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Christen, Moslems, T euf elsanbeter

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Das Bergvolk der Kurden, das mit seinem Freiheitsknpf in den Jahren 1961 bis 1970 ScMagzeilen ln dCT internationalen Presse gemacht hatte; ist mit der Ablehnung der vom Irak am 11. März 1974 angebotenen Autonomie nach vierjährigem Waffenstillstand in neue kriegerische Abenteuer verwickelt worden. AUzuiwenig ist über die religiösen Verhältnisse in Kurdistan bekannt, obwohl es sich bei einem hohen Prozentsatz der Kurden um katholische und orthodoxe Christen handelt und auch der Islam bei ihnen eine beachtenswerte Entwicklung genommen hat. Schließlich haben sich in Kurdistan ebenso Reste alter vonderasiatisoher Religionen erhalten, wie neue Heilslehren Eingang gefunden.

Die kurdischen Christen

Die beiden stärksten christlichen Gemeinschaften des Iraks, die rund

200.0 mit Rom uinierten Chaldäer und die etwa 80.000 orthodoxen „Assyrer“, haben ihr Schwergewicht in Kurdistan. Beide Kirchen gehen auf das einst blühende ostsyrische Christentum zurück, das sich durch Äinahme des Nestorianismus von der römischen Reichskirche absonderte und im Mittelaiter eine Ausbreitung bis nach Turkestan und China erlebte.

Die chaldäisohe Kirche, die durch Aufnahme kirchlicher Beziehungen zwischen einem Teil der Nestorianer und Rom entstanden ist, hat einen besonders hohen Anteil an kurdischen Gläubigen. Mit Ausnahme des Patriarchats in Bagdad und der Erzdiözese Basra liegen alle ihre Kirchenprovinzen in Kurdistan: die Erzbistümer Kirkuk, Hawler und Mossul sowie die Bistümer Alqosch, Aqra, Zaoho, Sulaimani und Ama- dia. Weitere chaldäische Bischöfe residieren im iranischen.’ Kurdistan. Zum Teil tragen diese Hierarohen echt kurdische Namen, wie z. B. Erzbischof Gabriel Koda von Kirkuk, Erzbischof Stefan Babaca von Hawler, Erzbischof Emmanuel Daddi von Mossul und Bischof Josef Ba- bana von Zacho. Es handelt sich bei diesen Chaldäern um die Nachkommen der alten kurdischen Christen vor der islamischen Eroberung.

Bei den orthodoxen „Assyrem“ hingegen haben wir es nicht nur kirchlich, sondern auch völkisch mit Nachfahren der einstigen Ostsyrer zu tun. Eine Tochtersprache des Aramäischen ist bei ihnen nicht nur Kult-, sondern auch Umgangssprache. Diese Assyrer, von denen ein großer Teü in den letzten Jahrzehnten mit ihrem Patriarchen Mar Ischay Sohimun XXIII. in die Emigration ging, stellen zusammen mit den Turkomanen die wichtigste nichtkurdische Minderheit in Kurdistan dar. Sie finden sich unter Bischof Mar Juhanna in der Gegend von Rawanduz sowie in Nord-Kur- distan unter Bischof Mar Ju-Allaha, der in dem Bergstädtohen Dure residiert.

Dennoch hat sich gerade zwischen diesen christlichen Assyrem und den Kurden seit dem mißlungenen assyrischen Aufstand vom August 1933 eine Sohicksalsgemeinschaft herausgebildet Die Assjrrer haben nach 1961 einmütig am kurdischen Freiheitskampf tellgenommen. Als Frucht der kurdischen Erfolge ist dann auch ihnen — sowie den anderen irakischen Christen syrischer Kirchensprache — am 22. Aprü 1972 vom Bagdader Revolutionsrat die volle Ausübung ihrer kulturdien Rechte einschließlich eines eigenen Schulwesens und einer „Syrischen Akademie“ zugebiUigt worden.

Der Islam in Kurdistan

Als der Islam im Jahr 639 Kurdistan erreichte, waren die Kurden zum Teil Christen, vor allem aber Zarathustrier. Bis heute hat sich bei den Kurden die Erinnerung daran erhalten, daß ihre Ahnen „Macusi“ (von alt-iranisch „magusch“, Priester, davon griechisch „Magos“), d. h. Anhänger der Religion Zarathustras waren. Den langen und harten Widerstand der Kurden gegen die neue Religion des Propheten Muhammad bezeugen in Kurdistan bis auf den heutigen Tag die sogenannten „Friedhöfe der Ungläubigen“, d. h. von Kurden, die im Kampf gegen die Muslime gefallen sind oder einfach den Islam nicht angenommen haben.

Im Zuge des islamischen Steuersystems für die Andersgläubigen (Kopf- und Grundsteuer) konnten sich die kurdischen Bauern langfristig dann doch nur durch Übertritt zum Islam auf ihrem Grund und Boden behaupten. In der Auseinandersetzung zwischen Sunna imd Schia suchten sie für die „dritte Kraft“, die puritanisch-sozialrevolutionären „Chawaridsch“, Partei zu nehmen und wurden schließlich fast vollständig der Sunna integriert.

Der kurdische Beitrag zu Theologie, Geistesleben und Kultur des sunnitischen Islam ist noch so gut wie unerforscht, da sich die Kurden dabei nicht national von den Arabern, Persern oder Türken abhoben. Aus diesem Dunkel sind die Kurden seit Ende des vorigen Jahrhimderts durch Betelligunig an den drei wichtigsten Strömungen des modernen Islam, „Modernismus“, „Mahdia“ und „Sufismus“, hervorgetreten.

Der kurdische Reformtheologe Abdar-Rahman Kawakibi (1849 bis 1902) gehört mit Dsohemal ad-Din al-A£gani und Muhammad Abdu zu den Schöpfern des modernen Islam. Er forderte gleiche Bildungschancen für alle und die Harmonisierung der Klassengegensätze durch strikte Anwendung der islamischen Soziai- abgaben und des koranischen Zinsverbots. Seine Zukunftswision eines islamischen Weltkongresses in Mekka ist in unseren Tagen Wirklichkeit geworden (Lahore im Februar 1974).

Während dieser kurdische „So- lovjov“ Kawakilbi seinen Utopien natäiging, suchte drunten im Sudan sein Landsmann Uthman Diqna das islamische Gottesreich auf Erden mit Waffengewalt aufzurichten. Der kurdische Kaufmannssohn aus dem Rot-Meer-Handel&platz Suwakin war einer der treuesten Gefolgsleute des sudanesischen „Mahdi“ Muhammad Ahmad, bis seine Streitmacht im April 1898 von Kitchener am Atbara auf gerieben wurde.

Einer der führenden kurdischen Sufi-Mystiker der jüngsten Vergangenheit ist der 1914 in Kairo verstorbene Muhammad Amin al-Kurdi al-Naqschbandi. Dieser aus Hawler östlich von Mossul stammende Abt der Naqschbandia-DerwLsche ist der Vater der zeitgenössischen islamischen Eschatologie.

Die Jaidi-Kurden

Daß es sich bei dieser früher als „Teufelsanbeter“ verrufenen religiösen Gruppe östlich vom Tigris imd in den westlichen Sindschar- Bergen ethnisch und spracMich um Kurden handelt, wurde schon vor 60 Jahren durch die Forschungen des Wieners Maximilian Bittner bekannt. Die folgenden Wirren in Kurdistan sind jedoch der weiteren gründlichen Untersuchung ihrer Re ligion nicht günstig gewesen. Erst nach dem Waffenstillstand von 1970 konnte Professor Sami Said al- Ahmad von der Universität Bagdad nachweisen, daß es sich bei ihnen auch religiös um die „echtesten“ Kurden handelt, bei denen die Religion Zarathustras in Vermischung mit anderen Elementen weiterlebt. Außerdem verfügen die Jasidi- Kurden in ihren heiligen Schriften als einzige über ein eigenes kurdisches Alphabet. Ansonsten wird das Kurdische in einer abgewandelten lateinischen Schrift und neuestens immer bevorzugter mit lateinischen Buchstaben geschrieben.

Im Offenibarungsgefüge des Jasidi- Glaubens spielen Moses, Zarathustra, Christus, Muhammad und eine Reihe von islamischen Mystikern mit Scheich Adi ben Musafir an der Spitze eine anerkannte Rodle. Dem entsprechen auch jüdische, christliche und islamische Elemente neben den zarathustrischen Dominanten in dieser Mischreligion: so bestimmte jüdische Speiseverbote und die ursprünglich geübte Beschneidung, eine Abart der Eucharistiefeier und der regelmäßige Besuch christlicher Kirchen durch die Jasidi sowie Formen der im Sufi-Islam geübten Arkandisziplin und Ekstasen (Zikr).

Der Jasidi-Glaube stellt außerdem eine Überwindung des altpersisch- manichäischen Dualismus dar, da er die böse Kraft des „Malak Taus“ Gott klar unterordnet und in der Endzeit sogar erlöst werden läßt. An die Stelle ewiger Verdammnis treten dabei 7000 symbolische Jahre.

Die „Ahl-i haq“ — „Besitzer der Wahrheit“ — sind im iranischen Kurdistan zu Hause. Sozial gesehen sind es vorwiegend arme Nomaden, Bauern und hintangesetzte Klein-

Städter, deren Eschatologie die Bestrafung der Reichen und Mächtigen beim Jüngsten Gericht in den Mittelpunkt stellt.

Religionswissenschaftlich betrachtet handelt es sich bei den AM-i haq um eine pseudo-muslimische Sekte, in der sich die Entwicklung des schiitischen Islam bei den Kurden widerspiegelt. Nach der Überlieferung der Ahl-i haq wurde ihr Glaubensstifter Mubcirak-Schah im 3. Jahrhundert von einer jungfräulichen Mutter geboren. Die heilige Schrift der Ahl-i haq ist erst in diesem Jahrhundert von dem Mukri- Kurden Haci Nimatulla-y Mukri in Form einer persischen Dichtung, die aber mit vielen kurdischen Vokabeln durchsetzt ist, niedergeschrieben worden.

Kurden und „Bahai-Religion“

Der zweijährige Aufenthalt des Religionsstifters Bahaullah in Sulaimani in den Jahren 1854/55 hat schon damals einige Kurden für die auf die Vereinigung der Weltreligion abzielende Bahai-Religion gewonnen. Behaullah wirkte in Kurdistan unter dem Pseudcmym Darwesch Ml- hammad als Professor der islamischen Theologie. Zu den bekanntesten kurdischen Bahai-Familien gehört die aus Maiwan im iranischen Kurdistan stammende von Zaki Faraschullah al-Kurdi. Al-Kurdi wanderte nach Ägypten aus und erwarb dort die Staatsbürgerschaft. Er und seine Tochter BaWjja haben der kurdischen Kultur durch Herausgabe verschiedener Werke, vor allem der Geschichte der Kurden von Bitlisi, gedient.

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