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Erpressung unter Brüdern

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Während man in Bagdad mit der unmittelbar bevorstehenden Teilnahme des sowjetischen Ministerpräsidenten Alexej Kossygin rechnete und der sowjetische Flottenbefehlshaber, Admiral Sergei Gorschkow, in der irakischen Hauptstadt einwöchige vertrauliche Besprechungen führte, traf eine Verhandlungsdelegation des Zweistromlandes unter Führung von Außenminister Murtada Abdel Baki im Nachbarstaat Kuweit ein. Er will in Gesprächen mit seinem dortigen Kollegen, Scheich Sabach el-Achmed, den durch die gewaltsame Besetzung eines Grenzstreifens entlang der Insel Bubijan und der Grenzstationen es-Samitach und Umm el-Kasr durch reguläre irakische Truppeneinheiten in der Stärke von rund 1500 Mann und sechzig Panzern am 20. März entstandenen Konflikt beilegen, bei dem zwei kuweitische Zöllner getötet und mehrere andere verletzt wurden.

Die Verhandlungen fanden unter akuter militärischer Bedrohung statt. Trotz eines Vermittlungsversuches des Generalsekretärs der Arabischen Liga in Kairo, Machmut Riad, und wiederholter Zusagen standen die irakischen Soldaten unbeirrt auf kuweitischem Territorium. Schon vor Verhandlungsbeginn machte der irakische Außenminister zudem den Besitz der beiden Inseln Warba und Bubijan zur Voraussetzung jeder Verhandlungslösung. In Bagdad ließ man jedoch durchblicken, daß die irakischen Territorialforderungen noch wesentlich weitergehen. Man wünscht dort auch die Abtretung des

bisher kuweitischen Gebietsstreifens entlang der Grenzkontrollpunkte Umm el-Kasr, es-Samidach und Khor es-Sabijach. Seit der Iran das Grenzabkommen im Schatt el-Arab gekündigt hat, erscheint Bagdad der Hafen von Basra nicht mehr sicher genug. Der gegenwärtig mit sowjetischer Hilfe ausgebaute neue Kriegshafen Umm el-Kasr soll territorial-strategisch und politisch durch die geforderten kuweitischen Gebietsabtretungen gesichert werden. Alles deutet darauf hin, daß es der Sowjetunion hier um die Ausgangsbasis für ihre geplanten künftigen Flottenaktivitäten im Persergolfgebiet geht.

Kuweits 5000-Mann-Streitkräfte können dem militärischen Übergewicht des großen Nachbarn kaum ernsthaften Widerstand entgegensetzen. Außerdem ist Kuweit auf die täglich 120 Millionen Kubikmeter Wasser aus dem Irak angewiesen. Obwohl der Iran im persisch-iranischen Grenzgebiet am Schatt el-Arab vorsorglich Truppen zusammengezogen hat und die arabischsprachige Grenzprovinz Belutschistan stärker als bisher und vor allem unter militärischen Vorzeichen entwickeln will, und obwohl Saudi-Arabien 20.000 Soldaten mit schweren Waffen in Richtung auf die kuweitische Grenze in Marsch setzte, zeigte man sich in Kuweit kompromißbereit. Der sowjetische Botschafter ließ die Frage des kuweitischen Außenministers, ob Moskau von dem irakischen Überfall vorher gewußt habe und ihn billige, ohne befriedigende Antwort. In dem ölscheichtum zieht man daher aus

der Anwesenheit von Admiral Goschkow und dem Eintreffen Kos-sygins in Bagdad seine eigenen Schlüsse.

Ernster noch als die territorialen Forderungen, die den Kleinstaat leicht zum irakischen Protektorat machen könnten, nimmt man in Kuweit die politischen „Wünsche“ des Irak. Bagdad entsandte in den letzten beiden Wochen den Chef der „Palästinensischen Befreiungsorganisation“ (PLO), Abu Ammar alias Jassir Arafat, zweimal als „Vermittler“ nach Kuweit. Arafat überbrachte der Regierung des kleinen Fürstentums neben dem Verlangen nach staatsbürgerlicher Gleichberechtigung der dort lebenden Palästinaflüchtlinge, der Einstellung ihrer geheimpolizeilichen Überwachung, Aufhebung des politischen Betätigungsverbotes und konsequenter politischer und finanzieller Unterstützung ihrer revolutionären Ziele durch die Regierung auch die Forderung nach personellen Umbe-setzungen in der lokalen Führungsspitze. Eine Erfüllung dieser Forderungen würde Kuweit direkt in den Nahostkonflikt hineinreißen und seine innerpolitische Entwicklung empfindlich stören. Das scheinen allerdings die meisten Kuweiter erkannt zu haben. Vereinzelte Jugendliche, die bislang vom arabischen Sozialismus, der Absetzung der Herrscherfamilie und der Vernichtung Israels träumten, demonstrierten hinter den Särgen der beiden ermordeten Grenzschützer für die Unabhängigkeit und territoriale Integrität ihrer Heimat.

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