Die Angst vor dem Terror
Die jüngsten Krawalle kurdischer Extremisten haben gezeigt, daß Europas Politiker mehr tun müssen, als nur eine harte Haltung an den Tag zu legen.
Die jüngsten Krawalle kurdischer Extremisten haben gezeigt, daß Europas Politiker mehr tun müssen, als nur eine harte Haltung an den Tag zu legen.
Botschaftsbesetzungen, Geiselnahmen, Drohungen mit Brandanschlägen und Selbstverbrennungen, martialisches Auftreten, Gewalt und Haß in Europas Hauptstädten: Die Bilder der Krawalle kurdischer Gruppen neben friedlichen Demonstraten haben Angst oder zumindest ein mulmiges Gefühl hinterlassen, obwohl es jetzt, Tage nach der spektakulären Festnahme des PKK-Führers Abdullah Öcalan wieder ruhig geworden ist.
Aber ist das ein gutes Zeichen?
Es ist schwer vorauszusehen, ob sich die militante Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) tatsächlich wie angekündigt mit Protest- und Solidaritätsaktionen in Europa zurückhalten wird. Oder ob sie nicht doch auch hier mit einer Brutalität zuschlagen wird, die sich heute schon erahnen läßt. "Wenn Öcalan stirbt, geht Europa in Flammen auf" drohen Fanatiker, und der Chef des kurdischen Zentrums in Bonn läßt wissen: "Jeder Kurde ist jetzt eine Bombe." Wie soll Europa sich da sicher fühlen? Noch dazu, wo keine Sicherheitsvorkehrung der Welt Selbstmord-, Brand- und Bombenanschläge verhindern kann.
Daß sich angesichts dieser Unruhe die Innen- und Außenminister Europäischer Staaten schleunigst vor die Fernsehkameras begaben, um dem Terror den Kampf anzusagen, ist verständlich. Deutschlands Innenminister Otto Schily (SPD) beispielsweise kündigte "die volle Härte des Gesetzes" an. Ein erschöpft wirkender Karl Schlögl bekräftigte ebenfalls, daß man sich nicht einschüchtern lassen werde.
Diese entschlossen-harte Haltung hat die Gesellschaft von ihren verantwortlichen Ministern erwartet und beruhigt zur Kenntnis genommen. Doch der Lösung des Kurdenproblems ist man damit keinen Schritt näher gerückt. Dazu muß es aber kommen, will Europa nicht wirklich eines Tages einen Alptraum erleben.
Europas Politiker handeln jedenfalls zunächst einmal sicher klug und weitsichtig, wenn sie alle verfügbaren Kräfte und Mittel des Rechtsstaates einsetzen (Verhaftung, Verurteilung und Gefängnis bei Rechtsbrüchen), aber gleichzeitig Wege der Verständigung (Stillhalte-Abkommen etc.) offenlassen.
Es muß allerdings noch mehr geschehen: * Natürlich ist jede spektakuläre (Gewalt-)Aktion eine Propaganda für die Sache der Kurden. Die Medien sorgen für die entsprechende Verbreitung und halten so das Thema am Köcheln. Wer daher von den Kurden Gewaltverzicht verlangt, muß ihnen auch das Gefühl geben, daß ihre Anliegen endlich auf die politische Tagesordnung kommen.
* Was wollen "die" Kurden?
Bewegungen vor allem in der Türkei und im Irak treten für einen kurdischen Staat ein bzw. verlangen wenigstens Selbstbestimmung in den kurdisch bewohnten Teilen.
Für rund 25 Millionen Kurden, zerstritten in Clans, sozial und sprachlich zersplittert, verstreut auf den Irak, Iran, Syrien, Armenien und Europa, ein eigenes Territoirum zu schaffen, ist aber eine fast unlösbare Sache. Die meisten Kurden wissen das wohl auch: der Traum, eines Tages in einem eigenen Heimatland leben zu können, wird vielleicht nie Realität. Und Millionen leben ohnehin schon völlig assimiliert in den jeweiligen Ländern. Trotzdem wäre es falsch, den Anspruch auf Autonomie, auf politische Rechte, Traditions- und Brauchtumspflege der Kurden nicht zu unterstützen.
* Die PKK repräsentiert nicht "die" Kurden. Sie ist nur eine von verschiedenen Strömungen. Für einen Teil steht sie zwar als Symbol für eben diesen Kampf um ein eigenes Land, Rechte und Identität. Die Mehrheit identifiziert sich aber nicht mit der PKK, einer Kaderpartei marxistisch-leninistischer Prägung, die seit 15 Jahren einen aussichtslosen, blutigen Krieg gegen die türkische Armee führt.
Öcalan ist ein autoritärer Führer, die PKK auf ihn zugeschnitten. Ein Mann, der absolute Loyalität verlangt und Angst und Schrecken auch bei den eigenen Leuten verbreitet, und dem von internationalen Menschenrechtsorganisationen Hunderte Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen werden.
Derzeit ist noch nicht klar, wer den Poker um seine Nachfolge gewinnen wird. Jene, die auf Politik und Diplomatie setzen und den Rest der Welt auf friedliche Weise für ihre Sache interessieren könnten? Oder jene, deren Sprache weiterhin die der Gewalt ist?
* Die Kurden müssen auch in Zukunft massiv Öffentlichkeit herstellen. Derzeit genießen sie im Westen sicherlich die (romantische) Grundsympathie für ein unterdrücktes Volk. Diese Sympathie kann angesichts von noch mehr Gewalt und Terror aber sofort wieder umschlagen.
* Jeder Gewaltakt, jedes aggressive Verhalten ist kontraproduktiv für das Zusammenleben von In- und Ausländern in Europa. Permanentes Mißtrauen läßt irgendwann hinter jedem Mann mit dunklem Teint und Schnurrbart einen Fanatiker vermuten. Letzlich entsteht die Situation, daß "Ausländer und Gewalt" zusammen gedacht werden. Das ist zwar unsachlich und irrational, aber wahrscheinlich. Die daraus resultierende tiefe Kluft leistet wiederum dem vorhandenen Rechtsextremismus garantiert Vorschub.
Schon alleine deshalb muß Europa massives Interesse daran haben, das "Kurdenproblem" auch als ihre Sache zu sehen und sich nicht weiter vor der Verantwortung zu drücken. "Europa hat ein Kind in Form einer großen ethnischen Minderheit bekommen. Dieses Kind ist ungewollt, aber es wird nicht weggehen", wie es eine deutsche Journalistin treffend formulierte.
* Die entscheidende Verantwortung liegt bei der Türkei. Wird die Führung jene politische Reife zeigen, die notwendig ist, um eine akzeptable Lösung statt des brutalen Vernichtungsfeldzuges anzubieten?
Der Druck auf alle Beteiligten wird zunehmen. Es wäre ein großer Forschritt, wenn sich Europa dazu entschließen könnte, ein Problem nicht erst dann in Angriff zu nehmen, wenn die Bilder von Grausamkeiten, Haß und Gewalt nicht mehr zu ertragen sind. Kurdistan darf kein Kosovo werden.
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