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Lichtblick für die Kurden

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Vor sieben Jahren hatte die Bagdader Fresse bereits sechsmal seinen Tod gemeldet. Die Zahl der offiziellen und offiziösen „Todeserklärungen“ von 1946 bis 1969 ist nicht mehr genau feststellbar, dürfte aber bereits dreistellig sein. Doch die zahlreich vergeudete Druckerschwarze hinderte den Kurdenführer Mulla Mustafa Barzani ebensowenig wie die 1963 von der irakischen Baath-Partei auf seinen Kopf — tot oder lebendig — offerierten siebeneinhalb Millionen Schilling daran, den nun schon legendären und dennoch bitterste historische und zeitgeschichtliche Realität darstellenden blutigen Kampf zur Erlangung einer weitgehenden kurdischen Autonomie fortzusetzen.

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Vor sieben Jahren hatte die Bagdader Fresse bereits sechsmal seinen Tod gemeldet. Die Zahl der offiziellen und offiziösen „Todeserklärungen“ von 1946 bis 1969 ist nicht mehr genau feststellbar, dürfte aber bereits dreistellig sein. Doch die zahlreich vergeudete Druckerschwarze hinderte den Kurdenführer Mulla Mustafa Barzani ebensowenig wie die 1963 von der irakischen Baath-Partei auf seinen Kopf — tot oder lebendig — offerierten siebeneinhalb Millionen Schilling daran, den nun schon legendären und dennoch bitterste historische und zeitgeschichtliche Realität darstellenden blutigen Kampf zur Erlangung einer weitgehenden kurdischen Autonomie fortzusetzen.

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Seine politische Akrobatik erwies sich erfolgreicher als das Stehvermögen seiner zahlreichen Feinde, die speziell im Irak nach der Hinschlachtung des Haschemitenkönigs Feisal (1958) in immer kürzer werdenden Abständen vom Stuhl des Staatschefs entweder auf den Friedhof, wie Kassem und Abd es Salam Aref, ins Exil nach Istanbul, wie der jüngere Aref, oder ins Gefängnis, wie etwa Bazzaz, übersiedeln mußten. So hat nun auch das politische Stehaufmännchen Achmed Hassan AI Bakr, seit über eineinhalb Jahren und bereits zum zweitenmal Spitzenexponent der Baath-Partei, damit Staatspräsident, Premierminister und Vorsitzender des Revolutionsrates sowie Träger von mehr Orden, als in der 37jährigen Geschichte des souveränen Irak siegreiche Schlachten nachzuweisen sind, wieder einmal nur eine sehr beschränkte Kontrolle über das Geschehen im Nordosten seines Staates. Für Ausländer, in den Augen der irakischen Administration offenbar durchwegs potentielle Spione oder Kollaborateure, ist das Abweichen von der Hauptdurchzugsstraße Mossul-Bagdad strengstens verboten; wenige Kilometer nach der alten Assyrerresidenz Ninive ist die Strecke nach Erbil, einem malerischen Kurdenstädtchen, von Armeeposten gesperrt. Ebenso abgeschlossen ist das ölzentrum Kir-kuk, wo die Kurden ebenfalls einen Großteil der Bevölkerung ausmachen und demgemäß an den Resourcen einen aliquoten Teil für ausschließlich ihre Belange fordern; insoweit hat die global und oberflächlich wirkende Behauptung des ehemaligen türkischen Verteidigungsministers Ilhani Sangar, „das Kurdenproblem ist in erster Linie ein ölproblem“, ihre reale Grundlage. Einer weiteren, lange Zeit zurückverfolgbaren Forderung des stolzen Volkes nach einer eigenen Universität in Sulei-maniya wurde vor zwei Jahren stattgegeben, womit den achteinhalb Millionen Bewohnern des Irak nunmehr vier Bildimgsstätten auf höchster Ebene zur Verfügung stehen (Bagdad, Mossul, Basrah und Sulei-maniya).

Die Tragik des Irak besteht darin, daß auf seinem Staatsgebiet die zahlenmäßig zwar nur drittgrößte, gemessen am Gesamtbevölkerungsan-teil jedoch prozentuell stärkste und vor allem militant stärkste Ansammlung von Kurdenstämmen besteht; während die in der Türkei auf etwa zweieinhalb Millionen geschätzte Zahl sowohl in der Atatürk-Ära als auch noch in den frühen sechziger Jahren einem konstanten Türkiflzie-rungsprozeß unterworfen war, dessen Elemente sich von „wissenschaftlichen“ Behauptungen, wie etwa, daß „Leute, die Kurden genannt werden, türkischer Rasse“ sind, über die bewährte Feststellung (zum Beispiel des ehemaligen Militärstaatsanwaltes von Ankara), daß die Idee eines Kurdenstaates in der Türkei ein Werk des „internationalen Kommunismus“ sei, bis zum blutigsten

Genocid unter den Autonomieschwärmern erstreckten, waren die rund eineinhalb Millionen Unabhängigkeitskämpfer im Reich des Schah historisch bislang am erfolgreichsten. Unter Quasi Mohammed gelang es einigen vereinten Kurdenstämmen mit tatkräftiger Unterstützung der Sowjetunion, 1946 die Einjahres-republik von Aserbeidjan zu errichten, von der Dirk Kinnane, ein britischer Wissenschaftler, schrieb: „die Mahabad-Republik zeigte, daß ein kurdisches Government effektiv regieren konnte“ und daß der Untergang durch „Druck von außen“ und nicht etwa durch innere Unruhen bewirkt worden sei.

Die jüngste Schwenkung

Nun hat sich das irakische Regime mit seiner selbst für arabische Verhältnisse überdurchschnittlichen Gabe, mit fast allen Nachbarstaaten „offene Fragen“ im für das Land ungünstigsten Zeitpunkt wieder aufzuwerfen, ohne zuvor seine zahlreichen anderen inneren und äußeren

Probleme auch nur teilweise gelöst zu haben, wieder eine Front zuviel zugemutet.

Politische Beobachter hatten nach Einstellung der zeitweise sehr gehässig geführten Pressekampagne gegen den persischen Schah anläßlich seines Geburtstages im vergangenen Oktober eine Normalisierung der wegen des Grenzkonfliktes am Schatt el Arab lange Zeit hindurch gespannten Beziehungen erwartet. Doch der scheinbare Frieden bestand nur so lange, bis AI Bakr beziehungsweise sein Geheimdienstchef Amir Teymur Bachtiar — in die jüngere Geschichte Persiens als Onkel Sorayas sowie als Beseitiger Mossadeghs ein- und nach Differenzen mit Reza Pahlewi zum Irak übergegangen — den Iran offiziell für einen Umsturzversuch verantwortlich machten. Nach dem gegenseitigen diplomatischen Expel-lationszeremoniell und scharfen Erklärungen weist ein Truppenaufmarsch beiderseits des vereinigten Euphrat und Tigris auf den Ernst der Situation hin.

Nach neueren Meldungen soll es zu einer Annäherung zwischen dem unverwüstlichen Mustafa Barzani und den durch einen 15köpfigen Revolutionsrat repräsentierten

Machthabern in Bagdad gekommen sein. Die Beiruter „AI Anwar“ spricht von dem Versuch, „eine endgültige Friedensformel zu finden, um die Bruderschaft zwischen Arabern und Kurden wiederherzustellen und jede Art von Konflikt zwischtfri ihnen zu beenden“. Kenner der Geschichte des kurdischen Freiheitskampfes und der politischen Situation im Irak nehmen diese hoffnungsfrohe Botschaft mit der gebührenden Skepsis zur Kenntnis. Während die Gunst der Stunde, mit dem Schatten des erfolgreichen und schon von Mythen umwobenen Partisanen-kriiegers Barzani im Hintergrund, wieder Hoffnung in die zahlxedchen gebrandschatzten kurdischen Dörfer einkehren läßt, darf man sich von AI Bakrs Konzessionen nicht allzuviel erwarten. Die jetzige Situation weist zuviel Ähnlichkeit mit der Lage vor zwölf Jahren auf, als der Kurden-Mulla vom erfolgreichen Putschisten Kassem unter herzlichen Beteuerungen ins Land geholt wurde und eine Zeitlang in einer Regierungslimousine als Symbol der guten Beziehungen durch die Straßen der Hauptstadt fuhr.

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