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Der Krieg flammt wieder auf

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Abdullah Salam Aref, der neue Machthaber im Irak, schien seinen Helfern aus den Bergen weitgehende Zugeständnisse gemacht zu haben. Als die Ruhe in Bagdad wieder eingekehrt war, hörten auch die Schießereien zwischen Rebellen und regulären Armeeeinheiten vorübergehend auf. Man setzte sich wieder an den Verhandlungstisch. Doch als die Araber des ganzen Ausmaßes der kurdischen Forderungen gewahr wurden, schwand ihre Verhandlungsbereitschaft dahin. Beteiligung am ölgewinn und völlige Unabhängigkeit von Bagdad — das mochten sie nicht bewilligen.

Die Gespräche scheiterten, und es kam zu einer neuen Phase im mehr als dreißigjährigen kurdisch-irakischen Krieg.

Was Kassem mißlang, strebte Aref mit noch brutalerer Gewalt an. Er wollte die Kurden endgültig unterwerfen. Die schlagkräftigsten Verbände der Armee (zwölf Brigaden) wurden im Norden konzentriert und lieferten den Rebellen einen erbarmungslosen Vernichtungskampf. Ganze Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht und Partisanen massakriert. Auf der einen Seite standen fünfzigtausend modern ausgerüstete Soldaten, Panzer, MIGDüsenjäger und Bombenflugzeuge — auf der anderen höchstens zwanzigtausend schlechtbewaffnete Freiheitskämpfer. Dennoch war der Ausgang des Krieges weiterhin keineswegs entschieden oder auch nur absehbar.

Die irakische Regierung wird zwar nicht müde, zu betonen, der Krieg sei ausschließlich eine innere Angelegenheit. In Wirklichkeit hat er wichtige außenpolitische Aspekte. Der „arabische Nationalismus“ der zeitweilig im Irak herrschenden Baath-Partei unterscheidet sich nur in Nuancen vom Panarabismus nas-seristischer Prägung. Hätten die Baathisten dem kurdischen Autonomieverlangen entsprochen, hätten sie fürchten müssen, ihre Autorität in Kurdistan völlig einzubüßen und damit die Kontrolle über die vorwiegend in diesem Gebiet liegenden Ölquellen zu verlieren. Keine der Sache der arabischen Einheit verpflichtete Regierung kann es sich aber leisten, ein Stück angeblich oder tatsächlich arabischen Bodens freiwillig abzutreten. Das müßte sie angesichts des von Mißtrauen und Demagogie verseuchten politischen Klimas in der arabischen Welt sogleich dem Vorwurf aussetzen, so etwas wie ein „neues Israel“ geschaffen zu haben.

Der Westen seinerseits denkt nicht daran, sich in der Kurdenfrage zu engagieren — aus denselben Gründen wie die Sowjetunion. Man will das mehr oder weniger gute Einvernehmen mit den Arabern nieht aufs Spiel setzen. In Washington spielt ein weiteres Argument bei dieser Zurückhaltung mit. Die sowjetische Unterstützung macht — ob sie nun wirksam ist oder nicht — die Kurden als potentielle Kommunisten verdächtig. Bisher hat indes weder die amerikanische Diplomatie, die sonst so gern für die Menschenrechte eintritt, noch ein westlicher Geheimdienst sich an Ort und Stelle über die kurdische Denkweise informiert. Wer von Moskau gefördert wird, ist in Washingtoner Augen nicht hilfsbedürftig.

Barazani wies westlichen Besuchern gegenüber gelegentlich darauf hin, daß er, falls es ihm gelingt, einen unabhängigen Staat zu schaffen, wirtschaftliche Hilfe lieber vom Westen als von der Sowjetunion nehmen würde. Dieser unmißverständliche Wink hat aber bis jetzt — wie gesagt — keinerlei Echo in den westlichen Hauptstädten ausgelöst. Die Kurden scheinen in der ganzen Welt keinen uneigennützigen Verbündeten zu finden. Sie sitzen zwischen allen Stühlen.

Einen gewissen Wendepunkt könnte der Anfang Februar dieses Jahres zwischen der irakischen Regierung und dem kurdischen Oberkommando vereinbarte Waffenstillstand darstellen, der nach achtmonatigen geheimen Verhandlungen zustandekam. Er ist das arabische Eingeständnis, daß die brutale Unterdrückungspolitik vorerst gescheitert ist. Daran ist nicht zuletzt die Agonie der irakischen Armee schuld, die früher als die beste des Mittleren Ostens galt. Aber ein Drittel ihrer Angehörigen waren Kurden, von denen viele jetzt auf Seiten ihrer Landsleute kämpfen oder im Gefängnis sitzen. Seit der Revolution von 1958 wird der Rest durch anhaltende Säuberungsaktionen geschwächt. Zuerst wurden königstreue und nasseristische Offiziere ausgebootet und durch neutrale oder kommunistisch gesinnte ersetzt. Später entledigte sich Kassem der Kommunisten, und kurz darauf mußte er selber daran glauben und mit ihm seine Anhänger in der Armee. Infolge der Auseinandersetzungen zwischen dem neuen Staatschef und der Baath-Partei mußten auch die baathistischen Offiziere gehen. Die irakische Luftwaffe hat ihre Schlagkraft eingebüßt; man spricht davon, daß angeblich 135 ihrer Piloten inhaftiert sind.

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