Das Maschinengewehr am Rücksitz

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Ein Hauch von Chanel Nr. 5 lag in der Luft. In Kirkuk ein politisches Statement, das im Gegensatz zur Fratze des Terrors auf Kultur, Freiheit, auf Schönheit und Lebensfreude pocht.

Alarmsignal 1: Gepanzerte Autotüren. Von der kosovarischen Hauptstadt Prishtina soll es mit einer EU-Politikerdelegation ins serbisch dominierte Mitrovica im Nordkosovo gehen. Der Wagen fährt vor, ich möchte die Autotür aufmachen und kegle mir fast den Arm aus. Denn schusssicher heißt vor allem schwer. Ich lerne: Je dicker gepanzert die Autos, desto mehr versucht eine auch finanziell lukrative Kombination aus organisierter Kriminalität und politischen Extremen den Staat scheitern zu lassen oder, wie im Falle des Kosovo, Staatswerdung und Stabilisierung zu hintertreiben. Vorige Woche wandelte EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn in dieser Mission wieder einmal auf Metternichs Spuren. Ließ der Staatskanzler den Balkan am Wiener Rennweg beginnen, will der EU-Kommissar den Westbalkan in die EU integrieren. Anlässlich des Westbalkan-Gipfels in Sofia brachte Hahn den Sinn des Erweiterungsprozesses im Gespräch mit den Salzburger Nachrichten auf den Punkt: "Entweder wir exportieren Stabilität oder wir importieren Instabilität."

Ignoranz und Folgen

Der wachsende finanzielle wie religiöse Einfluss von Russland, der Türkei oder auch Katar fördert die Marginalisierung der EU in der Region und befeuert die ethnischen wie religiösen Spannungen zwischen Bevölkerungsgruppen und Staaten. In der Badischen Zeitung skizzierte nach dem Sofia-Gipfel der Balkan-Experte Norbert Mappes-Niediek, was passiert, sollte Europa den Balkan vergessen: "Er wird schon bald wieder auf sich aufmerksam machen. Nicht nur durch den Massenexodus, der längst begonnen und 2015 einen Höhepunkt erreicht hat. Die nationalen Eliten werden vielmehr die Konflikte mit dem jeweiligen Nachbarn wieder schüren, statt sie zu lösen versuchen. Das ist aus ihrer Sicht nur vernünftig: Je kritischer die Lage, desto größer Europas Bereitschaft, sich finanziell zu engagieren. So richtig bei der Sache ist es erst, wenn wieder geschossen wird."

Erdöl und Schießgewehr

Alarmsignal 2: Rohstoffreichtum und ethnische Vielfalt. An der Stadtgrenze zu Kirkuk, 250 Kilometer nördlich von Bagdad, wartete ebenfalls eine gepanzerte Limousine. Eskortiert von Pick-ups mit schwerer Bewaffnung ging es ins Stadtzentrum. Mich drückte ein Maschinengewehr unter meinem Hintern. Der Fahrer riet mir, ich soll es doch mit dem Lauf nach unten zwischen meine Beine stellen. Es folgte ein Treffen mit dem hochrangigen Kurdenpolitiker Rizgar Ali. Bevor er sich zum Mittagessen in den Schneidersitz niederhockelte, zog er seine Pistole aus dem Hosenbund und erinnerte sich mit Wehmut an die Zeit als kurdischer Peshmerga im Widerstand gegen Saddam: "Das Leben in den Bergen war einfacher, da haben wir gewusst, wer unser Feind ist." Dennoch zeigte er sich überzeugt: "Kirkuk steht eine große Zukunft bevor." Aus dieser gedeihlichen Zukunft ist bislang nichts geworden. Der Ölreichtum und der Streit zwischen den sich die Stadt teilenden Kurden, Turkmenen und Arabern wussten das zu verhindern. Kirkuk wurde nach einem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum von der irakischen Armee zurückerobert. Und die aktuellen irakischen Parlamentswahlen sind gerade in Kirkuk von Bombenanschlägen und Wahlmanipulationen geprägt.

Den Fluch des Rohstoffreichtums teilt die nordirakische Stadt mit den allermeisten von Staatszerfall bedrohten Regionen. Egal ob Erdöl, Diamanten, seltene Erden, Goldoder Kupfervorkommen - Bodenschätze locken Geschäftsinteressen an und finanzieren Rivalitäten, Warlords, Rebellen-Bewegungen, kriminelle Banden oder ethnische Milizen. Wobei Studien zeigen, dass nicht ethnische Vielfalt an sich, sondern eher die ethnische Dominanz einer Gruppe in Konkurrenz zu anderen kleineren Ethnien konfliktträchtig ist.

Alarmsignal 3: Geostrategische Machtinteressen. In die Formalitäten beim Grenzübertritt von der Republik Moldau ins international nicht anerkannte Transnistrien mischen sich die am östlichen Ufer des Djnestr-Flusses stationierten russischen Soldaten nicht ein. Die um ihre Helme gewickelten blauen Klebebänder sollen sie als Friedenstruppen legitimieren. Tatsächlich sind sie aber von Moskau hinbefohlene Wachposten, die Russlands politische und wirtschaftliche Unterstützung der Separatisten-Republik symbolisieren. Karikaturen in moldauischen Zeitungen zeigen die russischen Panzer mit Wurzeln festgewachsen.

Das Bild gilt für alle Regionen, auf die Großmächte ihr Auge geworfen und die sie als ihre Interessensphäre definiert haben. Geostrategisch gedüngte Wurzeln stabilisieren diese Regionen aber bestenfalls zum Schein und nur für kurze Zeit. Das zeigen alle internationalen Großinterventionen der letzten Jahrzehnte von Afghanistan über den Irak bis Libyen. Legitimiert wurde diese Einsätze regelmäßig mit dem Argument, dass gescheiterte Staaten eine Gefahr für die internationale Sicherheit darstellten. "Nicht mehr als andere Staaten", hält Swisspeace-Direktor Laurent Goetschel dagegen: Massenvernichtungswaffen würden eher von starken Staaten, also demokratischen oder autoritären, gehalten, lautet sein Einwand. Terrorismus wie internationale Kriminalität wiederum seien allgegenwärtige Phänomene, die sich sowohl in starken als auch in schwachen Staaten entwickeln können. Besonders gefährdet sind laut Goetschel jedoch die Bevölkerungen von gescheiterten Staaten. Vor allem wenn das fehlende Gewaltmonopol zur Errichtung mehrerer sich bekämpfender Gewaltregime genutzt werde. Allerdings, so ein berechtigter Einwand Goetschels, litten die Menschenrechte weltweit mehr unter autoritären Regimen als unter einzelnen gescheiterten Staaten.

Mut und Lebensfreude

Drei Hoffnungszeichen: Rechtschaffenheit, Mut und Lebensfreude. Ohne Pistole im Hosenbund empfing uns einmal Richter Rizgar Muhammad Amin in der nordirakischen Stadt Sulaymaniah. Als früherer Saddam-Richter und Höchstrichter wusste, er dass "eine so lange Zeit der Diktatur keine Blumen in den Menschen pflanzt" und arbeitete an einem Irak, der sich der Achtung der Menschenrechte verpflichtet fühlt, einem Land, in dem die Religion vom Staat getrennt ist, "weil Religion eine Sache zwischen dem Menschen und Gott ist", einem Land, in dem die Iraker auf das Recht und die Gesetze vertrauen können

In Scampia wiederum, der verrufensten Camorra-Gegend von Neapel, traf ich einmal Fußballklub-Präsident Walter Conte und Don Luigi Merluzzo, die sich mit Jugendarbeit der Mafia entgegenstellten und "Scampia zum Besseren verändern möchten -und wir schaffen das". Und einmal noch zurück nach Kirkuk, wo sich das personifizierte "Trotzdem!" regelmäßig in Form einer Frauenrunde trifft, die sich für ein normales Leben in ihrer Stadt einsetzt.

Ein Hauch von Chanel Nr. 5 lag in der Luft. In Kirkuk ein politisches Statement, das im Gegensatz zur Fratze des Terrors auf Kultur, Freiheit, Schönheit und Lebensfreude pocht. Zeigt, so wie der rechtschaffene Richter und die beiden mutigen Neapolitaner, dass ein Staat nur so stark ist wie seine Bürgerinnen und Bürger. Dass das Scheitern von Staaten mit der Schwächung seiner Bürgerinnen und Bürger beginnt.

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