"Wir wollen hier kein Ghetto"

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Gewalt, Entführung und Mord stehen im Irak auf der Tagesordnung. Besonders Angehörige christlicher Minderheiten werden Opfer von Extremisten. Vor einem Jahr besuchte eine österreichische Delegation Louis Sako, den Erzbischof von Kirkuk (vgl. Furche Nr. 14/07). Jetzt spricht er über Fortschritte und Rückschläge und von der Notwendigkeit, als Christen in Einheit aufzutreten.

Besonders Christen werden immer wieder Opfer von Gewalt. Wie gestaltet sich das Leben der christlichen Gemeinden in Kirkuk und im restlichen Irak?

Louis Sako: Nun, in Kirkuk geht es nicht um religiöse Konflikte, sondern um ethnische. Wir haben gute Beziehungen mit den Imamen und den politischen Führern. Die Präsenz der Christen wird geschätzt, obwohl wir eine Minderheit sind. Dies ist wohl auf unsere Qualifikationen und meist solide Ausbildung zurückzuführen. In Mosul und Basra hingegen entführt man gezielt Christen, um später Lösegeld zu fordern. Es kommt auch vor, dass Christen aus religiös-politischen Motiven getötet werden: Die tragischen Ereignisse um die Ermordung des chaldäisch-katholischen Erzbischofs von Mosul, Paulos Faraj Rahho, vergangenen Februar beweisen das.

Wie reagierte die Bevölkerung auf die Ermordung des Erzbischofs?

Sako: Die Menschen leben in Angst. Sie wagen es nicht, offen zu sprechen, ihre Meinung zu sagen. Für die Christen ist das alles ein Desaster! Der Bischof war eine starke Persönlichkeit, der die Christen beschützte und führte - ein Symbol für Sicherheit und Akzeptanz. Jetzt haben sie keinen Hirten mehr. Viele verließen aus diesem Grund ihre Häuser, Grund und Boden und flohen in die Ebene von Niniveh. Dort ist ein Großteil der Bevölkerung christlich.

Die Besatzungsmächte wollten Niniveh in eine komplett christliche, selbstverwaltete Zone transformieren …

Sako: Manche Christen, vor allem jene im Westen, betreiben Propaganda dafür, ebenso christliche politische Parteien. Die Kirche allerdings ist entschieden dagegen. Wir können doch nicht in einem Ghetto leben! Das entzieht sich jeglicher Logik. Als Christen wollen wir im ganzen Land präsent sein! In einem Ghetto zu leben, bringt keinen Nutzen, sondern ist - im besten Fall - gefährlich.

Worin sehen Sie als Bischof im Irak ihre Hauptaufgabe?

Sako: Ich bin ein Hirte und tue alles, um die mir Anvertrauten zu schützen. Deshalb halte ich ständigen Kontakt mit den religiösen Autoritäten, den politischen Parteien, den Führern der Volksstämme wie den Schiiten und Sunniten, den Kurden, und Turkmenen. So versuche ich eine nicht immer leichte Balance zu halten: Wir Christen müssen aufpassen, dass wir nicht in den Animositäten der einzelnen Mächte aufgerieben werden. Es ist wichtig, aufzustehen und zu sagen, wenn etwas falsch läuft. Ich versuche meiner Gemeinde Hoffnung zu schenken, denn Hoffnung ist das Wichtigste: Die Christen werden nur im Irak bleiben, wenn ihre Hoffnung nicht stirbt. Und der Irak braucht uns Christen, davon bin ich überzeugt. Außerdem initiierten wir den so genannten "Rat für alle Christen".

Was ist das Ziel dieser Einrichtung?

Sako: Es handelt sich dabei um einen Rat für alle christlichen Gemeinschaften. Man könnte ihn wohl auch als ökumenischen Rat bezeichnen. Dadurch wollen wir künftig gemeinsame Positionen nach außen hin vertreten und mit einer Stimme sprechen. So ein Rat wäre für alle Städte und Regionen im Irak nützlich. Hier in Kirkuk spüren wir Christen, dass wir positiv auf die Gesellschaft wirken können und dass unsere Präsenz wichtig ist. Immer wieder kommen Andersgläubige ins Bischofshaus, fragen um Rat oder bitten um Hilfe. Auch für sie sind wir da.

Was ist also notwendig, damit Christen und Muslime im Irak friedlich zusammenleben können?

Sako: Wir leben hier ja schon seit Jahrzehnten in Frieden zusammen. Es trat nur ein neues, negatives Phänomen auf: Gewaltbereite Extremisten wenden sich gegen Minderheiten, so wie eben Christen oder Jesiden. Dabei sind gerade wir Christen im mittleren Osten größtenteils frei von Vorurteilen gegenüber anderen Glaubensgemeinschaften, und diese Tatsache empfinde ich als sehr positiv. Unsere Bildung, unsere Moral und unser Verhalten helfen auch den Nicht-Christen sich gegenseitig eher zu respektieren. Natürlich muss der Dialog zwischen Christen und Muslimen eine zentrale Rolle einnehmen, sonst wird es für uns keine Zukunft geben. Es bedarf des Dialogs, um die Probleme zu lösen und ein Morgen aufzubauen.

Wie schätzen Sie die allgemeine politisch-militärische Lage im Irak ein?

Sako: Es gibt Verbesserungen in Hinblick auf die Sicherheitslage, speziell auch in Bagdad. Allerdings ist die Situation in Mosul sehr bedenklich. Besonders Christen haben wenig Perspektiven. Alles ändert sich rasant. Was heute als positiv empfunden wird, kann nächste Woche schon wieder verworfen und negativ sein. Die Armee und die Polizei haben in den Städten so gut wie keine Kontrolle, das wird noch Zeit brauchen. Dabei sehnen sich die Menschen danach, wieder ein normales Leben zu führen. Aber manchmal erscheint dieser Wunsch unerfüllbar.

Der irakische Norden war bisher eher eine ruhige Zone. Ist das noch immer so?

Sako: Ja, der Norden ist relativ ruhig und sicher. Die Kurden haben in ihrem Gebiet eine eigene Armee und führen strenge Kontrollen durch. Im Norden treten kaum Sicherheitsprobleme auf. Die gibt es vor allem in den großen Städten wie Bagdad, Mosul oder Basra. Im nördlichen Irak können sich auch Ausländer sicher fühlen. Das Problem des Nordens ist weniger die Gewalt, als die unsichere Zukunft. Man weiß eben nicht, wie es weitergeht und was die USA wollen.

Welche Solidarität wünschen Sie sich seitens der europäischen Christen?

Sako: Bei uns gibt es viele christliche Familien, die sehr stark unter der momentanen Lage leiden, auch unter der Unterdrückung durch religiöse Fanatiker. Oft bleibt ihnen nur die Flucht, und sie können nicht zurückkehren, da sie sonst getötet werden. Für diese Menschen wäre es besser, wenn sie in Europa leben und arbeiten könnten. Auch wäre es gut, den Flüchtlingsfamilien zu ermöglichen, ein gemeinsames Zuhause zu haben, sie nicht zu trennen. Im Norden Iraks benötigen wir auch Unterstützung für unsere Hilfsprojekte: Viele flüchteten aus dem Süden hierher. Jetzt brauchen wir Schulen und Arbeitsplätze, damit nicht alle Christen das Land verlassen. Wir haben ja eine Missionsverantwortung: Dabei geht es um eine tief gelebte Nächstenliebe und nicht um schöne Worte!

Das Gespräch führte Maria-Teresa Pollak.

Das Interview stammt aus der aktuellen Ausgabe von "alle welt", der Zeitschrift von "Missio - Päpstliche Missionswerke" ( www.missio.at).

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