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Massenmord an Kurden

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Wir wohnten in denselben Zelten wie die Kurden und aßen ihr Brot. Das Kämpfen mußten wir ihnen nicht beibringen. Im Alter von sieben Jahren werden sie schon zum Kampf angeleitet, denn dies ist ein Teil ihres Lebens. Hunderte Jahre kämpfen sie schon gegen die diversen Zentralregierungen. Diese ist immer wieder eine andere, aber die Kurden werden als die ersten unterdrückt. Die Kurden haben das reichste Land der Welt, doch durch Generationen hindurch

sind sie fast das ärmste geblieben. Es waren immer andere, die ihren Reichtum ausbeuteten." Das sagte der Oberst der Reserve, Chaimke Lebakov, einer der Kommandanten der Pelmach, des Stoßtrupps der Hagana, der illegalen Armee der jüdischen Bevölkerung des Mandatspalästina. Sechs Jahre lang -von 1966 bis 1972 - stand Lebakov an der Spitze der israelischen Militärmission, die dem damaligen Kurdenaufstandsführer Mullah Mustafa Barsani zur Seite stand.

„Die Kurden bestehen im Irak aus 32 Stämmen, die in verschiedenen Bergregionen leben. Sie können sich untereinander manchmal nicht einmal verständigen, so groß sind die Unterschiede der Dialekte. Deswegen" - so Lebakov - „haben auch nicht alle Kurden am Aufstand gegen die irakische Zentralregierung teilgenommen."

Lebakov meint den Aufstand von 1961 bis 1975. Während dieser Zeitspanne konnten sich die Kurden in den Bergen des irakischen Kurdistan verschanzen und dort eine mehr oder weniger autonome Region errichten, die allerdings fast völlig von der Außenwelt abgeschnitten war. Die Kurden wandten sich an nahezu alle Staaten der Welt und baten um Hilfe. Die USA und die UdSSR verweigerten sie aus unterschiedlichen politischen Motiven. Auch die Nachbarländer waren zu keiner Hilfe bereit, nur

der Schah von Persien hielt wenigstens die Grenzen offen. Es war damals nur Israel, das den Kurden beistand. Es lieferte - nach ausländischen Quellen - leichte Waffen und sandte Militärberater zur Ausbildung im Kleinkrieg. Außerdem leistete es ärztliche und humanitäre Hilfe.

1975 einigte sich der Irak mit dem Iran über diverse Grenzstreitigkeiten. Die Kurden waren verraten. Auch Israel mußte seine Hilfe einstellen, der Aufstand der Kurden wurde blutig niedergeschlagen. Mullah Mustafa Barsani flüchtete nach Washington. Den Traum von Freiheit überließ er seinem Sohn Massud, der gemeinsam mit Jalal Talabani an der Spitze des heutigen Aufstandes steht.

Der jetzige Kurdenaufstand begann während des Golfkrieges zur Befreiung Kuweits - und zwar nach

einem Treffen diverser Oppositionsführer Iraks in Damaskus (FURCHE 2/1991 .Seite 1) - unter ihnen Schiitenführer, Kurden, Kommunisten und Vertreter der sunnitischen Opposition. Sie alle einigten sich darauf, daß eine pluralistische Koalition aller Minderheiten gebildet werden müsse.

Wiederkamen Kurdenführer nach Israel - den Gerüchten nach waren es Massud Barsani und Jalal Talabani. Israel ist aber nur zu moralischer Hilfe bereit. Denn Israels rechtskonservativer Likud-Premier Jizchak Schamir wollte sich ohne amerikanische Rücksprache zu nichts verpflichten. Wobei nicht klar war, was Israel überhaupt unternehmen kann, da es heute keine offenen Grenzen mit dem Irak hat.

Anfänglich hatte der kurdische Aufstand vollen Erfolg. Saddam Husseins republikanische Garden

wurden in die Flucht geschlagen. Doch als dann die USA beide Augen zudrückten und dem Schlächter von Irak die Möglichkeit gaben, Kampfhelikopter gegen die Zivilbevölkerung einzusetzen, wurden auch dieses Mal die Kurden geschlagen, Zehntausende getötet. Hunderttausende müssen vor den Schergen Saddam Husseins fliehen. Der Grund hiefür: Die USA fürchten, der Aufstand könnte auch auf die Türkei übergreifen. Die anti-irakische Koalition und auch Israel fürchten ein Irak mit schiitisch-kho-meinistischer Mehrheit, das eine neue Gefahr für den gesamten Nahen Osten bedeuten könnte - insbesondere, da auch die aufständischen Kurden einen Hang zum Fundamentalismus haben.

Mehr noch: Der amerikanische Geheimdienst kam zu dem Schluß, daß ein geschlagener und verhältnismäßig schwacher Saddam Hussein immer noch das kleinere Übel im Vergleich zu einem pluralistischen, „libanonisierten" Irak mit ständigen Streitereien über die Proporzverteilung der Parlamentsmitglieder der diversen Minderheiten sei.

Israels offizielle Reaktion ist zurückhaltend, da immer wieder Anhänger Großisraels in der Regierung fragen, wie man die Selbstbestimmung der Kurden unterstützen und die Forderungen der Palästinenser ignorieren könne. Trotzdem ist die Mehrheit der Israelis über den Massenmord im Irak entsetzt. So berief die Arbeiterpartei eine Sondersitzung des Parlaments ein -und die Vertreter der Partei in der Sozialistischen Internationale wurden angehalten, zu veranlassen, den Kurden wenigstens humanitäre Hilfe zukommen zu lassen.

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