der Umstand, daß eine Annexion Sau- disch-Arabien auf den Plan rufen würde, hinderte die Irakis bislang an einem endgültigen Zugriff. Die Agitation zahlreicher kleinerer um- stürzlerischer Gruppen, die sich von hier aus auf die Machtübernahme in der weiter südlich gelegenen Golfkleinstaaten vorbereiten, spielt da schon kaum noch eine Rolle. Der Geheimdienst ist allerdings wachsam und kennt keinen Spaß.

Das Establishment, bestehend aus der Sabach-Familie mit ihren weitverzweigten Verbindungen und einigen wenigen führenden reichen Clans, spürt die permanente Unruhe und bangt für die Zeit nach dem ölboom. Nach der Jahrtausendwende wird der schwarze Strom allmählich versiegen. Bis dahin soll der kleine Staat in sich gefestigt dastehen. Deshalb hat man begonnen, die bislang meistens von Angehörigen der Herrscherfamilie verwalteten öffentlichen Führungspositionen langsam in andere Hände zu übergeben. Auch das Gewicht der Ausländer in der Arbeitswelt soll verringert werden. Aus diesem Grund hat man ein umfangreiches Berufsausbildungs- und -förderungsprogramm angekurbelt. Heute befindet sich jeder vierte geborene Kuweiter, doppelt so viele wie

1971, in der Berufsausbildung. Es gibt hierzulande 271 Lehrinstitute, vom Kindergarten bis zur Universität, mit 11.105 Lehrern und 160.235 Schülern oder Studenten. Die Absolventen der Ingenieurschule bekommen neben freier Kost und Logis ein Monatsstipendium von 250 Dollar. Mit solchen Anreizen versucht man, der geringen Eignung für hochtechnisierte Spezialberufe und der mangelnden Neigung zu körperlicher Arbeit unter den Landeskindern zu begegnen. Neuerdings erleichtert man sogar den bisher kaum möglichen Zugang zur kuweitischen Staatsangehörigkeit.

Doch schon schleicht eine neue Sorge durch das Paradies in der Wüste. Zu der Furcht vor einem Kampf zwischen Irak und Saudisch- Arabien um den Besitz der „Perle des Golfes“ gesellt sich die Angst vor einer angeblich viel größeren Gefahr: Arabische Geheimdienste haben die Kuweitis wissen lassen, im Fall eines fünften Nahostkrieges werde das Scheichtum Ziel eines Zugriffes Israels sein. Die Israelis hätten bereits fertige \FlaÄe "iün;’fden Fall, ,daß sie, neben ihrem eigenen Überleben auch noch einen Teil der westlichen Rohölversorgung sichern müßten. In diesem Fall planten sie die Besetzung Kuweits.

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